Researcher in Residence

Forschungsbericht

Im März besuchte uns Jessica Leuchte als Researcher in Residence und berichtet hier über ihren Aufenthalt, ihre Forschung und über die Spurensuche.

Die Verfremdung von Stimme und Sprechweise ist eine immer wieder auftretende Anforderung für die Spieler*innen des Puppen-, Figuren- und Objekttheaters. Sie ist ein Teil der schöpferischen Arbeit an der Figur.

Die unzureichende Beschreibung, wie dieser Kreationsprozess / Weg zu beschreiten ist, wird dieser künstlerischen Realität nicht gerecht. Fernab davon treten weitere Schwierigkeiten auf. Wie ist die gefundene Stimme und Sprechweise zu halten? Oder wiederzufinden? Wie gelingt der Wechsel zwischen verschiedenen „Stimmen"? Die Relevanz aus der Praxis macht deutlich, wie wichtig eine (systematische) künstlerische Forschung im Bereich „Der Kreation von Stimmen und Sprechweisen im Theater der Dinge ist.

Im März 2022 hatte ich die wunderbare Möglichkeit, die Menschen und die Institution des „Deutschen Forums für Figurentheater und Puppenspielkunst e.V.“ bei meinem einwöchigen "Researcher in Residence“- Stipendium in Bochum kennenzulernen. Die mir bisher zur Verfügung stehende Fachliteratur aus den Bereichen der Sprecherziehung und dem Figuren- und Objekttheater habe ich in Bezug auf die genannten Fragen gesichtet. In dieser ersten Literaturrecherche konnte ich mir zwar einen thematischen Zugang erarbeiten. Jedoch wurden meine spezifischen Fragestellungen nicht durch die Sprecherziehungsmethodik aus den Bereichen Schauspiel oder Gesang beantwortet. Eine Methodik der Sprecherziehung für die Puppenspielkunst  konnte ich bis dato nicht finden. Daher war ich froh, als ich mit Zusage des Stipendiums den umfangreichen Literaturbestand des Forschungs- und Dokumentationszentrums des dfp für eine vertiefende Recherche nutzen durfte.

Nach meinem Studium der „Sprechwissenschaft und Phonetik“ an der MLU Halle Wittenberg und dem Studium der Theaterpädagogik an der HMT Rostock kam ich mit der „Zeitgenössischen Puppenspielkunst“ an der Hochschule für Schauspielkunst  „Ernst Busch“ durch ein Praktikum in Kontakt. Schon da war ich fasziniert von den Anforderungen, die die stimmlich-sprecherische Ausbildung von Puppenspielstudierenden mit sich bringt. Seit dem Beginn meiner Lehrtätigkeit im Jahr 2015 im Fach „Sprechen“ an der HfS „Ernst Busch“ Berlin versuche ich gemeinsam mit meinen Sprecherziehungskolleg*innen eine Methodik für u.a. folgende Fragestellungen zu entwickeln:

-    Welche Methoden gibt es, um glaubhaft verfremdete Stimmen und Sprechweisen zu (er)finden?

-    Gibt es Erfahrungsberichte, die beschreiben, wie Puppenspieler*innen mit dieser häufig auftretenden Anforderung umgehen?

-    Gibt es Lehrer*innen die methodische Ansätze formuliert und veröffentlicht haben?

-    Wie lassen sich extreme Stimmklänge stimmschonend und ausdauernd sprechen?

Da das „Theater der Dinge“ nicht an menschliche Klänge und Sprechweisen gebunden ist, ergibt sich eine immense Vielfalt an Ausdrucksmöglichkeiten. Die Faszination, wenn die gefundene Stimme lebendig und klar gezeichnet ist; wenn sie ganz mit dem animierten Material verschmilzt und scheinbar nicht zum/zur Spieler*in gehört, teile nicht nur ich als Sprecherzieherin. Viele Zuschauer*innen lassen sich für virtuose und vielfältige, aber vor allem glaubhafte Stimmklänge begeistern. Hingegen ist man der Illusion der handelnden Figur schnell beraubt, wenn Stimme und Sprechweise nicht zur Physiognomie und zum Habitus der Figur passen. Dann erleben wir diese als „maskenhaft“, „verstellt“, „draufgesetzt“ oder unbeweglich - und  folglich als unglaubwürdig. Wir nehmen die Figur nicht mehr ernst, vielleicht entsteht sogar die Empfindung, dass der/die Spieler*in das selbst nicht tut, sondern sie in unserer Wahrnehmung eher von außen „bespricht", stattdessen sie scheinbar aus sich selbst heraus spricht.

In der Ausbildung von Puppenspielstudierenden gilt es neben der Stimmfindung als schöpferisch-kreativen Arbeit auch handwerkliche Grundlagen auszubilden, um überhaupt auf möglichst unterschiedliche Gestaltungsmöglichkeiten zugreifen zu können. Zu diesen handwerklichen Fähigkeiten gehört u.a. die Ausbildung einer breiten stimmlichen, sprecherischen und rhythmischen Varianz. Die Basis dafür sind nach meiner Ansicht die Schulung der Wahrnehmungs- und Beschreibungsfähigkeit von Stimmen und Sprechweisen sowie deren Imitationsfähigkeit.

Mit diesen Fragen bin ich nach Bochum gekommen und wurde direkt von Mareike Gaubitz, Leiterin des Dokumentations- und Forschungszentrums des dfp, am Bahnsteig willkommen geheißen. Auch sonst war man auf mein Kommen vorbereitet und ich wurde sehr freundlich begrüßt. Nach der Führung durch das Haus und durch die Bibliothek, erhielt ich bereits am Nachmittag spannende deutsch- und englischsprachige Literatur rund um mein Thema.

In den ersten Tagen war ich mit der Sichtung des Bibliotheksbestandes beschäftigt, der eine wunderbare Sammlung nationaler und internationaler Literatur enthält, die jeden Fan des Puppen- und Figurentheaters ins Schwärmen bringt. Sie enthält Themenbereiche wie Überblicksdarstellungen, Geschichte, Bau und Konstruktion, Rollen- und Figurenentwicklung, Theaterstücke, Formen, Kulturwissenschaft oder Gruppen/Künstler*innen. Neben dem Bücherbestand wurde auch der Zeitschriftenbestand ein wertvoller Fundus für mich. Ich empfehle auch jedem einen Blick in die wunderbaren Bildbände wie bspw. zu den indonesischen Wayang Figuren, den Stabpuppen auf Java, den Handpuppen von Paul Klee, den Marionetten aus aller Welt, japanischer Stabfiguren-Köpfe und viele mehr, die die Formenvielfalt dieser darstellenden Kunst so wortwörtlich vor Augen führen.

Ein weiteres Highlight meiner Bochum-Zeit war der Besuch der Ausstellung „Puppets 4.0 - ein imaginäres Museum“. Ausgestattet mit einer VR-Brille konnte ich durch 5 virtuelle Räume gehen, um Theaterpuppen aus aller Welt kennenzulernen. An meiner Seite war ein digitaler Fritz Wortmann – wissend, sympathisch und auskunftsfähig zu den weltweiten Puppen- und Figurenarten.

Nach circa vier Tagen wurde mir klar, dass es auch hier zu meinen Fragestellungen keine spezifische Literatur gibt. Zunächst ein bisschen geknickt, wurde mir dadurch dann auch schnell die besondere Bedeutung des Themas deutlich. Auch die Gespräche mit den Mitarbeiterinnen des dfp haben mich im Weiterforschen bestärkt, um diese Forschungslücke zu schließen. Da das nur bedingt durch Bestandsliteratur geschehen kann, habe ich begonnen, meine  Unterrichtserfahrungen und -methoden weiter zu systematisieren.

Am vorletzten Tag gab es dann doch noch einen Zufallstreffer und zwar in einer Ausgabe von „Puppen, Menschen und Objekte“. Eine bereits verstorbene Puppenspielerin hatte Kurse zur „Stimmfindung von Figuren“ angeboten! Somit geht die  detektivische Arbeit geht weiter! Denn nun treiben mich Fragen um wie: Gibt es Aufzeichnungen aus diesen Kursen? Wo befindet sich der Nachlass?

Meine – wenn auch kurze – Zeit in Bochum habe ich als große Chance und ein Geschenk erlebt. Denn hier konnte ich so unbehelligt lesen und stöbern. Für mich ist eine produktive Arbeitsatmosphäre und eine Fokussierung auf meine Fragen entstanden, die im sonstigen Alltag schwer herzustellen ist. Auch die Abendstunden konnte ich nutzen, da ich in dieser Zeit fast allein im dpf war und konnte so in aller Ruhe meine Recherche weiterführen. Besonders bedanken möchte ich mich außerdem für die inspirierenden Gespräche mit den Mitarbeiterinnen des dpf und die kompetente fachliche Beratung, auf die ich die Zeit über durchgehend bauen konnte.

Ich komme gerne wieder nach Bochum!