News

Musiktheater im Revier Gelsenkirchen – jetzt mit neuer Puppenspielsparte

16. September 2019

von Honke Rambow

Als der Intendant des Musiktheaters im Revier, Michael Schulz, bei der Spielzeitpressekonferenz ankündigte, es werde eine neue Sparte am Haus eingerichtet, hielten sich die anwesenden Journalist*innen noch bedeckt. Als Schulz hinzufügte, er wolle eine Puppenspielsparte einrichten, konnten manche ihre Überraschung nicht mehr zurückhalten. Mit einer Kinderoper hätte man rechnen können, vielleicht auch mit einer Bürgeroper, wie es im nahen Dortmund gerade versucht wird, aber ganz gewiss nicht mit Puppenspiel.

Evi Arnsbjerg Brygmann, Bianka Drozdik, Eileen von Hoyningen Huene und Anastasia Starodubova sitzen am Regiepult im großen Haus des Musiktheaters. Ein dunkelgrüner Saal mit arenaförmig ansteigenden Rängen ist auf der Bühne aufgebaut, in der Mitte liegt zusammengefaltet ein Bündel Knochen, Sehnen und Muskeln. Es ist Frankensteins Monster, das sich zu zwei Metern Größe aufrichtet, wenn die vier Puppenspielerinnen sich ihm zuwenden. Hauptfigur in der Eröffnungspremiere der neuen Spielzeit – der Oper „Frankenstein“ des Komponisten Jan Dvořák.

Die vier jungen Frauen sind Studierende der Hochschule für Schauspielkunst Ernst Busch in Berlin und gerade in ihrem letzten Jahr. Dass sie an einem Opernhaus landen würden, hätten alle vier nicht gedacht. Natürlich habe es immer wieder mal Operninszenierungen mit dem Einsatz von Puppenspiel gegeben, aber dann nur durch Gäste. Die Einrichtung eines eigenen Studios für Puppenspiel an einem Haus sei schon revolutionär. Gleich in der ersten Produktion, in der sie am Haus mitwirken, kommen ungewohnte Aufgaben auf die vier Frauen zu. „Oper ist echt was anderes. Mir war nicht wirklich klar, dass mein Sprechtext immer auf den Punkt kommen muss. Ich muss also plötzlich den Dirigenten immer im Blick haben, um meinen Einsatz nicht zu verpassen.“

„In meiner Generation“, erzählt Michael Schulz, „hat die Augsburger Puppenkiste die Art, eine Geschichte auf der Bühne zu erzählen, geprägt.“ Live im Kasperletheater habe er allerdings immer Angst gehabt. Ohne den Abstand, den der Fernseher herstellte, war ihm das als Kind zu direkt. Auch „Spejbl & Hurvinek“ und das Schwarze Theater Prag habe er immer im Fernsehen gesehen. Endgültig der Faszination des Puppentheater ist er dann während seiner Zeit am Deutschen Nationaltheater in Weimar erlegen, in der er etliche Produktionen des Theaters Waidspeicher in Erfurt erlebte. „Was mich da fasziniert hat, ist, dass eine perfekte Illusion entsteht, in der die Puppe im Auge des Betrachters zum Beispiel ein Mimenspiel entwickelt, das sie per Konstruktion gar nicht haben kann.“ Die Leidenschaft für das Puppentheater blieb ihm erhalten, eine, die viele im Haus teilten.

Neben den vier Studierenden umfasst die neugegründete Sparte mit Gloria Iberl-Thieme auch noch eine festangestellte Puppenspielerin. Eine eigene Puppenwerkstatt fehlt jedoch noch. Das Monster für „Frankenstein“ bauten Ingo Mewes und Karin Tiefensee. Zu speziell ist die ausgefeilte Mechanik einer solchen Großpuppe, als dass sie in den Opernwerkstätten gebaut oder auch nur repariert werden könnte. Zunächst sind die vier Studentinnen für ein Jahr engagiert, in dem sie auch ihren Abschluss machen. Ähnlich wie beim jungen Opernensemble ist aber nicht ausgeschlossen, dass es zu Übernahmen ins feste Ensemble kommt.

Im Puppenspielstudium Studium an der Hochschule für Schauspielkunst Ernst Busch werden alle Techniken des Figurentheaters vermittelt: Objekttheater, Maskenspiel, Marionette, Handpuppe, Klappmaulpuppe und Großpuppe. Dennoch prägen sich natürlich Präferenzen aus: „Jeder kann handwerklich alles, aber entwickelt seine Fantasie in einer Technik am besten“. Die vier Studierenden am Musiktheater im Revier sind sich zunächst fast einig, dass Maskenspiel ihre liebste Disziplin ist. Dann aber setzen sie hinzu: „Und die Großpuppe.“ Die Königsdisziplin. „Bei der Großpuppe muss man zu dritt oder viert zusammen arbeiten. Das erfordert enorm viel Konzentration, ist aber ein wunderbares Erlebnis, wenn es gelingt, wenn alle Spieler*innen und die Puppe zu einem Organismus werden.“

Finanziert wird die neue Sparte in Gelsenkirchen vom Förderprogramm „Neue Wege“ des Landes Nordrhein-Westfalen, das Projekte zur stärkeren Profilierung von bestehenden kulturellen Institutionen unterstützt. Warum aber ausgerechnet Puppenspiel? „Das hat genau damit zu tun, dass wir nicht alles so machen müssen, wie alle anderen. Wir haben am Haus eine sehr starke Theaterpädagogik und in der Stadt auch noch das Consol Theater, das hervorragendes musikalisches Theater für Kinder und Jugendliche macht“, sagt Schulz. Eine Kinderoper wäre da zuviel gewesen. Eine Puppenspielsparte ist aber ein echtes Alleinstellungsmerkmal und eine großartige Möglichkeit für Regisseure, Oper ganz neu und anders zu denken. Als zweite Produktion im März werden die Puppenspielerinnen im kleinen Haus eine eigene Arbeit entwickeln. „Schulz hat uns da freie Hand gelassen“, erzählen sie. Es gab nur das Zeitfenster und – auch das zeigt, wie ernst Michael Schulz die Sparte nimmt – die Vorgabe, dass es ein Stück für Erwachsene werden soll. Den Puppenspielerinnen kommt das entgegen: „Im Studium machen wir überhaupt nichts für Kinder. Das ist manchmal ein Problem, wenn man fertig ist und feststellt, dass der Markt vor allem Kindertheater vom Puppenspiel erwartet.“

Und dann sagt der Intendant noch einen Satz, der vielleicht am besten ausdrückt, warum ihn Puppenspiel so fasziniert: „Die Puppe darf alles.“ Nicht von ungefähr sei das Puppentheater im dritten Reich auf den Bereich des Kindertheaters reduziert worden, „weil man wusste, dass der Kasper alles sagen darf und das hätte für die Diktatur gefährlich werden können.“

 

Premiere am 28. September 2019

Foto: Monster
Fotografin: Judith Lorenz