Researcher in Residence

Researcher in Residence Thomas Schwarz auf den therapeutischen Spuren von Objekten

Thomas Schwarz besuchte das Deutsche Forum für Figurentheater und Puppenspielkunst e.V. (dfp) im Juni 2020, um dort sein Forschungsvorhaben mit dem Arbeitstitel Objekt, Theater, Performativität. Grundlegung einer (systemischen) Objekt-Theater-Therapie vorzubereiten. 

Thomas Schwarz ist Diplompädagoge. Er lebt und arbeitet in Neuss als Paar- und Familientherapeut in eigener Praxis sowie an einer Förderschule im Rhein-Kreis Neuss in der Schulsozialarbeit. Er veröffentlichte Publikationen zu Jugendkultur, Sozialgeschichte des Tierschutzes und Schule. 

Die Verknüpfung von therapeutischer Arbeit und Puppenspiel ist ein aufsteigender Forschungszweig, wir die Diskurse rund um das Angewandte Puppenspiel zeigen. Thomas Schwarz beantwortete im Austausch mit Mareike Gaubitz, Leiterin des Dokumentations- und Forschungszetrums des dfp, einige Fragen rund um seinen Forschungsansatz.

 

Wie bist Du zum Objekttheater gekommen? Was hat Dein Forschungsinteresse daran angeregt/inspiriert?

Ausgangspunkt war die Beschäftigung mit der Frage „Wie erzählt das Theater?“. Die Idee kam mir durch ein Kolloquium im Rahmen der Fortbildung in Theaterpädagogik am off theater in Neuss, an der ich seit März 2019 berufsbegleitend teilnehme. Als ich mit Recherchen zu diesem Thema begann, bin ich auf das Arbeitsbuch Der Dinge Stand der „Theater der Zeit“ gestoßen, welches das zeitgenössische Figuren- und Objekttheater zum Gegenstand hat. Das hat mich sofort interessiert und mir kamen so viele Querverbindungen zu Psychoanalyse, Religion, Ethnografie, Kultur und noch längst nicht zu Ende gedachten Formen moderner Psychotherapie, zu Psychodrama und Theatertherapie in den Sinn. Also habe ich weiter dazu recherchiert und musste feststellen: Das Thema Objekttheater wurde bislang in der Fachdebatte – Theater, Theaterpädagogik, Theatertherapie –überhaupt recht stiefmütterlich behandelt. Das hat mich erstaunt und ich habe das enorme Potenzial eines eigenen Forschungsvorhabens, vielleicht sogar als Promotion angelegt, darin gesehen. Das Metzler Lexikon Theatertheorie z.B. erwähnt den Begriff Objekttheater erst gar nicht, aber in wenigen Stichworteinträgen wird auf die theatrale Bedeutung von Objekten doch eingegangen. Entwicklungspsychologisch ist diese Bedeutung auch nicht von der Hand zu weisen, da das Übergangsobjekt für die frühe Kindheitsphase in die Psychoanalyse eingeführt wurde. Das Kind misst dem Objekt eine Bedeutung zu und beginnt damit zu spielen. Das heißt aber längst nicht, dass Objekte nur für Kinder von Bedeutung sind, im Gegenteil.

Du hast dann als ersten Schritt im Juni 2020 eine Forschungsresidenz in unserem Dokumentations- und Forschungszentrum verbracht – wie hast Du die genutzt und was nimmst Du Dir davon mit?

Ich war sehr dankbar, dass ich gerade mit den Einschränkungen durch die Pandemie das Zentrum für einige Tage nutzen durfte, um mich in das Thema grundlegend einzuarbeiten und mir einen Überblick zu verschaffen. Das war wirklich sehr hilfreich. Ich hoffe, dass mir in der weiteren Forschung die Verschränkung von Objekttheorie und Objekttheater gelingt, das wäre im ersten Schritt die theoretische Grundlegung. Hinzu kommen derzeit verschiedene Assoziationsketten, die den eigentlichen Pfad schon bald verlassen, von Performanz bis Populärkultur – die eigentliche Fragestellung oder Zielsetzung ist noch in der Entwicklung. Ich will mir den Zugang und das methodische Vorgehen in dieser frühen Phase meines Forschungsinteresses bewusst offenhalten. Sicher gehört auch ein wenig Mut dazu, etwas zu riskieren, das heißt für mich etablierte Pfade auch mal zu verlassen. Ich komme aus der Erziehungswissenschaft, ich kenne qualitative Methoden und betrete hiermit offenkundig Neuland. Es braucht aus meiner Sicht eine maximale Offenheit gegenüber dem Gegenstand und eben auch eine Ergebnisoffenheit.

Im Arbeitstitel Deines Vorhabens setzt Du den Begriff systemische Objekttherapie. Kannst Du uns zum Begriff der systemischen Therapie ein paar Worte sagen? Wie wäre diese mit dem Objekttheater zusammenzudenken?

Systemische Therapie ist ein Beratungsprozess, der die Klient*innen in ihren sozialen Beziehungen in den Vordergrund stellt und ihnen grundsätzlich unterstellt, selbst Expert*innen ihrer Lebenswelt zu sein und auf kreative Lösungsansätze zu kommen. Dabei geht es häufig darum, eine andere Sicht auf bestimmte Symptome oder als problematisch empfundene Verhaltensweisen zu gewinnen. Mir ist aufgefallen, dass Menschen mit systemischer Therapie häufig Aufstellungen verbinden, also Systemaufstellungen oder Familienaufstellungen. In der Praxis geht es eigentlich weniger darum, aber es kommt schon mal vor, dass ich Familiensysteme von den Klient*innen aufstellen lasse, mit Figuren, mit Steinen, was gerade brauchbar erscheint oder den Klient*innen ins Auge fällt. Dabei geht es um Repräsentation, darum, Beziehungen sichtbar zu machen, aber auch um Abstraktion, um Perspektivwechsel. Das ließe sich noch weiterdenken und entwickeln.  Nun ist es für mich interessant, wie der Objektbegriff zu denken ist, wenn wir davon ausgehen, dass Menschen Beobachtungen mit Bedeutungen aufladen und darüber ihre je eigenen Wirklichkeiten konstruieren. Somit geht es um die Aneignung der sozialen Welt durch Objekte, aber nicht nur. Identifikation und Projektion wären für mich weitere zentrale verbindende Kategorien, denen es sich nachzuspüren lohnt. Das Objekttheater ist im Umgang mit den Objekten ja in keiner Weise festgelegt.

Worin liegt darüber hinaus das Potenzial des Objekts für die Therapie/den therapeutischen Einsatz – was vermutest Du?

Ich sehe das Potenzial neben der Identifikation mit Objekten in bestimmten Zusammenhängen, in der Abstraktion und vor allem auch in dem spielerischen, kreativen Umgang mit diesen Objekten. Ein Beispiel der Anwendung von Objekten in der Therapie ist der „Scenotest“, der schon 1938 entwickelt wurde (https://www.testzentrale.de/shop/der-scenotest.html). Es handelt sich dabei um ein projektives Verfahren mit Spielmaterial wie unter anderem menschlichen Puppen, Tier- und Symbolfiguren, aber auch Alltagsgegenständen. In der Arbeit mit Kindern und Jugendlichen sollen durch den Test unbewusste Zusammenhänge, Ängste, verborgene Wünsche und Bedürfnisse sichtbar gemacht werden, die auf einer rein sprachlichen Ebene durch Befragung nicht oder nur schwer zugänglich sind. Aus der Spielszene und der anschließenden Erzählung desjenigen, der die Szene gebaut hat, können Deutungen und Hypothesen abgeleitet werden. Das heißt, dass die Beschäftigung mit Objekten unbewusste Prozesse im Denken und Fühlen ausdrückbar macht.

Hast Du selbst schon Erfahrungen mit dem Einsatz von Puppen und Objekten in der Therapie oder im Coaching gesammelt? Welche?

Relativ wenig. Mit dem Familienbrett lassen sich Systeme aufstellen, ich habe auch eine Coaching-Disc, die ein anderes Abstraktionsniveau hat, verschiedene Aufstellungsfiguren und eine Therapiepuppe, eine Handpuppe namens Lina, so heißt das Modell. Ich stelle mir jedoch ein sehr viel größeres Repertoire vor, für das Objekte in meinem Fall im Coaching, möchte ich vorrangig sagen, aber auch darüber hinaus nutzbar gemacht werden können. Das könnte ja auch ein Führungskräfte-Coaching sein oder ein Theater-Workshop. Objekte sind so allgegenwärtig, und wir nehmen Dinge permanent als Objekte wahr, konstruieren unsere Welt darüber und handeln sie aus, das ist für mich noch überhaupt gar nicht ausgelotet, wie wir bestehende Formate über Objektarbeit noch weiterentwickeln können.

Was ist Dein Wunsch/Ziel für das Objekttheater, das Du mit Deiner Forschungsarbeit erreichen möchtest?

Objekttheater ist aus meiner Sicht derzeit eine noch zu randständige künstlerische Ausdrucksform. Ihr Potenzial wird lange noch nicht ausgeschöpft. Meiner Meinung nach liefert sie, die Grundlage für die Aneignung von Welt, das heißt für im Prinzip alltägliche Vorgänge, die kognitiv zu leisten sind, sicherlich nicht künstlerisch, aber oftmals in einer künstlich geschaffenen Umwelt. Wenn diese vielen, komplexen Umstände und Prozesse des Umgangs mit Objekten bewusster werden, wenn es mir also gelingt, einzelne exemplarisch herauszuarbeiten und theoretisch zu fundieren und vielleicht auf eine künstlerische und therapeutische Praxis zurückzuspielen, ist aus meiner Sicht schon vieles erreicht. Und schlussendlich, unabhängig davon, wünsche ich mir persönlich eine Aufwertung des Objekttheaters überhaupt. Das würde bedeuten, dass nicht bloß die Theaterpädagogik sich noch mehr zu den Objekten hin öffnet, sondern der künstlerisch-ästhetische Wert und auch die Professionalität, die hinter dem Objekttheater steckt, mehr in den Vordergrund gerückt wird.

 

Vielen Dank für den spannenden Eindruck in Dein Forschungsvorhaben, Deine Motivation und Ziele - die wir auch für sehr erreichenwert halten!

 

Foto: Zur Verfügung gestellt von Thomas Schwarz