Vorgestellt: Anne-Kathrin Klatt und das Theater am Torbogen
Anne Kathrin Klatt, Sie haben nach dem Abitur auf einer Kirmes die Vorstellung eines tschechischen Stabmarionettentheaters gesehen und am nächsten Tag wussten Sie: Sie wollen Puppenspielerin werden. Was ist da passiert, dass Sie solch ein Erweckungserlebnis hatten?
Ja, mysteriös. Ich kann das auch nicht wirklich erklären. Mich hat es immer schon interessiert, etwas zu gestalten, ich habe mich aber in den gängigen Kunstformen nie so richtig wiederfinden können. Und in dem Moment, als ich diese Vorstellung gesehen habe, war das für mich das Aha-Erlebnis. Ich konnte mich komplett wiederfinden in dieser Idee von einer künstlerischen Form, in der es einerseits ums Gestalten geht, und auf der anderen Seite ums Beleben, um das Spielerische. Diese Kombination kannte ich bis dahin nicht und fand sie einfach kongenial. Das hat mich nicht mehr losgelassen. Und dann sind viele glückliche Zufälle eingetreten, die dazu geführt haben, dass ich mich beim Studiengang Figurentheater der HMDK Stuttgart beworben habe.
Und dann hat es ja auch geklappt und Sie sind dabeigeblieben.
Ich bin auch deswegen so stark dabeigeblieben, weil dem Medium immanent ist, dass es so vielfältig ist, dass ich in verschiedene Richtungen gehen kann, und mich trotzdem immer im Figurentheater befinde.
Anne-Kathrin Klatt © Jessica Plautz
Wie kam dann der Tanz dazu?
Mit 40 habe ich eine tanzpädagogische Ausbildung gemacht, weil ich mehr über Bewegung wissen wollte, über den kinästhetischen Sinn, über Improvisation, Techniken im Tanz, über choreografische Ansätze - alles das, was man an Grundwissen braucht, um überhaupt tänzerisch arbeiten zu können. Ich wollte Tanz in meine Figurentheaterarbeit einfließen lassen, also die Arbeit zwischen einem externen Körper und meinem eigenen Körper. Bei der Improvisation am Anfang einer Stückentwicklung funktioniere ich am besten über die Körperarbeit und nicht über Sprache. Ich habe herausgefunden, dass ich mich und das jeweilige Thema der Inszenierung erstmal „bewegen“ muss. Figuren, Objekte und Material bekommen durch die körperliche Interaktion neue Dimensionen, die sehr tief gehen können und gleichzeitig viel Lust machen.
Seit 2012 arbeiten Sie mit dem Goethe-Institut zusammen, gastieren und geben Workshops in Ländern wie Iran, Myanmar, Libanon, zuletzt im März in Pakistan. Welchen Stellenwert hat diese kulturell-politische Arbeit für Sie?
Ich war während des 11. Septembers 2001 in Pakistan, in Karatschi, weil ich mit einem Kinderstück eingeladen wurde, das ich im pakistanisch-amerikanischen Kulturinstitut spielen sollte. Die Gefahrenlage, in der wir spielten, war damals extrem hoch. Dieser starke Crash von Kultur und Politik hat mich unglaublich geprägt. Ich habe in dieser Zeit verstanden, gegen welche Widerstände manche Künstler*innen in manchen Ländern überhaupt arbeiten.
Glücklicherweise wurde ich vom Goethe Institut sehr oft eingeladen, in einzelnen Ländern auch mehrfach, damit wir vor Ort auch etwas aufbauen konnten. Auch wenn das kitschig klingt, kann ich mich wirklich glücklich schätzen, dass ich da mitarbeiten und unterstützen darf. Ich bringe Angebote mit, wie z.B. Improvisationstechniken, gebe Impulse. Ich gehe nicht hin und erkläre, wie Kunst geht, weil wir die besseren sind und weil wir jetzt in Europa verstanden haben, wie Demokratie läuft und damit auch ein besseres Kulturverständnis mitbringen. Das ist alles Quatsch, das mache ich nicht.
Für mich ist klar geworden: Kunst ist ein perfektes Dialog-Mittel, um über Grenzen und Problemfelder wie Religion oder politische Ausrichtungen hinwegzukommen. Mit Kunst können wir uns verstehen. Das ist ein tolles Mittel, um zueinander zu finden, um sich zu unterstützen, also um überhaupt zu begreifen: wer ist das Fremde oder das Andere? Es geht um Solidarität.
Anne-Kathrin Klatt in "Solo mit Nase" © Jessica Plautz
Nun leiten Sie schon seit knapp drei Jahren das Theater am Torbogen. Sie haben 2021 während der Pandemie angefangen und sind angetreten, den für das TaT neuen Programmschwerpunkt Figurentheater zu etablieren. Was gab es dabei für Herausforderungen? Hatten Sie Erfolg?
Ich bin angefragt worden von Heidi Heusch, die das Theater am Torbogen mit Reinhard Kilian gegründet und ganz stark theaterpädagogisch gearbeitet hat, und die nun eine Nachfolge suchte. Das hat mich sofort angesprochen, mal in die Richtung zu denken, nicht nur Künstlerin und Spielerin zu sein, sondern etwas auf einer anderen Ebene gestalten zu können. Ein Haus für Figurentheater zu gestalten, da etwas aufzubauen in diesem wunderschönen Gebäude, einem ehemaligen liebevoll renovierten Schafstall, in dem ich großes Potenzial erkannt habe. Das Gute daran, im Lockdown anzufangen, war, dass wir Zeit und Kraft hatten, das Haus strukturell überhaupt aufzubauen. Wir haben ein kleines Team gegründet und dann erst mal die Organisationsabläufe festlegen müssen. Und seitdem arbeiten wir am Aufbau dieses Hauses.
Es ist ein ganz langwieriger Prozess, ein Haus, dem ein bestimmtes Format anhaftet, zu verändern und wachsen zu lassen. Ich wollte keinen Krach machen, alles abschaffen, was vorher war, und ganz neu anfangen, sondern ich wollte alte Sachen, die super funktioniert haben, bewahren und Neues an den Start bringen. Wir wollen ein Theater der Vielfalt sein, mit dem Schwerpunkt Figurentheater.
Dadurch, dass das Haus ursprünglich stark theaterpädagogisch aufgestellt war, schlug ich ein neues Konzept vor. Wir haben „Drei Leuchttürme“: Das eine ist und bleibt die Theaterpädagogik in Form der TaT-Spielclubs für Kinder und Jugendliche, sowie der Ausbau der Schulkooperationen. Der nächste Schwerpunkt heißt Spielplan. Wir haben es jetzt geschafft, dass wir letztes und dieses Jahr tatsächlich rund 70 bis 80 Vorstellungen auf dem Spielplan haben, in einer Mischung aus Figurentheater und Schauspiel für Erwachsene und für Kinder. Der dritte Leuchtturm ist das generationsübergreifende Bürger___Ensemble, mit Spieler:innen von 19 bis 65, das von Michael Miensopust geleitet wird und das es so vorher nicht gab.
Diese Herangehensweise funktioniert sehr gut. Es gelingt uns immer mehr, die Figurentheater-Form zum einen regelmäßig zu zeigen und zum anderen auch nicht vor experimentellen Projekten zurückzuschrecken. Und wir zeigen den Nachwuchs. Das ist ganz wichtig und natürlich klasse, weil ich ja auch an der HMDK Stuttgart unterrichte, die Leute kenne und jungen Künstler:innen eine Plattform geben möchte, sich zu zeigen.
So eine Plattform gibt es bei Ihnen ab morgen wieder: Vom 17. bis 27. November findet zum dritten Mal das Festival „Unikate“ statt. Mit dabei ist u.a. auch Lukas Schneider, der diesjährige Gewinner des Fritz-Wortelmann-Preises. Wie geht es nächstes Jahr weiter mit dem TaT, was gibt es für Pläne?
Dadurch, dass wir in so vielen Kooperationen sind und alle drei Sparten immer wieder eine Art Booster brauchen, merken wir natürlich, dass der Workload extrem hoch geworden ist. Das heißt, wir sind gerade dabei, Personal aufzustocken, weil ich dringend jemanden brauche, der sich mit dem Finanzwesen beschäftigt.
Dann machen wir regelmäßig Kulturpolitik. Wir waren in der Förderlandschaft wie eine bunte Kuh, wir haben nirgendwo richtig reingepasst. In diesem Jahr sind wir aber in die institutionelle Figurentheater-Förderung vom Land gekommen. Das ist super. Damit sind wir nicht nur mehr ein Amateurtheater, sondern ein Privattheater mit Amateurtheateranteil.
Die Stadt hat das Haus gekauft, wir kriegen nächstes Jahr den doppelten Etat von der Stadt und vom Landkreis; das sind alles sehr starke Zeichen, dass man uns in der Stadt unterstützt und dass man diese Theaterform auch möchte. Daran werden wir weiter arbeiten, weil wir dadurch auch die Projekte machen können, die wir uns vorstellen.
Was stellen Sie sich zum Beispiel vor?
Ein großes Projekt wird nächstes Jahr im Rahmen des 750-jährigen Jubiläums von Rottenburg entstehen: „Wunderwelt Kreuzerfeld“. Da werden wir zusammen mit dem Künstler:innenduo „Casa Magica“ aus Tübingen und Figurenspieler:innen ein Fassadenschattenspiel an einem Hochhaus kreieren - eine Verbindung von Figurentheater, Körper und Lichtprojektion, in dem eher prekären Hochhausviertel Kreuzerfeld, welches international bewohnt wird.
Weil erfahrungsgemäß viel in der Kernstadt stattfinden wird, aber die umliegenden Ränder überhaupt nicht bespielt werden, war meine Idee, genau dorthin zu gehen. Geplant ist aber nicht einfach nur eine Präsentation, sondern auch Teilhabe durch Workshop-Angebote im nebenliegenden Familienzentrum und durch Quartiersvermittlung.
Anne-Kathrin Klatt in "Wild Beauties" © Jessica Plautz
Haben Sie denn bei den ganzen organisatorischen, administrativen Aufgaben noch Zeit für Ihre eigene künstlerische Arbeit?
Ich habe kürzlich ein neues Kurzformat fürs Abendprogramm gemacht, „Wild Beauties - Artenwandel unter der Paillettensonne“. Dafür habe ich tatsächlich im Sommer mal ausprobiert, mir neben dem Büro auch Probenphasen einzuräumen. Das war eine echte Challenge. Man braucht für Organisationsaufgaben ein anderes Gehirn als für das Kreative. Und dazwischen immer zu switchen ist wahnsinnig schwierig und anstrengend. Der Schlüssel bei diesem Projekt war, dass ich gesagt habe: ‚Es muss mir einfach Spaß machen. In dem Moment, wo es mir keinen Spaß macht, gehe ich aus dem Probenraum raus, weil ich die Energie brauche‘. Das hätte ich mir früher nicht erlaubt oder das Risiko wäre mir zu groß gewesen. Ich verlasse mich mittlerweile immer mehr auf meine Inuition, was spielerisch funktioniert und was nicht.
Für mich als Intendantin und auf der anderen Seite als Künstlerin ist aber genau Ihre Frage die große Herausforderung, der Spagat. Deswegen haben wir gesagt, dass wir es nächstes Jahr schaffen müssen, mich im Büro immer mehr zu entlasten. Weil wir jetzt mehr Förderung bekommen und die große Aufbauarbeit fürs erste gemacht ist, sind wir auch in der Lage, dass wir das überhaupt mal denken können. Ansonsten wird dieser Spagat auf Dauer, glaube ich, nicht funktionieren. Ich weiß es auch aus Erfahrung von anderen: Das kann man eine Zeit lang machen, in so einem Haus auf 1000 Hochzeiten zu tanzen, aber nicht dauerhaft. Da verbrennt man sich. Zum Glück sind der Trägerverein und ich uns einig: Es kann nur darum gehen, dass die besten Kompetenzen zusammenkommen. Und meine beste Kompetenz ist mal ganz ehrlich gesagt nicht unbedingt Schreibtischarbeit, sondern gestalten, Konzepte im Team denken, Projekte realisieren und spielen. Das ist mein künstlerisches Selbstverständnis. Das ist also der nächste wichtige Schritt für das Haus.
Dann wünsche ich Ihnen für diesen Schritt viel Erfolg und danke für das Gespräch!
Das Interview führte Moritz Buchmann.
Hier geht's zum Szene-Eintrag vom Figurentheater Anne-Kathrin Klatt und hier zur Website.
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