Wie eine große Spielwiese - Albrecht Roser
Kann man sagen, dass du bei Albrecht Roser gelernt hast?
Ja, das kann man ganz bestimmt so sagen, was das Puppenspiel betrifft. (...) Das Grundhandwerk des Puppenspiels, doch, das muss man unbedingt sagen, das hab ich von ihm. (...)
In Paris, irgendwann während der Zeit, in der ich noch Eurythmie studierte, hab ich auf der Straße, mitten in der Fußgängerzone zwischen hin und her strömenden Menschen, einen kleinen Geiger gesehen, eine winzig kleine Fadenmarionette. Das war ein ganz leidenschaftlicher kleiner Geiger. Das hat mich einfach hingerissen und das hab ich nie vergessen. (...)
Es war noch ein langer Weg, aber irgendwann saß ich dann im Studio von Herrn Roser und sagte zu ihm: "Ich bin Eurhythmistin, aber gerade dabei, mich anders zu orientieren, könnten Sie irgendwas mit mir anfangen?"
Er konnte nicht wirklich was mit mir anfangen, aber dann meinte er: "Ich gebe gerade einen Kurs, in dem ich mit Laien die "Zauberflöte" einstudiere. Da kommen Sie mal vorbei." Ich bin dann hingegangen. (...) schließlich war ich mit vier oder fünf Eurhythmistinnen und einem Schauspieler an seinem Don Juan Projekt mit der Bach Akademie beteiligt.
Er stellte uns die wunderschönen, von seinem Sohn Sebastian geschnitzten Figuren zur Verfügung und er ließ uns ‒ das war wie eine große Spielwiese ‒ alles ausprobieren mit den Figuren. Er gab uns Anregungen und es war so, als ob wir ewig Zeit hätten; er machte nie Druck, dass jetzt etwas entstehen müsste. Er ließ uns einfach machen und schöpfte aus dem, was wir ihm anboten. Und so ganz nach und nach und fast unmerklich entstand dann etwas. (...) Es war eine wunderschöne, aber auch eine sehr, sehr harte Zeit. Wir waren freigelassen und damit auch aufeinander losgelassen. Es entstanden ungeheure Konkurrenzkämpfe und irgendwann sagte er, verschmitzt lächelnd: "Es ist doch sehr interessant, was da so um den Don Juan entsteht an Konkurrenz!" Und das passte natürlich wunderbar zum Thema, die vier oder fünf Frauen, die sich um diese aristokratische, schöne Puppe versammelten und ihn auf Händen trugen, im wahrsten Sinn des Wortes. (...)
Welchen Einfluss hatte Albrecht Roser auf dich, auf deine Arbeit?
(...) Was er [in den vier Jahren, die ich bei ihm gelernt habe], in mir wachgerufen hat, war diese Hingabe an die Marionette, an die Puppe und dieses sich von der Figur führen lassen, so wie auch er sich bei der Regie von uns hat führen lassen. Das Grundlegendste dabei war sein Blick. Wenn er mir zugeschaut hat, dann kamen aus mir einfach Sachen raus, die ohne seinen Blick nicht herausgekommen wären. Später musste man das dann alleine tun, aber er bewirkte sehr viel nur durch seine Aufmerksamkeit und durch seine ganz wenigen Bemerkungen. Für mich war die wichtigste davon: "Jetzt sind Sie drin, passen Sie auf. Jetzt können Sie praktisch machen, was Sie wollen, das wird immer richtig sein." Das waren Schlüsselmomente; bei mir dauert das immer sehr lange, bis ich das Gefühl hab, jetzt führt sie mich, die Marionette. Ja, das ist eigentlich das, was er mir vermittelt hat: sich führen lassen von der Marionette.
Die Gleichberechtigung von Spieler und Puppe. Ist das die Basis dafür?
Ja, das ist auch ein interessantes Kapitel: was die Puppe nicht spielen kann. Was ich so oft sehe bei bei Puppenspielern, das ist die Überforderung der Marionette, und das ist etwas, was Herr Roser nie machen würde! Oft werden ja Marionettenstücke praktisch so gemacht wie Schauspielstücke, oder es gibt einen Plan, etwas Ausgedachtes, das die Puppe erfüllen soll. Herr Roser macht das wirklich auf die genau entgegengesetzte Art ‒ und ich auch, in meiner Arbeit. Man hat eine Idee zu einer Figur, man macht die Figur, aber was die Puppe nun genau spielt, das weiß man nicht. Also sich wirklich führen lassen von der Puppe, auch in das Stück ...
... da besteht eine ganz klare Verbindung zwischen Albrecht und dir?
Ja unbedingt.
Ilka Schönbein ist Figuren- und Maskenspielerin, Tänzerin und Schauspielerin. Ausgebildet unter anderem in Stuttgart bei Albrecht Roser, entwickelte sie ihre suggestive Bühnensprache auf den Straßen und Plätzen deutscher und französischer Städte. Seit den achtziger Jahren ist Ilka Schönbein mit ihrem Theater Meschugge auf den Straßen unterwegs. 1994 erhielt sie den Kritikerpreis des Mimos-Festival von Perigueux. 1997 brachte der deutsch-französische Kultursender arte ein Porträt über sie. Ilka Schönbeins Theater ist jedoch nicht nur auf den Straßen, sondern auch auf den Bühnen vieler bedeutender internationaler Festivals zu Gast.
Das zitierte Interview entstand während der Dreharbeiten zu folgendem Film über Albrecht Roser:
Leben und Werk Albrecht Roser
Laufzeit ca. 80 min, plus eine gekürzte Version von 45 min.
Voraussichtliche Premiere: April 2011
Eine Poscimur Pictures Produktion
in Kooperation mit der Merz Akademie Stuttgart und der Hochschule der Medien Stuttgart
Regie: Janis Klein/Patrick Schubert
Produktion: Robert Pop
Kamera: Dominik Apanowicz