Die aktuelle Kritik

Fundus Theater Hamburg: „Gelb und Rosa“

Von Falk Schreiber

Theologische Fragen im Kindertheater? Julia Hart verzichtet mit „Gelb und Rosa“ auf Antworten und mutet ihrem jungen Publikum zu, Unterschiede auszuhalten. Das allerdings mit großem Charme.

Eine rosa Kugelfigur und ein gelber Kantentyp liegen auf einer Wiese. Im Programmzettel werden sie als „Holzkerle“ bezeichnet, aber erstens haben sie nichts Kerliges an sich, und zweitens wirken sie nicht wie aus Holz, sondern weich und elastisch: Iris Holstein (auch Bühne) hat Johannes Nehlsen (Gelb) und Eva Pauline Loska (Rosa) in wuchtige Schaumstoffkostüme gezwängt, die die Rümpfe vergrößern und die Extremitäten als stummelartige Fortsätze erscheinen lassen. Ein wenig erinnern die beiden Gestalten so an Marionetten. An weiche, unbeholfene Marionetten.

Jedensfalls: Vögel zwitschern, Gitarren klimpern, eine Kuh (Florian Weigel) grast, ein Huhn (Madeleine Lauw) steppt vorbei. Und als Gelb und Rosa erwachen, finden sie sich nicht zurecht. Kurz bewegen sie die Knöchel, dann kippen sie zur Seite und wissen weder, wo sie sind, noch, wo sie herkommen. Ein Lied: „Ich bin rosa, ich bin gelb, na toll. Doch was das alles wohl bedeuten soll? Fragezeichen … Wer sind wir?“ Womit die zentrale Frage von Julia Harts ab acht Jahren empfohlenen Kinderstück „Gelb und Rosa“ am Hamburger Fundus Theater auf dem Tisch liegt: Wo kommen wir her, wo gehen wir hin?

Ziemlich schnell wird die einstündige Produktion so zum theologischen Diskurs: Rosa glaubt, dass die beiden Figuren von irgendjemandem hergestellt wurden. Gelb ist hingegen der Meinung, dass ihre Existenz reiner Zufall sei. Die Kuh weiß nicht so recht. Und das Huhn bekennt krähend, keine Ahnung zu haben und sich darüber auch keinen Kopf zu machen: „Tut mir leid, ich habe keine Aaaaaaaahnung!“ Reizend. Das macht ziemlich großen Spaß, weil die vier Darsteller*innen ihre Rollen mit Leidenschaft performen, weil Daniel Huss’ Songs jedes aufgeworfene Problem in griffige Zeilen und mitreißende Rhythmen packen, nicht zuletzt aber auch, weil die karikierenden, jeglichen Realitätsbezug auflösenden Kostüme das Gezeigte von einer echten Wiese in einen Gedankenraum verschieben.

Die Kostüme machen auch noch eine weitere Ebene des Stücks auf: Gelb und Rosa sind eindeutig keine Menschen, es sind schaumstoffummantelte Comicfiguren, im Grunde sind es – Puppen. Und bei Puppen bekommt die Frage „Hat uns jemand gemacht? Und wenn ja: Wer?“ eine zweite Bedeutung, da tauchen nämlich Ideen von einer Regisseurin, von einem Puppenspieler auf. Meta-Kindertheater! Gelb und Rosa erweisen sich hier (trotz ihrer eindeutig menschlichen Spieler*innen) als Geschwister im Geiste von Ernie und Bert aus der Sesamstraße, zwei menschenähnlichen Handpuppen, die regelmäßig ernste bis existenzielle Fragen kindgerecht und humorvoll diskutieren.

Tatsächlich finden Ernie und Bert in der Sesamstraße nur äußerst selten einen Konsens, bleiben aber dennoch Freunde (wobei der genaue Charakter der Beziehung zwischen den beiden Figuren immer wieder diskutiert wird). Und Freundschaft trotz eigentlich unversöhnlicher Positionen ist tatsächlich auch das Thema von Harts Inszenierung: Gelb hat für seine Glaubensskepsis zwar einleuchtende Argumente, verkompliziert die aber immer weiter, bis er selbst nicht mehr versteht, wofür er eigentlich streitet. Und Rosa mag mit ihrem beharrlichen „Jemand muss uns gemacht haben!“ die einfachere Lösung haben, aber womöglich ist diese Lösung ja zu einfach?

„Ich glaube, manche Fragen kann man einfach nicht beantworten“, schließt Gelb die Diskussion ab, was auch nichts anderes heißt als „We agree to disagree“. Und dass man solche unterschiedlichen Positionen einfach mal aushält, das ist nicht die schlechteste Moral, die ein Stück für eine junge Zielgruppe haben kann. Dass man zum Schluss den rosa-rundlichen Körper an die gelb-eckigen Gliemaßen des Liebsten kuscheln kann, auch wenn der eine eigentlich unversöhnliche Haltung vertritt. Weil es nämlich mehr gibt als Rechthaben.

 

Gelb und Rosa
24.01.2020

Regie: Julia Hart
Spiel: Eva Pauline Loska, Madeleine Lauw, Johannes Nehlsen, Florian Weigel
Ausstattung: Iris Holstein
Musik: Daniel Huss
Assistenz: Ellen Stein
Licht: Sönke Herm
Kinderphilosophin: Yasmin Calvert
Foto: Ina Oertelt

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