Die aktuelle Kritik

Cie. Freaks & Fremde / JuWie Dance Company: "Songs For Bulgakow"

Von Andreas Herrmann

Szenen, Tänze, Lieder, Fantasien - eine Hommage an den russischen Schriftsteller.

 

Foto: Jean Sebastian Nass

Foto: Jean Sebastian Nass
 

Hemmungslose Sympathie für den Teufel

Bulgakow zu verstehen, hieße Russland verstehen. Beides ist schwer, aber nötig. Just vor 75 Jahren, genau bis zum 10. März 1940, hielten Bulgakows Freunde Wache am Krankenbett und seine Frau schrieb jedes Wort des Sterbenden mit. Nun, 75 Jahre später, leisten ihm sieben Dresdner Künstler per Hommage Tribut.

Man kann sich für die künstlerische Leitung eines solchen Projektes weit und breit keine Verwegeneren vorstellen als die federführende Cie. Freaks & Fremde in persona von Sabine Köhler und Heiki Ikkola, die sich seit neun Jahren internationalen Kooperationen und heiklen Themen widmet und nun die drei Damen der JuWie Dance Company sowie Frieder Zimmermann und Vladimir Vaclavek an diversen, zumeist Saiteninstrumenten, dazu holten.

Um das, was passiert, zu verstehen, bedarf es Vorkenntnissen. Zumindest der Untertitel der neuen Dresdner Gesänge für den großen, absurden Sowjetbürger, der sich selbst an einer Ode für Stalin verhob, sollte bewusst sein: „Szenen, Tänze, Lieder, Fantasien – eine Hommage an Michail Bulgakow“. Denn es wartet kein normaler Theaterabend, sondern eine wilde Performance. Die beginnt mit Slapstick – Bulgakow hatte als Zivilarzt, nachdem er zuvor im russischem Bürgerkrieg von der ukrainischen zur Roten Armee „wechselte“, mehreren Damen diverse Körperteile zu amputieren. Sie wird zu Tanz, dann wieder kurz zu Figurentheater mit Fingerspiel, um in einem Bilderrausch zu enden, bei dem ein blauäuiger, nackter Molieré – offenbar als Metapher von Bulgakows Verhältnis zu Stalin – als Puppe dem Treiben seines verhassten Sonnenkönigs entgeistert zusieht und sinnierend über die Trümmer der Macht steigt.

Als Köhler kräftig knarzend „Pleased to meet you / Hope you guess my name“ in einer eigenwilligen und dennoch satten Version von „Sympathy for the Devil“ der Stones, wie alle Musik live beeindruckend gespielt, singt, und alle anderen eine pulsierende Don-Stahlstadt mittels Papprollen und unter kräftigem Schwung der roten Fahne auf- und wieder abbauen, wähnt man sich schon in abschließender Hymnenlaune und alsbald auf der angekündigten Russenparty, die korrekterweise Sowjetmugge heißen müsste.

Doch gefehlt, es wird noch einmal dramatisch, nachdem im Song per Zarenmord die Revolution ausgelöst wird: „Was Dich verwirrt, ist wohl, auf welche Art ich mein Spiel treibe“, schrieb Mick Jagger nach Genuss von „Der Meister und Margarita“ (angeblich ein Geschenk von Frau Faithfull) in seinen teuflischen Refrain. Das trifft es gut.

Ikkola, allein unter vier Grazien in einer Show, in der nicht alles gelingt und die von den ausgelösten Assoziationen und Emotionen lebt, zitiert den Meister direkt: „Auf dem weiten Feld der Literatur war ich in der UdSSR der einzige literarische Wolf. Man gab mir den Rat, mir den Pelz zu färben. Ein törichter Rat. Ob gefärbt oder geschoren – ein Wolf wird nie wie ein Pudel aussehen.“ Und einsam sterben, wenn das Rudel abfällt.

Draußen vor der Tür ging der Theaterabend am doppelten Premierenwochenende mit insgesamt 500 (!)  Zuschauern sofort in eine Party über: Das ganze Lab 15, ehemals als Derevo-Laboratorium bekannt und noch heute als kreativ genutzte Industriebrache mit dem Charme sowjetischer Kasernen behaftet, war dafür ganzheitlich liebevoll – so mit Freiluftsauna und Toiletten mit Plastevorhang – hergerichtet, die Nacht frostig kalt, aber klar und trocken.

Nach dieser Premiere ist eigentlich unvorstellbar, dieses Stück vom Norden der Stadt ins edel sanierte Barockviertel, in dem das Dresdner Societaetstheater an der ehemaligen Straße der Befreiung firmiert, zu transformieren. Doch genau dort, an der Stätte der Koproduktion, ohne jene etliche Freie viel ärger darben müssten, wird das Stück die nächsten Aufführungen erleben. Ein Vorteil des großen Saal wird sein: Das Puppenspiel, vor allem das biografische Fingerspiel in einer Pappkistenbühne, wird für alle besser zu sehen sein.

 


Premiere: 27./28. Februar 2015

 

Lab 15 & Societaetstheater Dresden, „Songs for Bulgakow“
Szenen, Tänze, Lieder, Fantasien - eine Hommage an Michail Bulgakow

Regie & Ausstattung: Sabine Köhler, Heiki Ikkola
Chereografie:  Jule Oeft, Wiebke Bickhardt, Yamile Navarro
Musik:  Frieder Zimmermann, Vladimir Vaclavek

Es spielen: Wiebke Bickhardt, Heiki Ikkola, Sabine Köhler, Yamile Navarro, Jule Oeft, Vladimir Vaclavek,  Frieder Zimmermann

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