Fundus Theater Hamburg/Die Neue Kompanie: „Grusel Grusel – Das ABC der Monster“
Der Horror lauert im Staubsauger. Staub, Asche, Dreck. Und ein Gebiss, das sich mit Lust durch die undefinierbare graue Masse frisst: ein Vampir. „Vom Staub verdeckt, im Sauger versteckt“, wird der Unhold beschrieben: „Verblendet, verblüht, verbissen, verbliche. Und noch nicht mal einen Menschen gebissen.“ Huah!
Die Hamburger Theatergruppe Die Neue Kompanie dekliniert in „Grusel Grusel“ ein „ABC der Monster“ durch: von Argos (ein hundertäugiger Riese aus der griechischen Mythologie) über den slawischen Naturgeist Mittagsfrau und das neuseeländische Drachenwesen Taniwha bis zu den allgegenwärtigen Zombies, ein A bis Z des Schreckens. Und zu all diesen unheimlichen Wesen gibt es nicht weniger schreckliche Kurzfilme, zwei- bis dreiminütige Stop-Motion-Animationen, in denen die Protagonisten vorgestellt werden. „Dschinni, der Flaschengeist, dümpelte in der Duschwanne von Deborah vor sich hin“, heißt es alliterationsbegeistert. „Mit Dutt und Duschhaube verlangte Deborah dauernd Dschinnis Dienste. Doch dann drehte Dschinni sein eigenes Ding.“ Und Dschinni ist einfallsreich: In Gestalt eines Schwammes richtet er ein seifeglitschiges Chaos im Badezimmer an. Womit sich der Flaschengeist zwar als nervtötende, im Grunde aber eine der harmloseren Figuren bei „Grusel Grusel“ erweist. Später wird nämlich auch noch nach Herzenslust gesplattert, mit einer untoten Gemüseplatte, die sich aus einem Kompostgrab erhebt, mit einer Gurke, die sich unter Messerbehandlung nicht in Gurkensalat verwandelt, sondern hydrahaft ständig neue Glieder nachwachsen lässt.
Und das ist vielleicht ein Problem des insgesamt gut einstündigen Films „Grusel Grusel“: Die Neue Kompanie um die Performerinnen Ekaterina Statkus und Helen Schröder hat hier in liebevoller Kleinarbeit Monster in Alltagsgegenständen entdeckt, einen Geist in der Duschgelflasche, ein gefräßiges Tier im Ökomüll, ein böses Märchen im Nudelgericht. Die kurzen Filme sind mal lustig, mal erschreckend, immer sind sie aber hochkreatives Objekttheater, dem durch die kurzen Texteinführungen eine kluge zweite Ebene eingezogen wird. Bloß: Das koproduzierende Hamburger Fundus Theater, auf dessen Website „Grusel Grusel“ zu sehen ist, weist das Projekt ab sechs Jahren aus, und das macht die Arbeit schwierig. Denn es geht hier immerhin nicht ausschließlich um lustig-anarchische Flaschengeister, es geht auch um Messer, Schleim, Schmerz und Tod, und dass sich diese Begleiterscheinungen des Grusels in handelsüblichen Haushaltsobjekten verstecken, dürfte Sechsjährige ernstlich verstören. In dieser Welt sind die Gegenstände nicht beseelt wie bei den ästhetisch verwandten Filmarbeiten der Augsburger Puppenkiste, sie sind verflucht.
Ein wenig ist dem Projekt bewusst, wie die handwerkliche Perfektion und die liebevolle Detailtreue dafür sorgen, dass der wohlige Grusel immer wieder durch nackten Schrecken verdrängt zu werden droht. Dann werden kurze poetische Elemente eingefügt: der Eumel (eine Sockenpuppe, die Unordnung in fremden Wohnungen veranstaltet), der Nokk (ein musizierender Pak Choi, der sich nach Anerkennung sehnt), der Riesen Blob (ein Weltraummonster, das zwar auffrisst, was sich ihm in den Weg stellt, sich aber immerhin am Ende in einer grotesk-romantischen Szene verlieben darf). Das sind kurze Verschnaufpausen im großen Angst-Alphabet. Aber man darf sich nicht täuschen: Das nächste Reißzahnmonster wartet schon in der Abstellkammer.
Andererseits ist echter Grusel ja tatsächlich immer auch ein Nehmen des Atems. „Kinder kommen ins Kreischen beim Anblick der Krallen“ wird King Kong beschrieben – wer da keine echte Angst verspürt, der hat den Grusel nicht richtig mitbekommen. Entsprechend sollte man „Grusel Grusel“ nicht als bloße Märchenstunde unterschätzen: Das Projekt nimmt den Schrecken ernst. Todernst.
Grusel Grusel – Das ABC der Monster
Von Die neue Kompanie
Künstlerische Leitung: Ekaterina Statkus, Helen Schröder
Team: Christine Grosche, Katharina Irion, Angela Kecinski, Lea Kissing, Guy Marsan, Hanna Scherwinski, Helen Schröder, Edda Sickinger, Ekaterina Statkus, Giovanni Zocco