Theater Salz+Pfeffer Nürnberg: "Frankenstein"
Eine Geschichte, deren Inhalt hinlänglich bekannt ist, deren Botschaft tausendmal transportiert, deren Parabel tausendmal interpretiert wurde – kann die noch unterhalten, kann die überraschen, den Zuschauer packen, fesseln? Das Nürnberger Theater „Salz + Pfeffer“ zeigt: klar kann sie! Man muss ihr nur neues Leben einhauchen. Und wer könnte das besser als Puppenspieler!
Puppenspieler, die per se nichts anderes tun, als toten Dingen zu Lebendigkeit zu verhelfen, die formlosen Haufen ein Gesicht, die seelenlosen Klumpen eine Stimme verleihen. Wie Victor Frankenstein, Mary Shelleys Prometheus des frühen 19. Jahrhunderts, der auszieht aus dem beschaulichen Elternhaus, um in Ingolstadt die Medizin, das Leben, den Tod zu erforschen, sich aufschwingt zum Schöpfer und so tief fällt, wenn die Kreatur sich gegen ihn wendet und er die Kontrolle über das Monster verliert.
Das passiert Wally und Paul Schmidt niemals. Mit geschickten Händen bauen die Spieler die beiden so steifen und gleichzeitig doch so gelenkigen Holzgestelle, die zu Victor Frankenstein und dessen Gefährtin Elisabeth erwachen, zu immer neuen Bildern um, treten zurück, lassen die Szene wirken, lassen die Protagonisten sprechen, erzählen. Während die mal düsteren, mal schrägen, stets eindringlichen Klänge des Cellos, das mit Nico Nesyba den Zuschauer die ganze Geschichte hindurch führt und aus der Abschlussarbeitsfeder des Komponisten Julian Habryka stammt, für die akustische Atmosphäre sorgt, flirren im Hintergrund übergroße Bilder, die in ihrem Aufbau so schlicht, in ihrer Wirkung so beengend wirken.
Vor diesem Hintergrund also spielt sich das Drama des Monsters ab. Des Monsters, das erschaffen wird, indem Frankenstein im Labor wütet, einem Alchemisten gleich glibbrige Organe, widerspenstige Hirnmasse, leuchtende Augäpfel zu einem neuen Ganzen zusammenfügt, um sich seiner Liebe zu widmen, während die Kreatur zum Leben erwacht und aus der Eihülle schlüpft. Durch geschickt ins Spiel eingebaute, kaum auffallende Drehungen und Hebungen der auf der Bühne platzierten Holzwürfel entsteht geschwind die jeweils passende Szenerie.
Wenn die Kreatur erwacht, beginnt das geniale Spiel der Wally Schmidt, die einem zusammengestückelten Gummihaufen auf die Welt verhilft. Die ihm das Gehen beibringt, das Lesen, das Sprechen, die ihn schwer atmen, sich unheilbringend umherschleichen lässt, dem Monster ein Herz verpasst und einen Herzschlag gleich mit dazu, während Paul Schmidt mit Victor Frankenstein um die tote Elisabeth trauert. Es ist eine berührende Geschichte, die das Trio unter der Regie von Annalena Maas in einer Stunde auf die Bühne bringt – und an deren Ende das Monster, einsam, gebrochen und seiner eigenen Abscheulichkeit müde, zu Grabe getragen wird.
Premiere: 24. Juni 2016