Die aktuelle Kritik

Fundus Theater Hamburg: "1400 Tonnen Sand"

Von Falk Schreiber

Das Fundus Theater in Hamburg ist eigentlich Spezialist für ein immersiv forschendes Kinderpublikum. Mit „1400 Tonnen Sand“ schleicht sich das traditionelle Puppenspiel in die Immersion zurück. Und am Ende hat man wieder was gelernt.

9. Februar 2024

Das Hamburger Fundus Theater ist auf Sand gebaut. Das 2022 bezogene Gebäude ist der perfekte Ort für experimentelles Kinder- und Jugendtheater, mit variablen Bühnen, ausreichend Platz für immersive Studien und einer widerstandsfähigen Einrichtung. Aber eben auch mit viel Beton, und für die Erzeugung von Beton braucht man Sand. Viel Sand, 1400 Tonnen, um genau zu sein. Was in etwa sieben Billionen Sandkörnern entspricht, rechnet Hanno Krieg vor. Das ist ohnehin eine Spezialität dieses Theaters: dass man ziemlich viel Energie aufwendet, um aus einer kaum verständlichen Information eine weitere Information herauszudeuten, mit der sich zwar noch weniger anfangen lässt, aber egal.

„1400 Tonnen Sand“, gedacht für Kinder ab drei Jahren, ist im engeren Sinn Objekttheater, bei dem ein zentrales Objekt die wichtigste Rolle übernimmt. Das Objekt ist Sand, und der Sand bringt die Handlung in Gang: als unerlässliches Arbeitsutensil des Sandmanns, der das junge Publikum ins Reich der Träume entführt. Und gleichzeitig beendet der Sand auch das Stück: Am Bühnenrand rieselt eine Sanduhr vor sich hin, und nachdem die nach rund einer Stunde durchgelaufen ist, ist das Stück zu Ende. Das Objekt als Akteur.

"1400 Tonnen Sand": Hanno Krieg © Margaux Weiß

Sand wird inspiziert, per Lupe. Die Kinder entdecken, dass Sand von der Insel Rügen anders aussieht als derjenige aus Namibia, dass Sand von Fuerteventura nicht derselbe ist wie derjenige von der irischen Ostküste. Das Team hat ein umfangreiches Sandarchiv zusammengestellt, es gibt grobkörnigen Sand und feinen, schwarzen und roten, einer wirkt eher wie Zucker, ein anderer etwas lehmig. Krieg stellt einen extrem feinen Sand vor, der im Tschad vorkommt: Dort sei das Klima wüstenhaft, Pflanzen wüchsen keine, aber weil der Sand so fein sei, trage der Wind ihn fort, bis in den Regenwald am Amazonas, und dort wirke er als Dünger. Faszinierend. Und während das Publikum sich mit den unterschiedlichen Sanden vertraut macht, passiert eben das, was sich mit zunehmendem Vertrauen nicht vermeiden lässt: Man beginnt, den Sand zu mögen, man beginnt, einen Lieblingssand auszuwählen.

Weil Sand aber auch ein Industriematerial ist, ist er zum begehrten Rohstoff geworden. Stichwort Beton, Stichwort Theaterneubau. In ihrer Heimat Tansania werde Sand im großen Stil abgebaut, ohne Rücksicht auf die Bedürfnisse der Anwohner*innen, erzählt Weloba Mtaki. Und Sibylle Peters demonstriert das dann in dem Sandkasten, der hier die Bühne darstellt: Ein Spielzeuglaster rumpelt nachts durch die Dünen, und als die Bewohner am nächsten Morgen aufwachen, ist der Sand weg. Das ist einerseits eine drastische Darstellung, andererseits ist das Stück so plötzlich auch das geworden, was man am Fundus Theater gar nicht so gerne macht: klassisches Puppentheater mit echten Puppen, unspektakulären Spielzeugpuppen nämlich, die per Hand durch den Sandkasten geschoben werden, und mit einer Aktion, die sich auf der Bühne auch mit einer gewissen Spannungsdramaturgie entwickelt.

"1400 Tonnen Sand": Sibylle Peters © Margaux Weiß

Eine große Qualität von „1400 Tonnen Sand“ ist, wie das hier alles ineinandergreift: das Traditionelle und das Immersive, die Didaktik und das eigene Ausprobieren. Ja, es wird mit Puppen Theater gespielt, man begleitet Wüstenwanderer bei der Beobachtung, wie ein Blitz in den Sandboden einschlägt – und für den Fall, dass Kinder Angst bekommen angesichts des Donners und der Dunkelheit, nimmt ihnen Mtaki diese gleich wieder, indem sie bekennt, selbst Angst vor Gewitter zu haben. Deshalb weist Peters die Bühnentechnik dazu an, es möglichst leise donnern zu lassen. Aber dann reicht Krieg eben auch ein Stück Fulgurit ins Publikum, eine durch Blitzeinschlag in den Boden entstandene Röhre, auf dass sich die Zuschauer*innen selbst überzeugen können, wie Sand bei extrem hohen Temperaturen reagiert. Wieder was gelernt.

Die Initialzündung für die Inszenierung war eine Frage des Sandmanns, weswegen der Sand eigentlich ausgehe. Diese wird nicht befriedigend beantwortet, aber Peters glaubt ja ohnehin nicht an den Sandmann, also muss das auch nicht sein. Das Fundus Theater jedenfalls ist weiterhin glücklich mit seinen Theaterräumen, trotz Betonmauern. Aber ein Bewusstsein geschaffen haben Peters, Krieg und Mtaki dann doch, ein Bewusstsein für die Schönheit von Sand und für seinen einzigartigen Charakter. Dass Sand selten wird, lässt sich nicht verhindern, aber dass man diesen Prozess überhaupt wahrnimmt, das ist ein Verdienst von „1400 Tonnen Sand“.


Fundus Theater Hamburg: „1400 Tonnen Sand oder Warum dem Sandmann die Träume ausgehen

Entwicklung: Sibylle Peters, Hanno Krieg | Bühne: Hanno Krieg | Performance: Hanno Krieg, Sibylle Peters, Weloba Mtaki | Materialwissenschaftliche Beratung: Zoe Laughlin, Institute of Making | Licht: Brenda Alaís, Nicolas Wolf | Musik: Ansuman Biswas | In Zusammenarbeit mit: Lois Keidan und Studierenden der Hochschule Osnabrück und der Queen Mary University London

Premiere: 4. Februar 2024
Dauer: 1 Stunde

Für Kinder im Alter von 3 bis 10 Jahren und Erwachsene

Hier geht’s zum Stück und weiteren Spielterminen auf der Website des Fundus Theater.

 

0 Kommentare

Neuer Kommentar