Die aktuelle Kritik

Schauspiel Dortmund: "Moby Dick vs. A.H.A.B. – All Heroes are Bastards"

von Silvana Mammone

Die Retrofuturisten fragen philosophisch nach dem extremistischen Handeln.

 

Foto: Hupfeld

Foto: Birgit Hupfeld

 

Die Unfreiheit der Revolution

Schon wieder spielen im Schauspiel Dortmund Puppen die Hauptrolle: In der Uraufführung "Moby Dick vs. A.H.A.B. – All Heroes are Bastards" stellt das innovative Berliner Kollektiv Retrofuturisten auf philosophische und inszenatorisch fantasievolle Weise die Frage nach den Dynamiken und Kernproblemen extremistischen Handelns. Fazit: „Der Fisch stinkt vom Kopf her.“

Am Anfang ist der Kasper, steht eine humorvolle Abhandlung von Herman Melvilles Roman als Kasperletheater. Kunstvoll gefertigte Handpuppen, Barbies, Plüschtiere sowie ein überdimensionales Holzbein fassen den berühmten Klassiker der Weltliteratur zusammen: Kapitän Ahabs Wahn, Matrose Ismael, der Rest der Mannschaft, Wal, raue See und am Ende Tod. Das ganze untermalt mit Musik (Bernhard Range), die an den "Fluch der Karibik"-Soundtrack anmutet. Bühnenbild (Julia Plickat) und Licht entstehen während des gesamten Stückes durch vier, am vorderen Bühnenrand platzierte Diaprojektoren. Die fünf Spieler bemalen und beschriften Folien oder nutzen diverse  Materialien, um Effekte auf den Leinwänden zu erzeugen. Das bruchstückhafte, satirische Erzählen des anfänglichen Puppentheaters lässt die weltberühmte Jagd auf den weißen Wal bereits befremdlich, wenn nicht sogar absurd erscheinen und ebnet somit den Weg für den weiteren Stückverlauf. 

Die Jagd wird zur Metapher für die Revolution, Moby Dick zum Leviathan, den es zu töten gilt. Angetrieben werden die vier Ismaels, wie sich die Revolutionäre nennen, nicht von Kapitän Ahab, sondern vom eigenen Wahn, die Welt radikal zu verändern. So wird Ahab zum Slogan, dem ebenso blind und kompromisslos gefolgt wird, wie Melvilles Kapitän: „All heroes are bastards!“ Aber können wir jemals ausbrechen aus dem Körper des Staats, der gezwungenermaßen auch der unsere ist? Die Frage wird zunächst von den lauthals geschrienen Forderungen und Leitsätzen der Extremisten übertönt, die diese Ordnung nicht akzeptieren, denn sie wollen ihr Leben zurück. Ein Leben, das sie von Geburt an einsperrt in Normen und Handlungsmuster: „Schule. Höhere Schule. Höchste Schule. Freunde. Freundin. Familie. Kinder.“ Die Wahrhaftigkeit dieser Gefühle wird gekonnt zum Ausdruck gebracht und durch eine starke Farbsymbolik, die sich ausschließlich der Farben schwarz, weiß und rot bedient, untermalt. Düster ist die Welt, wie sie ist, blutig soll sie zu Grunde gehen, die Zukunft ist blank, wie die Leinwände des Bühnenrands. Ist die Revolution auch eine logische Konsequenz der Depressionen, in die der Staat als vorherrschende Ordnung seine Bürger führt, nimmt sie dennoch nicht die Angst vor der Zukunft. Denn was kommt nach dem Tod des Leviathans?

Im "Literarischen Quartett" werden die Revolutionäre zu Tode analysiert. Die narzisstischen und selbstgefälligen Akademiker und Politiker kommen im letzten Teil des Stücks mit doppeldeutig aufgeblasenen Köpfen (Puppenbau: Magdalena Roth) auf die Bühne. Dazu tragen die Spieler die überdimensionalen Köpfe von Marcel Reich-Ranicki, Helmut Schmidt und Sigrid Löffler. Diese bemerken überhaupt nicht, wenn sie etwas Sinnvolles sagen, denn sie sind zu sehr damit beschäftigt, sich zu streiten und intellektuell zu übertrumpfen. 

Während die übereifrigen Redner die Revolution zerreden, nimmt das Stück die drei bedeutsamen Persönlichkeiten satirisch auseinander, indem sie die Diskussion zum Kindergartenstreit mutieren lässt. Doch der  Inhalt hat seine zerstörerische Wirkung. Am Ende ist die Revolution auch bloß Opfer des Kapitalismus, denn sie spielt  ihm in die Hände, wenn sie den Staat zum Feindbild hat. Angst und Zwang bilden den Motor, der die Revolution in jeder Generation neu antreibt. Am Ende ist Letztere bloß „ein Fass mit festem Boden“, das dennoch in den Abgrund rollt. Es folgt bedrücktes Schweigen, ein kitschiger Schlager zum Abschluss. 

Roscha A. Säidows Inszenierung kritisiert so gekonnt wie sie analysiert, ohne jemals übertrieben abfällig oder predigend zu sein. Somit lässt sie in ihrer Komplexität viel Freiraum für die Entscheidung, was man als Zuschauer mitnimmt. Eine Moral gibt es nicht, außer vielleicht – dass der Fisch vom Kopf her stinkt. Egal, ob der Kopf in einen extremistischen Umsturzwahn oder einen selbstgefälligen Analysewahn treibt. Ob und wie wir den Leviathan heilen können, bleibt zu beantworten. 

 

Premiere: 27. März 2015

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