Die aktuelle Kritik

Kollektiv Objection/Schaubude Berlin: "Secret Ingredients"

Von Falk Schreiber

Asche zu Asche, Staub zu Staub, Körper zu Sauergemüse: Elisabeth Graaf und Laura Marleen Kreutz vom Berlin-Bielefelder Kollektiv Objection gehen mit „Secret Ingredients“ ans Eingemachte. An Alter, Siechtum und Tod nämlich.

19. März 2024

Laura Marleen Kreutz ist Lana Del Rey. „Let me kiss you hard in the pouring rain“, singt die Künstlerin in der Berliner Schaubude, „You like your girls insane, so choose your last words, this is the last time, ’cause you and I, we were born to die.“ Das ist Existenzialismus in der ganz billigen Version, aber falsch sind diese Zeilen ja trotzdem nicht: Im Grunde führt jedes Leben irgendwann zum Tod. Mit Ausnahme bei einer besonderen Quallengattung, die es geschafft hat, annähernd endlos zu leben, aber die ist als kleiner Schlenker dieses Abends auch keine echte Hoffnung. Jedenfalls nehmen Kreutz und Elisabeth Graaf von dem in Berlin und Bielefeld ansässigen Kollektiv Objection anlässlich von Kreutz’ 30. Geburtstag mit „Secret Ingredients“ das unvermeidliche Ende in den Blick: Alter, Siechtum, Tod. „We were born to die“, wir sind zum Sterben geboren. Und im Playback schwelgen die Streicher, puckern die Beats.

In neun Kapiteln deklinieren Kreutz und Graaf also das durch, was kommen wird. Die Vorbereitung aufs Altern, das würdevolle, das coole Altern, der Wunsch, dass man als „nice Oma“ tituliert wird. Die Ahnung, dass es womöglich ganz anders kommen wird. Das, was kommen wird: der Verlust von Selbstbestimmung, die Würdelosigkeit, die Pflege. Die Inseln, auf die sich Alte zurückziehen, die Wohnung, der Sessel, der Fernseher. Im letzten Kapitel dann geht es um „Die entscheidende Prüfung“: Wie soll es zu Ende gehen? Graaf und Kreutz entwerfen eine Patientenverfügung. Und scheitern.

"Secret Ingredients": Laura Marleen Kreutz © Lucia Alfaro Valencia

Das ist klug aufgebaut, als Nachspüren der Zweifel, der Unsicherheiten, die einem beim Denken ans Alter kommen. Und wenn die eigene Betroffenheit den beiden Künstlerinnen zu sehr den objektiven Blick verstellt, dann spielen sie Videointerviews ein, zur Frage, was Altwerden bedeutet. Was der Abend erstmal nicht ist: Puppen- oder Objekttheater. Im Gegenteil sind die beiden Performerinnen immer als Körper auf der Bühne präsent, verschwinden nie hinter einem Objekt. Tatsächlich ist ein wichtiger Teil von „Secret Ingredients“ der Körper und seine Fehleranfälligkeit. An einer Stelle demonstriert Graaf, wie ein alter Körper behandelt wird: Sie wäscht Kreutz, an den Schenkeln, zwischen den Brüsten, schließlich hinterm Ohr. „Da wasche ich mich nie!“, protestiert Kreutz, und das ist ein kleiner Hinweis darauf, wie die Selbstbestimmung verlorengeht. Und plötzlich ahnt man: In Wahrheit ist das hier eben doch Objekttheater. Mit der kleinen Spezifizierung, dass das, was objektifiziert wird, der reale Körper ist. Dazu passt, dass die beiden Performerinnen durchgängig in Unterwäsche agieren (Kostüme: Melchior Silbersack), nicht als erotisches Zeichen, sondern, weil es hier eben darum geht, sich auszuliefern. Nicht mehr zu handeln, sondern behandelt zu werden.

"Secret Ingredients": Laura Marleen Kreutz und Elisabeth Graaf © Lucia Alfaro Valencia

Über diese Objekttheater-Schiene fällt noch ein weiterer Aspekt von „Secret Ingredients“ ins Auge: Zentrales Requisit ist Gemüse, Kohl, um genau zu sein. Zu Beginn, in der Happy-Birthday-Szene, wird ein Rotkohl mit Kerze als Geburtstagskuchen aufgeschnitten, später wird Haut mit Blättern geschrubbt, werden Weißkohl und Wirsing zerhackt. Die Devise, dass mit Essen nicht gespielt werden sollte, ignorieren Graaf und Kreutz sträflich, aber irgendwann beißt sich Graaf in einem Kohlkopf fest, irgendwann werden die Kohlfetzen mit großen Mengen Salz vermischt, und schließlich legt sich die Künstlerin gemeinsam mit der Salz-Kohl-Masse in lauwarmes Wasser, fermentiert sich selbst. „Wenn wir fermentieren, bringen wir ein paar Milchsäurebakterien von unseren Händen mit in das zu fermentierende Gemüse“, heißt es. Asche zu Asche, Staub zu Staub, Körper zu Sauergemüse. Man könnte auch sagen: Graaf und Kreutz gehen ans Eingemachte. Womit die Lebensmittelverschwendung des Abends zweitrangig wird.

„Secret Ingredients“ ist Stückwerk. Fragen werden angerissen, aber nicht beantwortet, weil klar ist: Das, um was es hier geht, wird anders ablaufen als erwartet. Das Alter lässt sich nicht vorplanen. Dafür agieren die beiden Künstlerinnen mit Mut zur Selbstentäußerung, mit Freude an der szenischen Idee, auch mit sympathischer, dem Sujet angemessener Unsicherheit. Wenn man den Objekttheater-Ansatz des Abends ernst nimmt, dann ist „Secret Ingredients“ kaum erträglich. Und nur, weil der Abend auch Witz hat, weil seine Phantasie ansteckend wirkt, nimmt man die Tröstlichkeit des Schlusses an, der zurück zum Anfang führt: „Happy Birthday“, wieder ein Jahr älter.


Kollektiv Objection/Schaubude (Berlin/Bielefeld): „Secret Ingredients

Konzept, Performance: Elisabeth Graaf, Laura Marleen Kreutz | Konzept, Dramaturgie, Endregie: Irina Amstutz, Anna Höllmüller | Szenografie: Ins Meyer | Kostüme: Melchior Silbersack | Musik: Luka Kleine | Videokunst: Gabriel Jeanjean, Felix Zilles-Perels | Produktionsmanagement: Laurens Herzog

Uraufführung: 15. März 2024

Hier geht’s zur Website der Schaubude und hier zum Instagram Auftritt des Kollektivs Objection.

 

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