Die aktuelle Kritik

Puppentheater Magdeburg: "Froh ist der Schlag unserer Herzen"

Von Klaus-Peter Voigt

Wenn Schnattchen Rechenschaft ablegen muss.

Flure und Klassenzimmer hält die Putzfrau in einwandfreiem Zustand. Dann erlebt sie eine Zäsur im zur Normalität gewordenen Alltag. Zwischen Wandtafel und Schulbank werden Erinnerungen an die eigene Kindheit wach. Puppen, Bilder, Urkunden und Medaillen entführen in die Vergangenheit. Unter dem schnell abgestreiften blaue Kittel kommt eine Pionierleiterin der 1980er Jahre zum Vorschein. Das ist der Beginn einer Zeitreise mit Humor und Hintersinn am Magdeburger Puppentheater.

Jana Weichelt hat das Einpersonenstück „Froh ist der Schlag unserer Herzen“ schon seit ihrem Studium an der Hochschule für Schauspielkunst Ernst Busch im Repertoire. Dort entstand es vor gut zwei Jahren als Vordiplomarbeit. Jetzt nun der Sprung zur abendfüllenden Inszenierung, bei der ihr einstiger Professor Hans-Jochen Menzel die Regie führte. Die Premiere überzeugte.

Das Stück lebt von überraschenden Wendungen, lässt collagenhaft eine Kindheit als Jung- und Thälmannpionier Revue passieren. Ostalgie kommt auf die Bühne, ohne in Plattitüden zu verfallen, sehr persönlich und doch keinesfalls sentimental. Jana Weichelt beweist ihr Talent blitzschnell zwischen Figuren und Szenen zu wechseln, zieht alle Register, um in unterschiedlichsten Dialekten zu brillieren. Sie zieht viele Register des Figuren- und Materialtheaters, lässt sogar erzgebirgische Räuchermännchen zu Darstellern werden. Da sind die Püppchen, die eigentlich in eine Puppenstube gehören, alle stilecht mit einem Halstuch versehen zum Fahnenapell angetreten. Das Ganze geschieht auf einem Tablett, das dann zur Drehbühne wird. Ein Ritual mit festem Procedere lässt sich erleben, das den Ostdeutschen ein Begriff ist. Meldung, Trommelwirbel, das Hissen der Pionierfahne lassen Erinnerungen wach werden, regen die Jüngeren im Publikum zum Nachdenken an. Überhaupt, die Darstellerin verzichtet weitgehend auf eigene Wertungen, lässt ihren Erinnerungen quasi freien Raum.

Mit ihrer eigenen Virtuosität greift Weichelt in die Trickkiste, bringt über einen uralten Polylux farbige Folien oder Schattenbilder an die Wand. Da hat vieles den Schein der Improvisation, die als Stilmittel Sinn macht. Handpuppen des DDR-Kinderfernsehens wie Schnatterinchen und Mischka treten auf, Schnattchen muss Rechenschaft darüber ablegen, warum sie Filme im Westfernsehen gesehen hat. Dann wieder ein abrupter Szenenwechsel. Nachwuchsindianer „made in GDR“ beraten über die Gründung einer Gruppe „Indianstik“, von denen zahlreiche überall im sozialistischen Staat Freiräume nutzten, sich ihre eigene Traumwelt erschufen.

Und die Akteurin scheut keineswegs vor Satire. Sie erfindet auf der Bühne das Märchen von Schneewittchen neu. Die Märchenheldin, alias Katharina Witt, fürchtet sich vor der bösen Stiefmutter, die als blondes Barbiepüppchen ihr den Ruhm im Eiskunstlauf und das Olympiagold streitig machen will. Ein Bild von Erich Honecker mutiert zum Zauberspiegel - selbst Interpretation der Stimme des Staatschef gelingt -, jungen Pioniere werden zu Zwergen, Fliegerkosmonaut Sigmund Jähn agiert als Prinz. Der vergiftet Apfel findet seine Entsprechung in einer Banane als typisches Westobst. Herr Fuchs kommt als Informant der Staatssicherheit daher und beobachtet das Geschehen.

Nur der Wechsel zur Volksarmee passt da nicht so recht ins Bild. Es fehlen spürbar die persönlichen Bezüge, die Aussagen bleiben flach, wie ein eingeschobener Pflichtteil, um möglichst viele Ebenen der DDR-Geschichte abzubilden. Da ist das Bekenntnis zu den begehrten West-Jeans im real existierenden Sozialismus viel fassbarer, anschaulicher. Der Text aus dem Kultbuch „Die neuen Leiden des jungen W.“ von Ulrich Plenzdorf passt haargenau, lässt das Lebensgefühl junger Leute in den 1970er und 1980er Jahren der DDR lebendig werden: Jeans sind die edelsten Hosen der Welt.

Die penible Beschäftigung mit dem Thema zahlt sich aus. Realität und Phantasie verschmelzen, es ist ein Umgang mit der eigenen Geschichte, der Spaß macht, nicht mit dem erhobenen Zeigefinger belehren will. So wird der Abend ein Volltreffer. Ständig gab es zustimmendes Getuschel im Saal, ein Zeichen dafür, dass das Stück den Nerv des Publikums trifft.

 

Premiere: 11.01.2019

REGIE Hans-Jochen Menzel AUSSTATTUNG Jana Weichelt DRAMATURGIE Petra Szemacha SPIEL Jana Weichelt DAUER: 75 Minuten 

Foto: Viktoria Kühne

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