Die aktuelle Kritik

Theater Altenburg Gera: "Das Ding. Unheimlich. Übersinnlich."

Von Jessica Hölzl

Am Theater Altenburg Gera trifft Schauerliteratur auf Figurentheater. Mit "Das Ding. Unheimlich. Übersinnlich. Figurentheater nach Motiven von E. A. Poe und H. P. Lovecraft" kreiert Frank Soehnle einen faszinierenden Abend, der das Übernaturliche in immer neue Bilder taucht.

„Doch mein Wille ist keineswegs schwach – und ich werde ihn nicht durch das Grauen besiegen lassen, von dem ich nun weiß und das um mich herum schäumt.“
H. P. Lovecraft

Der eiserne Vorhang lüftet sich, sphärische Musik erklingt, wie von Zauberhand gleitet ein Weinglas über den Tisch. Geras Bühne am Park ist mit dunklen Vorhängen ausgekleidet, mitten im Bild hängt ein gedimmt flackernder Kronleuchter. In viktorianisch schwarze Spitze gehüllt flattern Mrs. Fox und zwei ihrer Töchter über die Bühne und erzählen in dramatischem Flüsterton von allerlei magischen, übersinnlichen und unheimlichen Begebenheiten.

Die Geschichte der Fox-Schwestern Leah, Margaret und Kate, die als junge Mädchen durch ihre Aufritte als Medien und Geisterbeschwörerinnen zwischen 1848 und 1888 in den USA und ganz Europa große Berühmtheit erlangten und schließlich zum Auslöser einer Kultwelle, des Spiritismus, wurden, bildet den erzählerischen Rahmen. Zusammen mit kleinen Episoden von jenseitigen, schauerlichen und mystischen Dingen, die von den Fox-Schwestern mit großer Geste als Kartenweissagungen eingeleitet werden, formt sich ein düsterer, präzise gearbeiteter Theaterabend.


Inspiriert sind die mittels geheimnisvoller Objekte, magischer Gegenstände und unterschiedlicher Hand-, Glieder- und Fadenpuppen erzählten Episoden von Edgar Allan Poe (1809 – 1849) und Howard Phillips Lovecraft (1890 – 1937), zwei der berühmtesten und genreprägendsten Schriftsteller der Schauer- und Horrorliteratur. Interessant ist der konzeptionelle und stilistische Bezug Lovecrafts in seinem künstlerischen Schaffen auf die Arbeiten Poes. So bezieht er sich auch in seinen theoretischen Schriften beispielsweise auf Poes Theorie der kurzen Erzählung, die den größtmöglichen Effekt in kurzen, in einem Zug lesbare Geschichten sieht. Diese kleine Form greift die Inszenierung sehr haptisch auf, indem die einzelnen Episoden von Tobias Weishaupt als Erzählerfigur geleitet und durch wiederkehrende Choreografien sowie Musik gerahmt werden.

Spannend ist die zunehmende Verwicklung der Erzählerfigur in die Schauermärchen. Tritt er anfänglich als souveräner Narrator auf, der den Bühnenraum verlassen und dem Publikum, lässig am Portal lehnend, den historischen Hintergrund des Bühnengeschehens referiert, wird er im Laufe der Stories immer mehr zum intranarrativen Akteur, den die Liebe zu der schönen Ligeia an den Rande des Wahnsinns treibt.
Eine andere Episode erzählt in kunstvoll geformter Weise die Geschichte der Magiertochter Asenath, die im Körper ihres Ehemanns Macht zu erlangen sucht. Dass der Ehemann zugleich der beste Freund des Erzählers ist, der damit das Erzählte als Beinah-Selbst-Erlebtes und unmittelbarer Beobachter präsentieren kann, entspricht sehr dem Schema Poes wie Lovecrafts Schauergeschichten. In der engen Verwobenheit erzeugt sich ein spezifischer Grusel, der verstärkt wird durch die figürliche und spielerische Ausgestaltung auf der Bühne, sowie die fortschreitende narrative Einbindung des Erzählers in die Handlung der Story.

Das Übersinnliche, Unheimliche macht weder Halt vor strukturellen Gegebenheiten, erzählerischen Dispositiven, Bühnenwänden oder figurentheatralen Setzungen, wie die Bühne in den Umbauten, die mehr und mehr ins Chaos übergleiten, sehr deutlich macht. Wenn die schweren Vorhänge flattern, erscheinen dahinter Spiegeltüren, Gitterwände und Durchgänge, die die schwarze Guckkastenbühne plötzlich beunruhigend durchlässig erscheinen lassen.
Hinzu kommt die wunderbare Begleitung des Abends durch Claudia Buders Akkordeonspiel, das zum einen klanglich einen atmosphärischen Rahmen schafft, aber auch durch die Interaktion der Spielerin mit den Figuren theatrale Setzungen sehr pointiert aufbricht. Zauberhaft ist die winzige Szene, in der Margarito Duarte, dargestellt als hölzerne fadengeführte Gliederpuppe, auf seinem Weg zur Heiligsprechung der unverwesten Leiche seiner Tochter, bei der Musikerin eine Pause macht und ihrem Spiel andächtig lauscht.

Als animiertes Material und seltsames Zwischending eröffnen die Puppen Zwischenräume des Befremdlichen, die vermeintlich eindeutige Setzungen spielerisch in Frage stellen. So wirken die von Udo Schneeweiß gestalteten Puppen im Spiel sehr lebendig, während die mit Halbmasken überformten Gesichter der Spieler:innen merkwürdig animalisch erscheinen. Auch die Fox-Schwestern muten beinah puppenhaft an, wenn sie mit weit aufgerissenen Augen ihre Schauermärchen erzählen, um im nächsten Moment zum Tableau zu erstarren, während ein blinder Blick von den auf ihre geschlossenen Lider aufgemalten Augen ausgeht.

Am Ende sind es immer wieder die Dinge, die zum Kristallisationspunkt des Abgründigen und Jenseitigen werden. Undinge, halbverflüssigt, unklaren Ursprungs, jenseitig und abgründig, die auf ein Sein verweisen, das der Mensch nicht zu fassen vermag. Als Auseinandersetzung mit schwarzromantischen Motiven, Aberglaube und Schauermärchen des 19. und 20. Jahrhunderts einerseits zeigt „Das Ding. Unheimlich. Übersinnlich.“ anderseits auch eine Näherung an die Verortung des Dinglichen als ontologisch konträr zum Menschen gesetzte Entität, deren Beweglichkeit diesen Versuch der Fixierung allerdings – und dafür stellt Figurentheater eine ganz besondere Spielwiese dar – stets unterläuft. Das ist unheimlich, faszinierend und enorm unterhaltsam.

Inszenierung: Frank Soehnle
Bühne, Kostüme, Puppen: Udo Schneeweiß
Dramaturgie: Catharina Jacobi
Puppenspieler*in: Sabine Schramm, Anna Fülle, Marcella von Jan, Tobias Weishaupt
Akkordeon: Claudia Buder
Technik: René Prautsch, Maik Klammer
Fotos: Ronny Ristok

1 Kommentar
Peter Waschinsky
20.11.2021

Theater Altenburg Gera

Auch als anderswo auf der Puppenbühne vor allem Menschen mit Objekten - oder ohne - gepuscht wurden, gab es in Gera immer mal Marionetten, auch in meinem "Faust" von 1998 und Mendelssohns "Soldatenliebschaft" 2008. Ich freue mich, daß es dort damit jetzt weiter geht.
Gut, daß immer öfter hier im Fidena-Portal Puppentheater reflektiert werden, die es lange nicht wurden, was ganze Bereiche der Puppenspielentwicklung ausgeblendet hat.

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