Die aktuelle Kritik

Manufaktor: "Pinocchio 2.0"

von Tom Mustroph

Die gute alte Puppen-Geschichte als Objekttheater mit künstlichen Intelligenzen.

 

Die Puppa-Troniker

Was ist ein belebtes Holzscheit anderes als eine künstliche Intelligenz? Mit kühner technologischer Geste transportiert die Berliner Truppe Manufaktor die gute alte Pinocchio-Geschichte ins Roboterzeitalter. Sie geht dabei durchaus aufwändig zu Werke. Denn manche Spielfiguren sind mit Motoren zu kleinen Robotern hochgerüstet. Auch eine Drohne surrt über die Bühne. Das Schönste an dieser Inszenierung ist aber, dass das Technologie-Spektakel tatsächlich poetische Momente kreiert und eine gelunge Neuinterpretation des Pinocchio-Stoffes bietet.

Denn Pinocchio ist hier eine künstliche Intelligenz, ein Roboter, der allerdings gern Mensch sein will. Und so, wie sich die literarische Originalfigur daran abarbeitet, doch endlich Mensch zu werden, und dabei verhöhnt, verspottet und gar schrecklich ausgenutzt wird, so ergeht es auch diesem Exemplar.

Regisseur Gildas Coustier bettet seine Geschichte zudem ins apokalyptische Mensch-Maschine-Kriegsszenario ein. Da sind auf der einen Seite die bösen Roboter, verkörpert von einer auf Rädern rollenden Katze-Fuchs-Kampfmaschine, die die Menschen des Jahres 2084 vernichten wollen. Auf der anderen Seite befinden sich die Menschen, die vor allem von der Furcht vor jeder Art kybernetischer Kreatur gezeichnet sind. Und mittendrin, mit hyperrealistischem Menschenkopf aus Silikon sowie Motoren, die die Bewegungen schön technisch aussehen lassen, eben Pinocchio. Nicht zu den einen gehört er, nicht zu den anderen. Ein echtes Dilemma also.

Zudem ist er mit einem kognitiven Nachteil ausgestattet. Immer wenn er lügt, geht ein Lichtkreis in seinem Schädel an. Wahrheiten lassen sich so herausfinden, aber auch Gefühle überprüfen. Coustier und seine Mechatroniker im Puppenbau greifen hier weit in eine Zukunft aus, in der emotionale Zustände möglicherweise tatsächlich über technische Signalketten ausgegeben werden.

Getreu diesem Szenario ist aus dem Holzschnitzer Gepetto nun auch ein IT-Wissenschaftler und Roboterbastler geworden. Liegt ihm vor allem die Vervollkommnung seines Geschöpfs am Herzen, so ist Pinocchio der spielerisch die Welt erkundende Bursche, wie man ihn kennt.

Animiert werden alle Puppen und Objekte von schwarz gekleideten Puppenspielern (Mathias Becker, Robert Liebner und Friedericke Miller - wie Regisseur Coustier allesamt 2014er Absolventen der Puppenspielabteilung der Hochschule "Ernst Busch"). Derart in den Hintergrund gerückt verwandeln sie sich in dem gesamten technischen Ambiente zudem in Programmierer und Systembetreuer - ein zusätzlicher Reiz dieses Aufbruchs in neue Spielwelten.

Konsequent technoid ist auch die Bühne gehalten. Objekte aus klaren geometrischen Formen - Pyramiden und Pyramidenstümpfe - leuchten in verschiedenen Farben. Sie bilden mal eine Stadt, sie können aber auch zu Raketenabschussrampen oder zu Bahren werden. Mit zusätzlichem Bühnenlicht wird sparsam operiert; Licht kommt vor allem von den Objekten selbst. In der puppenspielerisch anspruchsvollsten Szene werden Laser eingesetzt. Sie kreieren wogendes Wasser als einen bewegten Lichtraum, in dem die drei Spieler die Pinocchio-Figur schwimmend, tauchend und nach Luft schnappend führen. Konsequent der Technofabel folgend lässt das Salzwasser auch die Bauteile des Roboters korrodieren.

Manufaktor gelingt die Transformation der Geschichte ins Technoambiente vorzüglich. Robotik wird hier nicht nur angedeutet, sondern benutzt. Zugleich werden die spielerischen Komponenten nicht in den Hintergrund gerückt. Und auch den den üblichen SF-Szenarien mit einander überbietenden Kampfrobotern fügt diese sanfte und kindliche künstliche Intelligenz einen neuen Aspekt hinzu.

Die Arbeit setzt Maßstäbe. Sie ist nach der Premiere an der Schaubude Berlin beim Figurentheaterfestival Erlangen (22. Mai 2017), im Berliner Kubiz (10. Juni 2017) und im Jungen Staatstheater Karlsruhe (21.-23., 25. Juni 2017) zu sehen.

 

Premiere: 9. Mai 2017 (Schaubude Berlin)

Text: manufaktor
Regie: Gildas Coustier
Spiel: Mathias Becker, Robert Liebner, Friedericke Miller
Szenografie: Leyla Gersbach, Lisa Schoppmann
Foto:
Badisches Staatstheater / Felix Grünschloß
Gefördert von: Fonds Darstellende Künste e. V., Land Baden-Württemberg
Koproduktion mit: Junges Staatstheater Karlsruhe, Schaubude Berlin
Dauer: 60 Minuten

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