Cie. Freaks und Fremde: „Blut am Hals der Katze“
„Wer lieb ist, kann auch böse sein.“ „Wenn du weiter schreist, schlage ich dich wirklich tot.“ „Das wollt‘ ich nicht.“ Ein Universum der Sprachlosigkeit tut sich auf in „Blut am Hals der Katze“. Gerede ohne Bedeutung: Leere Satzverkettungen ziehen durch den Raum, hallen noch leerer nach. Und trotzdem steckt hinter jeder Fassade der Figuren brodelndes Begehren und tiefe Verletzung. Nur bekommt man sie nicht zu fassen, bleibt das Innere der Protagonisten verhüllt. Als eine Art Familienaufstellung voller Unbekannter hat die Gruppe Cie. Freaks und Fremde ihren Rainer-Werner-Fassbinder-Abend gestaltet. Auf breiter Bühne inszenieren sie am Societätstheater Dresden einen trostlosen Seelenstrip, der an den Eingeweiden der Gesellschaft nagt.
Fünfzig Jahre ist der Stoff alt, überlebt ist er nicht. Was eine Auftragsarbeit fürs Nürnberger Stadttheater war, fügt sich genauso gut ins Heute. Die Compagnie hebt ihn in eine zeitlose Panoramabühne, die viel Raum fürs Spiel lässt. Eine zweite Etage im Hintergrund erlaubt das Spiel in der Höhn, darunter befindet sich ein Rotlicht-Hinterzimmer, wo man auch Halbverborgenes hinter einer Jalousie andeuten kann. Vorn ist die Bühne leer, kann mit wenigen Podesten von der Straßenszene mit Telefonzelle bis zum Fitnessstudio umgebaut werden. Lichtwechsel, Projektionen und Musik schaffen ein jeweils eigenes atmosphärisches Gehäuse für jede auftretende Figur. Das ermöglicht fließende Übergänge, ein Ineinanderfließen der Einzelschicksale. Da ist die alte Junggesellin, die über ihrer harter Putzarbeit vergrämte. Ein alter Sack mag käuflichen Sado-Maso-Sex, schlägt aber auch selbst gern zu. Ein junger Polizist hat mit seinem Schicksal und der durch die Außenwelt erlittenen Schmach schon abgeschlossen. Alle haben Sehnsüchte, sind in Konflikte verstrickt, straucheln und hoffen. Neben und über allem thront Phoebe Zeitgeist als fast stille Beobachterin. Eigentlich von einem fernen Planeten entsandt, um über die menschliche Gesellschaft Erkundigungen einzuholen, versteht sie nur Wörter, aber keinen Sinn hinter den Handlungen. Wie der Zuschauer, kann sie sich keinen Reim aufs Geschehen machen.
Schablonenhaft, ja hölzern sind die Charaktere im Stück. Genauso hat Cie. Freaks und Fremde die Figuren auch gebaut. Die meisten davon sind Gliederpuppen, die an Schneider- und Anatomiepuppen erinnern. Eine Prostituierte stammt gleich aus einem Dessouswaren-Schaufenster. Die Puppen werden zum Teil auf fahrbaren Gestellen hin und her geschoben, immer wieder neu im Raum aufgestellt – sie sind in ihr Dasein geworfen, ihre Existenz besteht darin, von schicksalshaften Kräften oder dem Zufall geschubst zu werden. Durch diese Mobilität wird der ganze Bühnenraum ausgefüllt, sodass sich hier alles beständig in Bewegung befindet, trotz der von Lethargie befangenen Szenen. Die Figuren bleiben Körperlarven, leere Charaktere. Mit wenigen Gesten, dafür sind diese aber sehr präzise, stattet das Spielerduo jede Figur mit individuellen Zügen aus. So erwecken sie die Puppen nicht nur mit variierenden Stimmen, sondern auch in den Bewegungen zum Leben, was zu deren hölzern-maskenhaften Äußerlichkeit im Gegensatz steht. Man spürt, dass irgendwas in ihnen geht vorgeht. Aber es wird nicht greifbar. Man kann nicht in ihr Inneres vordringen, wie auch jede Kommunikation unter ihnen scheitert. Übrig bleiben ihre leeren Reden. Die Spieler sprechen über Mikros, in denen ihre Sätze elektronisch nachhallen; auch hier im Widerhall schwingt das Nichtgreifbare mit. Hier will sich etwas Anderes äußern, mehr als in den Worten steckt. Es kommt aber nicht durch.
Am Bühnenrand steht Phoebe – ein Frauenoberkörper und Kopf in Kupfer – und beobachtet das Geschehen. Mechanisch wird sie bewegt, dreht sich und wiederholt mit blecherner Stimme Einzelsätze, die sie den Szenen ablauschte. Blechern spult sie die abgespeicherten Merkverse ab, was die Floskelhaftigkeit betont. Aus ihrem Innern wird das von einem Leuchten begleitet, nur Erleuchtung und Aufklärung kann man dem nicht abringen. Wie der Abend die melancholisch-gedrückte Stimmung eines traurigen Alltags unheimlich gut spiegelt, aber nicht erklärt. Wie in einem kleinen Schlussmonolog Phoebes klingt das Gezeigte aus, wird die Frage des Abends noch einmal bündelt und ebenso unbeantwortet gelassen: Was ist der Mensch?
Premiere: 9.10.2020
Foto: Andrè Wirsig