Die aktuelle Kritik

Die Azubis, Fundus Theater Hamburg: "Petra Pan, Oma Hook und Wendy"

Von Falk Schreiber

Die Hamburger Gruppe Die Azubis zeigt erstmals ein Weihnachtsmärchen: „Petra Pan, Oma Hook und Wendy“ liest J. M. Barries „Peter Pan“-Geschichten weiblich, bleibt aber mit Schattentheater und Fechtkampf innerhalb der Bühnenkonvention. Was erfreulicherweise rein gar nicht stört.

28. November 2023

Konventioneller lässt sich solch ein Abend eigentlich nicht beginnen: als Schattentheater mit derber Prügelei zu klimperndem Piano. Und dass man Kai Fischer und Christopher Weiß, dem Hamburger Theaterduo Die Azubis, diesen Start nicht übelnimmt, ist vielleicht symptomatisch für „Petra Pan, Oma Hook und Wendy“ am ansonsten auf postdramatisches Kinder- und Jugendtheater spezialisierten Hamburger Fundus Theater. Weil man merkt: Das Gezeigte ist nicht altbacken, es ist eher ein liebevolles Nachbauen von altbackener Ästhetik. Selbst ein Theatervorhang wird auf die Leinwand projiziert, ein Theatervorhang, der freilich nur ein Schattenelement ist, das sich verhältnismäßig unspektakulär zur Seite ziehen lässt.

"Petra Pan, Oma Hook und Wendy": Josefine de Place, Cornelia Dörr © Jens Beckmann

Nach einer Weile tritt die Schattentheaterkonvention erstmal in den Hintergrund, Fischer und Weiß durchbrechen die Leinwand und prügeln sich mehr oder weniger spielerisch noch ein wenig auf offener Szene. Zumindest bis Josefine de Place die Beiden zurechtruft: „Bis einer heult! Mensch!“ Die 13-jährige Kinderdarstellerin sorgt dafür, dass das Stück endlich anfängt, die erwachsenen Theatermacher verschwinden ins Bühnenbild (Fischer) beziehungsweise an Gitarre und Laptop (Weiß) – das ist eine hübsche Verdrehung der Hierarchiebenen im Theater. Es zeigt vor allem, aus welcher Perspektive auf den längst kanonisierten „Peter Pan“-Stoff geblickt wird: aus der des Kindes, das erwachsene Züge annimmt, während die Erwachsenen sich ein kindliches Gemüt bewahrt haben.

Was es dem Abend ermöglicht, J. M. Barries „Peter Pan“ verhältnismäßig vorlagengetreu nachzuerzählen. Bei Barrie geht es um ein das kindliche Zauberwesen Peter, das sich gegen das Erwachsenwerden sperrt, und dabei auf Wendy trifft, ein Kind aus der realen Welt, welches ziemlich erwachsene Züge zeigt. Gemeinsam erleben sie Abenteuer in einer Phantasiewelt – in etwa ist das die Situation, die hier auf der Bühne entworfen wird. Also: Petra Pan (Cornelia Dörr als weibliche Variante von Barries Peter) nimmt Wendy (in die sich de Place gar nicht erst verwandeln muss, weil sie in ihrer Mischung aus Lebensklugheit und Teenie-Sprödigkeit schon die Exposition perfekt als „altes Kind“ darstellte) mit ins „Nimmerland“. Zusammen fliegen sie aus der realen in die Traumwelt. Wobei hier wieder das Schattentheater zum Einsatz kommt, mit Hilfe der zunächst technisch anmutenden, sich dann aber als sinnfällig erweisenden Ausstattung von Cora Sachs, die selbst als Figurentheatermacherin eine wichtige Stütze der Hamburger Szene ist (siehe die Kritiken zu ihren Stücken "Anastasia, wann bekommst du deine Juwelen zurück?" und "Herr Eisatnaf").

"Petra Pan, Oma Hook und Wendy": Cornelia Dörr, Josefine de Place © Jens Beckmann

Im Zentrum von Sachs’ Bühne stehen die bei Azubi-Produktionen oft verwendeten (und ebenso oft zweckentfremdeten) Overhead-Projektoren, mit denen sich einerseits Welten mit einfachen Mitteln darstellen lassen, Wendys bürgerliche Heimat etwa oder ein Piratenschiff, das über die Weltmeere gleitet. Andererseits aber lassen sich die Projektoren auch für interessante Lichteffekte nutzen, für ein flackerndes Feuer etwa, das Wendy im Dschungel entzündet, nachdem Peter sie in seiner kindlichen Unbekümmertheit alleingelassen hat. Oder für die Fee Tinkerbell, die als schwer fassbares Lichtwesen über die Leinwand flattert. Im Anschluss an die Aufführung schickt einem Fischer eine Liste der Objekte, mit denen Nimmerland hier konstruiert wurde: „vier Overheadprojektoren, drei Taschenlampen, zwei Laserpointer, Rettungs- und Polarisationsfolie, Sand, Strukturglas und Kristalle, Wasser, Öl und Tinte, jede Menge Pappe und Scheinwerferfolien“. Ist das wichtig? Es ist jedenfalls ein Hinweis darauf wieviel Wert auf die Ausstattung gelegt wird. Eine Ausstattung, die im Spiel mit Schatten und Objekten dafür sorgt, dass das märchenhafte Geschehen lebendig wird.

Wobei es für das junge Publikum zwischendurch sogar zu lebendig wird. „Peter Pan“ ist streckenweise harter Stoff, spätestens als das Piratenschiff auftaucht, das von einem mordlüsternen Hook kommandiert wird, fasst das zumindest die jüngsten Zuschauer*innen spürbar an (und dass der Oberpirat in der Verkörperung durch Dagmar Puchalka eine bärbeißige alte Frau ist, macht den Schrecken dieser Figur nicht kleiner). Gerettet wird das durch den postdramatischen Ansatz des Projekts, dadurch, dass die Figuren immer wieder aus ihren Rollen treten und das Publikum direkt ansprechen, zum Singen eines Schlafliedes auffordern oder in Dialog treten. Und auch die Tatsache, dass Sachs’ Bühne ihre Konstruktion immer wieder offenlegt, beinhaltet ein tröstliches anti-illusionistisches Moment.

"Petra Pan, Oma Hook und Wendy": Josefine de Place © Jens Beckmann

Dass manche Bezüge sich wohl in erster Linie einem älteren Publikum erschließen – sei es drum. Wie Peter sich einmal auf Pilzsuche begibt, wird gezeigt, indem Dörrs Schatten in Jump-and-Run-Ästhetik hinter Zeichentrick-Pilsen herjagt: Das versteht nur, wer in seiner Kindheit „Super Mario“ gezockt hat, aber es lässt eben auch erwachsene Zuschauer*innen wieder zu Kindern werden. Und dass Wendys Eltern nicht wie in der Vorlage auf eine Party gehen, sondern ins Ernst Deutsch Theater, ist ein Hinweis auf ihre zutiefst bürgerliche Position, der sich nur erschließt, wenn man weiß, wofür besagtes Privattheater innerhalb der Hamburger Bühnenlandschaft steht.

„Petra Pan, Oma Hook und Wendy“ ist eine Genreproduktion, der erste Versuch der Gruppe im Bereich „Weihnachtsmärchen“. Wenn man das Genre ernstnimmt, dann bedeutet das, dass man seine Konventionen ernstnehmen muss, das macht den Abend womöglich zum klassischsten Theater im Azubis-Gesamtwerk. Aber: „Wenn du ernstgenommen werden willst, dann nimm die Sachen, die du machst, auch ernst!“, grollt Hook Wendy an einer Stelle entgegen. Und dann liefern sich die Beiden einen von Nick Doormann perfekt choreografierten Fechtkampf. Konvention, klar. Aber auch sehr, sehr gut.


Die Azubis, Fundus Theater Hamburg: "Petra Pan, Oma Hook und Wendy"

Von und mit: Josefine de Place, Cornelia Dörr, Dagmar Puchalka, Kai Fischer und Christopher Weiß | Konzeption/Idee: Die Azubis | Dramaturgie: Caroline Heinemann, Mathilde Heinemann | Assistenz: Linda Verweyen | Ausstattung: Cora Sachs | Fechtchoreografie: Nick Doormann | Licht: Katharina Theßeling | Produktionsleitung: Kaja Jakstat

Premiere: 24.11.2023
Für Menschen ab 6 Jahren

Hier geht’s zum Stück auf der Website vom FUNDUS Theater und der Website der Azubis.

 

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