Die aktuelle Kritik

Theater der Jungen Welt: "Der überaus starke Willibald"

von Tobias Prüwer

Die Leipziger Puppenspieler verlegen ein Stück um Nager und Macht in eine Autokarosserie.

 

Willibald

Foto: Tom Schulze

 

Mäuse mit Pferdestärke

"Flink wie Fledermäuse, hart wie Käserinde, zäh wie Schweineschwarte": So ist der rechte Mäusecharakter beschaffen, geht es nach dem überaus starken Willibald. Der hat sich zum Herr über das Mäuserudel aufgeschwungen, diktiert diesem seinem Willen und schürt fleißig die Angst vor der großen Katze. Nach Willibalds Putsch fühlen sich die Mäuse zwar sicherer, aber auch ein bisschen unfrei. Extra hart trifft es die weiße Lillimaus: Dem Albinomädchen wird alle möglich Schuld aufgeladen.

"Der überaus starke Willibald" (Autor: Willi Fährmann) erzählt von politischer Verführung und Verführbarkeit. Dass das Gleichnis über Autorität und individuelle Verweigerung gerade jetzt auf die Bühne kommt, mag kein Zufall sein. Auch in Leipzig marschiert seit Wochen ein Pegida-Ableger durch die Innenstadt, die Debatte um Flüchtlingspolitik tobt. Der Stoff für alle ab sechs Jahren – für die Kinderbuchbearbeitung zeichnete TdJW-Intendant Jürgen Zielinski mitverantwortlich, der auch die einstige Sprechtheater Uraufführung 1987 in Tübingen besorgte – kommt im Leipziger Theater der Jungen Welt (TdJW) als Puppenstück auf die Bühne.

Und diese hat es in sich: Ein alter grauer Ford steht aufgebockt als zentrale Spielfläche zur Verfügung. Auf der Blechkiste und in ihr wuselt das Mäuserudel herum – das ganze Fahrzeug wird von den Handpuppen-Gummimäusen bespielt. Das verlangt den drei Puppenspielern einiges an Beweglichkeit ab, denn sie agieren allzeit aus dem Fond heraus. Als Spielelemente genutzt werden auch alle möglichen Autoteile: Mit sattem Sound fällt die Motorhaube, eine vorlaute Maus quetscht der böse Willibald zur Strafe mal mit der Seitenscheibe ein, das einschaltbare Fernlicht versetzt die Kinder im Publikum hörbar ins Staunen.

Im Motorraum wohnt der Willibald, Lillymaus hat im Kofferraum ihr Lesezimmer. Die Hauptfiguren werden einzeln als Handpuppen geführt. Accessoires wie Mützen oder Tücher sowie je besondere Stimmen und in einem Fall auch Berliner Dialekt verleihen ihnen jeweils eine unverwechselbare Note.  Um das ganze Rudel quicklebendig werden zu lassen, führen die Spieler Gestelle mit mehreren daran befestigen Mäusen. So kann ein ganzes Dutzend Nager auftreten, Masse und Macht demonstrieren.

ie gute Stunde Mäuse und Macht fällt spannungsvoll und temporeich aus, viel Witz lockert das ernste Thema Despotismus immer wieder auf. Nur die eingestreuten Lieder, mit denen sich das Mäusekollektiv in Wallungen singt, nerven etwas. Aber das fällt bei der insgesamt stimmigen Inszenierung nicht weiter ins Gewicht, die durchs abwechslungsreiche Spiel besticht, das klug die ganze Fordkarosseriebühne nutzt. So niedlich die Mäuse auch daherkommen, versüßt wird hier nichts – und das ist eine gute Nachricht.

 

Premiere: 18. April 2015

 

Ariowitsch-Haus Leipzig

Inszenierung: Theater der Jungen Welt

Regie: Christian Georg Fuchs

Ausstattung/Puppen: Christof von Büren

Dramaturgie: Lars Krüger

Besetzung: Dirk Baum, Wilfried Reach, Nora-Lee Sanwald

Ab 6 Jahre

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