Die aktuelle Kritik

Theater der Jungen Welt Leipzig: „Die große Wörterfabrik“

von Franziska Reif

Die Produktion zum Jubiläum des Puppentheaters am Haus steckt voller Liebreiz.

"Die Große Wörterfabrik" ist eine Adaption des gleichnamigen Bilderbuchs und entsprechend erinnern die Puppen ein wenig an die Illustrationen: Große Köpfe mit breiten Mündern thronen auf kleinen Körpern mit zarten Beinchen, die grazile, behende, geradezu starke Bewegungen erlauben. Und Bewegung brauchen diese Körper mehr als einen großen Mund. Wer in einer Welt lebt, in der die Wörter aus der Fabrik kommen und Geld kosten, muss sich anderer Mittel bedienen, um sein Innenleben zu zeigen: tanzen, springen, auf einem Bein hüpfen, Purzelbaum schlagen, Blicke werfen, sich zuwinken. Und wenn Ärger nicht Luft gemacht werden kann, mündet er eben in Gewalt – diese Sprache versteht jeder, auch das größtenteils sehr junge Publikum, dem Betty Wirtz und Dirk Baum als Erzähler illustrieren, warum die ebenso mittel- wie wortlosen Protagonisten Marie und Paul sich auf der Bühne so seltsam gebärden: "Sie können nichts sagen." Diese Elemente jenseits der eigentlichen Geschichte der beiden sind in dieser Jubiläumsproduktion präzise und mit minimalem Aufwand ausgeführt.

Gefeiert werden damit 25 Jahre Puppentheater am Theater der Jungen Welt (TdJW): Am 8. Oktober 1991 hatte "Algot Storm" in der Regie von H.J. Menzel Premiere. Scheinbar hatte sich vorher in der Stadt Leipzig niemand so recht für eine feste Puppentheatersparte interessiert. Die Nische bespielte Wilfried Reach zunächst allein, 2000 kam Violetta Czok dazu, 2009 Dirk Baum, zuletzt Betty Wirtz – die einstige Nische wuchs zu einer eigenen Abteilung mit derzeit drei Spielern. Und die Abteilung beschränkt sich nicht aufs Haus, sondern lädt auch schon mal ins Planetarium.

Das Spiel mit den Wörtern, die Geld kosten, ist auch ein Spiel mit Wortteilen: "Klappsp" ist eines der Mängelexemplare, die die Wühlkiste im Schlussverkauf noch zu bieten hat – aber auch mit "Klappspaten" kommt man im normalen Leben nicht allzu weit. Die produzierende Fabrik ist unheimlich: Menschmaschinen agieren gesichtslos, Lichter und Mechanik arbeiten zu unheimlicher Gitarrenmusik, in ewig gleichen Handgriffen landen Wortzettel wie am Fließband in der Tüte, aus der sie hernach verspeist werden. Ebenfalls düstere Gitarrenmusik hat Klangmeister Marco de Haunt an Gitarre und Xylophon für Oscar reserviert, der mit der Mode der Wortmodeschöpfer geht und permanent coole Wörter in sich reinstopft, ein Reichtum, der lediglich seiner Belustigung dient. Oscar hat so viele Wörter, dass er sogar Lieder mit Text singen kann. Dazu tanzt er den Moonwalk, noch so ein Kunststück, dass die Puppenbeine scheinbar mühelos beherrschen.

Während besagter Oscar glaubt, mit Worten um Maries Freundschaft werben zu können, zeigt Paul den ganzen Zauber der Puppe, die schließlich – eigentlich – nicht in der Lage ist, ihre Gesichtszüge zu verändern, hier aber, unfreiwillig verstummt, Regungen per Mimik darzustellen scheint. Sichtbar werden so Ratlosigkeit und Bekümmernis, wenn auf die Ramschkiste die Mülltonne folgt und danach die verzweifelte Hoffnung, irgendwo zufällige einzelne Buchstaben zu aufklauben zu können. Natürlich – man ahnt es – brauchen Paul und Marie keine Worte, um zueinander zu finden und natürlich ist am Ende Oscar der Einsame. Das ist alles so stimmig inszeniert und gespielt, dass keine Schamgefühle aufkommen, als sich am Ende nach inniger Umarmung doch noch ein paar Buchstaben finden und Paul sich von Marie wünscht: "Noch mal".

 

Premiere: 12. November 2016

Regie: Marion Firlus
Ausstattung: Carsten Schmidt
Puppenbau: Anja Mikolajetz
Musik: Marco DeHaunt
Dramaturgie: Jörn Kalbitz
Besetzung: Dirk Baum, Marco DeHaunt, Betty Wirtz
Fotos: Tom Schulze

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