Die aktuelle Kritik

Theatre-Rites & Junges Schauspielhaus Bochum: "Es liegt was in der Luft"

Von Anne Küper

Pusten, pumpen, föhnen, schweben: Die britische Gruppe Theatre-Rites beschäftigt sich im Theaterrevier Bochum mit Luft. Zum Durchatmen bleibt keine Zeit, bis schließlich ein virtuoses Puppenspiel beginnt.

22. November 2023

Die Hauptakteurin ist schon da, bevor die übrigen Darstellenden den Raum betreten. Nicht die bunten Bühnenteile, die noch flach auf dem Boden liegen, umgeben sie, sondern sie umspielt die Formen, dringt bis in die kleinsten Ritzen und schließlich in die Nasenlöcher der Zuschauenden hinein. Ihre Bewegungen können durchaus bedrohlich sein, lebenswichtig sind sie jedoch allemal und für die Augen in den meisten Fällen unsichtbar. In der neuen Arbeit der britischen Theatergruppe Theatre-Rites bedarf es also materieller Übersetzungen, damit die Luft, überhaupt so auftreten kann, dass sie die Zuschauenden bemerken.

Schläuche, Rohre, Ventilatoren, Räder, die sich drehen, später dann der Luftballon: Prozesse der Übertragung werden in „Es liegt was in der Luft“ auf vielfältige Arten und Weisen performativ sichtbar gemacht. Dabei dient zunächst vor allem das Aufpusten, mal manuell per Pumpe oder Mund, mal automatisch mithilfe eines elektrisch verstärkten Gebläses, als zentraler szenischer Vorgang. Sogenannte inflatables (Objekte: Michael Douglas, Ingrid Hu, Naomi Oppenheim), also aufblasbare Bühnenteile in verschiedenen Größen, bilden gemeinsam eine pastellfarbene, gartenähnliche Landschaft, die erst im Laufe der Inszenierung durch das Tun der drei Darstellenden entsteht. Wo sie sich gemeinsam befinden, ist nicht eindeutig. Sie scheinen jedoch wie in einer Schaltzentrale im permanenten Einsatz zu sein.

"Es liegt was in der Luft": Abenaa Prempeh, Markus Schabbing, William Cooper © Birgit Hupfeld

Engagiert regeln sie (William CooperAbenaa PrempehMarkus Schabbing) den Haushalt der Luft, produzieren sie, leiten sie weiter, verteilen sie gehörig um, während sie doch selbst auf das Gasgemisch angewiesen sind. An ihren Kostümen befindet sich jeweils eine blaue Ziehharmonika-Girlande. Diese kommt immer dann zum Einsatz, wird hinein- und wieder hinausgezogen, wenn mal wieder wem die Luft ausgegangen ist. Keine übermenschlichen Figuren stellt Regisseurin Sue Buckmaster folglich ins Zentrum des Luftmanagements der Welt, sondern welche, die regelmäßig auf solche Momente der Notbeatmung angewiesen sind. Das mag durchaus witzig gemeint sein; tragisch ist es auf jeden Fall, dass die drei so hart arbeiten, dass ihnen nicht einmal die eigene Atempause vergönnt scheint in diesem System, das sie doch stetig am Laufen halten.

Buckmaster verzichtet in „Es liegt was in der Luft“ auf den Einsatz von Sprache, greift stattdessen auf Musik zurück, um Atmosphären der Leichtigkeit, Zartheit und Humor für Menschen ab vier Jahren zu schaffen. Namen tragen die Figuren nicht, die konsequenterweise Blasinstrumente wie Trillerpfeifen und Kazoos nutzen, um miteinander zu kommunizieren. Die fehlende Sprache, die Struktur des Bühnen- und Kostümbilds (Bühne, Kostüm: Ingrid Hu) sowie die zu Beginn künstlich übersteigerte Haltung der drei Darstellenden auf der Bühne tragen zu dem Eindruck bei, dass die Figuren in gewisser Weise wie Karikaturen wirken, die in jenem Miteinander feststecken – wie das Personal bei Spongebob Schwammkopf vielleicht, einer Serie über einen Schwamm, der tief unten im Ozean in einer Ananas wohnt.

In infrastruktureller Hinsicht ist Bikini Bottom, die am Meeresgrund gelegene Stadt bei Spongebob, ein vergleichbar paradoxer Ort zu dem, den es in „Es liegt was in der Luft“ zu erleben gibt. Es kann regnen, schneien, stürmen im unter Wasser gelegenen Bikini Bottom. Selbst ein Lagerfeuer ist kein Problem. Es ist ein Raum des Träumens, der sich den irdischen Regeln entzieht, und an dessen wunderhaften Eigenschaften auch Buckmaster interessiert scheint. Das zeigt sich schließlich, als die Inszenierung aus dem zuvor etablierten Erzählrahmen aussteigt, um das Leben eines Kinds mit Luftballonkopf als Puppenspiel vorzubringen.

"Es liegt was in der Luft": Markus Schabbing © Birgit Hupfeld

Am beeindruckendsten ist „Es liegt was in der Luft“ nämlich, in Koproduktion mit dem Jungen Schauspielhaus Bochum entstanden, genau dann, wenn die Produktion den Moment der Erzählung aus der Schaltzentrale verlässt und sich vollkommen anhand virtuos ausgeführter technischer Vorgänge ins Fantastische wagt, wenn sie mit reduzierten Mitteln die Bilder einer Reise baut. Fallschirm fliegen, surfen, tauchen; zwei Federn ergeben einen Vogel; ein weißes Tuch wird, durch eine Hand der Darstellenden angehoben, zu einem Berg aus Schnee. Eine Plastiktüte verwandelt sich durch einen aufgerichteten Ventilator zum rettenden Fallschirm. So einfach und effektiv können die Dinge im Theater sein, dass es keine Wörter, keine Figurenkonstellationen und keine Ziehharmonika-Girlanden braucht.

Ein Luftstrom streift die Zuschauenden, die Bühne wird vom grauen Nebel erfasst, der anders riecht und die vorher vermeintlich saubere Umwelt bedroht. Wenn die Luft in Buckmasters Inszenierung in diesen Momenten nicht nur sicht-, sondern spürbar wird, dann bekommt das angesichts der Covid-19-Pandemie eine weitere Ebene. Denn „Es liegt was in der Luft“ macht deutlich, was es bedeutet, sich im Theater nicht nur Zeit, sondern auch die Luft zu teilen, wenn die Menschen dort für eine kleine Weile in einem Raum zusammenkommen.


Theatre-Rites & Junges Schauspielhaus Bochum: „Es liegt was in der Luft“

RegieSue Buckmaster | Bühne, Kostüm: Ingrid Hu | Objekte: Michael Douglas, Ingrid Hu, Naomi Oppenheim | KompositionJessica Dannheisser | MitWilliam CooperAbenaa PrempehMarkus Schabbing

Premiere: 12. November 2023
Dauer: 60 Minuten, keine Pause
Für Menschen ab vier Jahren und ohne Sprache

Hier geht’s zum Stück und weiteren Spielterminen auf der Website des Schauspielhauses Bochum.

 

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