Die aktuelle Kritik

Ranga Shankara Bengaluru in Koproduktion mit Westflügel Leipzig: "Sesam – ತಿ ಲ"

Von Tobias Prüwer

Sesam narre uns: Ranga Shankara zeigen universelle Eulenspiegeleien in Leipzig.

Mit Sesamkörnern werden die Zuschauenden begrüßt, mit Musik empfangen und einige bekommen individuelle Zauberstücke zu sehen. Da verschwindet ein magischer Stab, wenn sich eigentlich eine Münze in Luft auflösen soll, ein Ring verknotet sich von selbst in einer massiven Kette. So wird das Publikum gut vorbereitet auf eine Art Straßen- oder Jahrmarktspektakel, das seinen Charme auch im geschützten Theaterraum nicht verliert.

Ein bisschen Flüchtigkeit und etwas Drübersein benötigt Ranga Shankara für das Spiel. Die im indischen Bangalore bekannte Theatergruppe erarbeite dieses Jahr erstmals mit dem Leipziger Figurentheater Wilde & Vogel eine gemeinsame Produktion. Und die ist im besten Fall ein bunter Mix zweier Welten. Nach einem musikalischem Eröffnungsreigen schwebt von über und hinter dem Publikum ein Seiltänzer ein. Das kleine Figürchen hat strichförmige Glieder, ist filigran, wie man es vom Puppenbauer Michael Vogel kennt. Andere Figuren stammen von Shravan Heggodu. Auf der fast leeren Bühnenfläche angekommen, lassen vier Spieler das Figürchen auf Schnüren tanzen, während ein Musiker im Hintergrund auf einem Teppich live performt.

"Sesam – ತಿ ಲ" (c) Dana Ersing

Von irgendwo oben schwebt der Narr ein, kommt in die Welt, um Schabernack zu treiben. Denn das vor allem mit Puppen illustrierte Erzähltheater (auf Englisch) basierte ursprünglich auf Geschichten von Till Eulenspiegel. Doch schnell haben die Produktionsbeteiligten gemerkt, dass es indische Sagen und Erzählungen gibt, die jenen deutschen gleichen. Und das ist nicht verwunderlich: Denn in der Narrenfigur, in Kasper und Konsorten steckt der Archetyp des Tricksters, ein Charakter, der mit allerlei Tricks und Mogeleien die Ordnung durcheinanderwirbelt. Man denke an den nordischen Gott Loki, der mal Thors hilfreicher Begleiter ist, aber auch die Totengöttin Hel zeugt und gegen die Götter zieht, um den Weltenbrand auszulösen. Er erscheint in den Mythen so schillernd, wie in den Marvel-Comic-Verfilmungen. – „Niemand Gutes ist jemals wirklich gut, und niemand Böses ist jemals wirklich schlecht.“ (Loki)

"Sesam – ತಿ ಲ" (c) Dana Ersing

So nennen sie ihre Mythen-Amalgam-Figur auf der Bühne einfach Tila, wie der Sesam in Indien heißt. Das Korn ist dort in Riten und Alltag wichtig, weshalb Anspielungen darauf assoziativ mit eingesetzt werden, wenn Tila alle foppt. Er besorgt sich kostenlos Brot, lässt sich von einem Krankenhaus als Wunderheiler bezahlen und behauptet, fliegen zu können. Dass er so eine universale Figur sein kann, liegt auch daran, dass hier existenzielle, allzumenschliche Themen verhandelt werden. Und das auf buntgescheckte Weise.

Anfangs halten sich die Spielenden noch etwas zurück. Doch wenn Tila als Gliederpuppenmarionette zum Tänzchen über die Bühne geführt wird, bevor die nächste Szene erzählt wird, nimmt die Wildheit der Bewegungen zu. Für die Szenen werden mal Figuren, mal Objekte verwendet. Entdeckt sich etwa ein Protagonist in einem Spiegel und streitet mit anderen, wer dort nun zu sehen ist,kommen reflektierende Serviertabletts zum Einsatz. Die Spieler tanzen damit und werfen mit ihnen aus vielen Perspektiven Blicke ins Publikum. Das führt zum reizvollen Spiel mit eben diesen Blicken, ihre Verdopplung und die Frage, wer eigentlich wen beobachtet.

Gen Schluss verwandelt sich die Inszenierung in pures Volkstheater. Zwei Spieler vereinen sich zu einem ohrenwackelnden, mit Schellen bestückten Esel. Der vollführt allerlei akrobatische Kunststücke, die ihm alle nicht gelingen. Es wird laut und turbulent, es geht allein ums Spektakel. Das wäre umringt von Markttreiben besser platziert worden, wirkt fast ein bisschen verloren im großen leeren Bühnengehäuse des Westflügels. Aber nur fast: Denn den Spielenden gelingt es, das Publikum immer wieder gezielt anzusprechen und es so für das Geschehen zu gewinnen. Auch hätten die anfangs zarteren Momente, die kleinen Figurenbewegungen sonst keine Wirkung gehabt. Diese stark an Wilde&Vogels Handschrift erinnernden Momente braucht es jedoch, um das Überordernde, das hemmungslos fröhliche Spiel, das Ranga Shankara einbringen, vorzubereiten beziehungsweise einzufassen. Damit es nicht nur Spektakel für die Belustigung einer Menge ist. Als die vom Esel verursachten Turbulenzen abebben, erhebt sich das Figürchen vom Anfang. Auf einem Seil tanzt dieser Trickser gen Bühnenhimmel, entschwindet aus dieser Welt. Für heute hat er genug Unfug angestellt, morgen ist auch noch ein Tag.

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Spiel Soumya Bhagwat, Shravan Heggodu, Gagan Kumar, Sharat K

Live-Musik, Komposition Vivek G

Regie Michael Vogel

Produktionsleitung S Surendranath

Assistenz Produktion Sharat K

Dramaturgie S Surendranath, Charlotte Wilde

Figurenbau Shravan Heggodu, Michael Vogel

Musikalische Begleitung Charlotte Wilde

Bühne Michael Vogel

Licht S Surendranath

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