Die aktuelle Kritik

Schauburg München: "Socken, Mond und Sterne"

Von Florian Götz

Was steckt wohl in dieser großen Kugel? Die unterschiedlichsten fantasievollen Objekte liegen in „Socken, Mond und Sterne“ herum oder hängen von der Decke! Doch ausgerechnet mit dieser einfachen Kugel beschäftigen sich die beiden Spieler*innen David Campling und Sibel Polat als Allererstes.

Vorsichtig öffnen sie die obere Hälfte, schauen rein. Staunen, Faszination. Das Publikum, egal welche Körpergröße, total gespannt. Jetzt wird die Kugel ganz geöffnet. Zu sehen: Nichts. Aber zu hören! Stimmengewirr. Verschiedene Sprachen? Ein Radiosender auf Suchlauf? Und nun ist doch etwas in der Kugel. Eine Handvoll Cocktail-Tomaten! Sofort landen sie in einem Goldfisch-Glas, halbvoll mit Wasser. Aber es sind noch nicht alle Tomaten! Es fehlt noch: Toni. Der mutige Toni! Ein schmales Kästchen und ein Lineal werden zu einem Sprungturm über dem Goldfisch-Glas. Toni ist ganz oben auf der Plattform. Wird er sich trauen, zu springen? Die Spieler*innen und das Publikum warten, atemlos.

Später wird Toni durch eine Tomatenherzdruckmassage wiederbelebt und begibt sich mit der Maus auf eine wilde Spritztour mit dem knallroten Cabrio-Sportspielzeugwagen. Die Maus ist übrigens auch Kapitänin eines Schiffs, das womöglich in einen Sturm geraten könnte. Zum Glück ist da noch Billy, ein kleines Schwein, das zusammen mit dem Großen Schwein auf einem hängenden rosa Kissen wohnt. Weil es aber nicht wie Papa grunzen möchte, träumt es davon, ein Superheld*innen-Kostüm zu besitzen und als Retter durch die Gegend zu fliegen. Da muss sich ja die Maus keine Sorgen machen, oder?

Sibel Polat und David Campling in "Socken, Mond und Sterne" (c) Judith Buss

Wie eine Flipperkugel auf ADHS springt der Fokus der beiden Spieler*innen in der Inszenierung von Ania Michaelis von einem Objekt, von einem Geschichtsfetzen zum nächsten. Das ist jedoch keinesfalls als Kritik gemeint, sondern macht gerade die besondere Magie des Stücks aus. Mit einem „Du bist!“ stacheln sich die Spieler*innen immer wieder zu den nächsten Entdeckungen an, vertiefen sich in heiligem Ernst in ihr Spiel mit den Objekten und sich selbst. Das gelingt ihnen so ausgezeichnet, dass die Zuschauer*innen jeden Alters zu jedem Zeitpunkt völlig gebannt bei ihnen sind.

So verleiten auch die dadaistisch anmutenden Kostüme von Ausstatterin Maria Bahra zu ständigem Spiel – von Polats Oberteil aus knautschigen Styropor-Verpackungsringen zu Camplings pinkem Tutu, das ihn zu wilden Drehungen verleitet und auf das die Mitspielerin überaus neidisch ist.

Wesentlich zur intensiven Atmosphäre der Inszenierung trägt die Musik von Bruno Franceschini bei, obwohl – oder wohl eher gerade weil sie in ihren Stilen ebenso wild durch die Gegend springt wie das Spiel auf die Bühne. Da ist ein überaus soulig-grooviger „Ich bin gerettet“-Song der Maus und ihr melancholischer „Ojemine“-Choral mit dem Chor der Gießkannen. Die Entstehung einer idyllischen Winterlandschaft begleitet David Campling gefühlvoll an der Guitalele, und selbst der TSV (also der „Tomatenschwimmverein“) hat seine eigene fröhliche Hymne.

Sibel Polat in "Socken, Mond und Sterne" (c) Judith Buss

Die Stückentwicklung von Ania Michaelis mit dem Schauburg-Ensemble hieß in einer ersten Ankündigung noch „Die besten Eltern der Welt“, und selbst in der Pressemeldung zur Premiere wurde angekündigt, dass sich die Inszenierung mit dem Verhältnis von Eltern und Kindern auseinandersetzen werde. Auch wenn sich Schweinchen Billy von seinem Papa, dem „Großen Schwein“ absetzen möchte, und statt wie er zu grunzen lieber mit seinem Superheld*innenkostüm durch die Gegend fliegen möchte – von dieser Prämisse ist in der Vorstellung selbst nicht allzu viel zu entdecken. Auch Socken und Sterne scheinen keine wesentliche Rolle zu spielen.

Doch das macht überhaupt nichts! Im Gegenteil: Die überaus kindlich-spontan-fantasievolle Perspektive und die Entdeckungsreise der Spieler*innen ist zu jedem Zeitpunkt fesselnd und anregend. Und so ist auch der Leitung der Schauburg hoch anzurechnen, wieviel Freiraum sie dem künstlerischen Team von „Socken, Mond und Sterne“ bei der Entwicklung wohl gegeben haben muss. Man merkt einfach, dass hier ein Ensemble voller Spielfreude immer genau dahin gegangen ist, wohin es ihre kindliche Fantasie getragen hat.

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Uraufführung Sonntag, 11. Juni 2023

Veranstaltungsort Kleine Burg

Altersempfehlung 3+ I 3 - 6 Jahre 

Mit David Campling und Sibel Polat

Inszenierung Ania Michaelis

Dramaturgie Katharina Engel

Theaterpädagogik Xenia Bühler

Bühne und Kostüme: Maria Bahra

Musik: Bruno Franceschini

Foto Judith Buss

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