Die aktuelle Kritik

Fitz! Stuttgart: "Als ES über uns kam"

von Manfred Jahnke

Aus dem "Katalog der großen Kränkungen der Menschheit" von Meinhardt/Krauss/Feigl

 

Rätselhaft schöne Bilder

In der Mitte der Bühne steht ein schräg augestelltes Quadrat. Die beiden hinteren Wände sind nicht transparent, die beiden vorderen hingegen schon. Ein Fenster eine Tür. In diesem Raum zwei Menschen, Mann und Frau, ganz bei sich. Auf dem Boden eine Miniatur des Bühnenbildes. Fenster und Tür sind Projektionen, die später zu wandern beginnen und Mann und Frau hin und her hetzen. Die Beiden werden diesen Raum nur ganz selten verlassen, diesen Raum, der eigentlich ein Gefängnis ist und doch wieder nicht.

Mit diesem Bild beginnt die dritte Forschungsreise von Iris Meinhardt/Michael Krauss/Oliver Feigl zum „Katalog der grossen Kränkungen der Menschheit. Teil 3“, das im FITZ! Stuttgart uraufgeführt wurde. Wie der Titel „Als ES über uns kam“ verrät,  geht es um die große Kränkung, die uns die Psychoanalyse seit Freud antut mit ihren Konstrukten „Ich“, „Es“ und „Über-Ich“.  Wo ICH seinen freien Willen behaupten möchten, da herrscht in Wirklichkeit das Unterbewusstsein und treibt das ICH vor einem her. Gerade in den Anfangsbildern der Inszenierung setzen Iris Meinhardt und Robert Atzlinger dieses Getriebensein in einer sich steigernden, präzisen Choreografie in Szene.

Im Laufe der Vorstellung entstehen immer neue Bilder: Straßen, Wellen, Flammen. Rätselhaft und schön umrahmen sie das eingeschlossene Paar. Michael Krauss gelingt es, in seiner Regie nicht nur die Geschichte einer Beziehung zu erzählen, sondern mehr noch: Er verknüpft das Spiel der beiden Darsteller direkt mit den wunderbaren Videoprojektionen von Oliver Feigl. Bewegungschoreografie und Bild gehen eine unauflösliche Verbindung ein, unterstützt noch durch die atmosphärischen Musikkompositionen von Thorsten Meinhardt.

Eine Szene bleibt besonders hängen: Da löst sich zunächst wie im Märchen "Peter Schlemihls wunderbare Geschichte" der Schatten von der Frau, er wandert und plötzlich ist die Bühne voller Schattenumrisse - ein starkes Bild für die Verselbständigung des Unterbewusstseins. Von denen es noch viele gibt. Allerdings verführen diese Bilder dazu, den Zuschauer distanzlos in ihre Welt eintauchen lassen.

Dass dieses Eintauchen gelingt, ist allerdings auch eine Qualität an sich und spiegelt die Macht des Unterbewussten, das hier Thema ist. Vom Getriebensein war schon die Rede. Es entstehen Bilder, in denen die Figuren versuchen, Kontakt mit der Außenwelt aufzunehmen, sich aus den Fesseln des Unterbewussten, aber auch vom Über-Ich zu trennen, das Gefängnis zu sprengen. Und dann gibt es am Ende den Wunsch nach dem ES, dem Kind…

 

Premiere: 1.10.2015


Koproduktion mit dem FITZ! Stuttgart

Regie:  Michael Krauss

Video: Oliver Feigl

Musik: Thorsten Meinhardt

Spiel: Iris Meinhardt und Robert Atzlinger

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