Die aktuelle Kritik

Theater der Jungen Welt, Leipzig: "DAZWISCHEN"

Von Jessica Hölzl

Im Zwischenraum des (Erwachsen-)Werdens entfaltet die ganz alltägliche Frage „Wie geht’s dir?“ ein trashiges Panorama jugendlicher Schwebezustände.

Die Hausfront auf der Bühne zeigt einen wilden Mix aus Flamingoprint, Blumenornamenten und Gebirgskitsch. Nichts passt hier zusammen – und das wiederum funktioniert sehr gut: „Wie geht’s dir?“, fragt eine warme Off-Stimme. Das Haus verzieht den Mund, ächzt, schiebt den bunt schillernden Anbau, faltbar wie eine spanische Wand, unbehaglich hin und her, und presst schließlich hervor: „Puh, keine Ahnung…“ Als vielfach bespielbarer Raum mit asymmetrischen Schrägen, Luken, Schlitzen und einer verschiebbaren Treppe wird das aus mehreren „Mündern“ sprechende Haus zum Ausgangspunkt einer Inszenierung rund um das „Dazwischen“, wie der Übergang vom Kind zum Erwachsenen überschrieben wird.

Nach „Bääätsch – Zunge raus“, einem Stück rund um „ein völlig zu Unrecht unterschätztes und verstecktes Körperteil“ für Menschen ab 4 ist „DAZWISCHEN“ die zweite kollektive Produktion von Ensemblespielerinnen des TDJW Leipzig. Klassische (Regie-)Theaterkonventionen enthebend setzt das Theater der Jungen Welt auf eine spannende Arbeitsweise dezentralisierenden künstlerischen Schaffens, wobei die Spielerinnen nicht nur als ausführende Instanz fungieren, sondern selbst konzipieren, produzieren und umsetzen. Das Ineinandergreifen von Konzeption, Regie und Spiel geht sehr stimmig in der szenischen Stückentwicklung rund um ein konkretes Thema – (Erwachsen-)Werden – auf, in der das kollektive Erzählen singulärer Erfahrungen und altbekannter Gefühle im Zentrum steht.

"Dazwischen" (c) Kirsten Nijhof

Die alltägliche Qual der Wahl: „Auf welche der beiden Partys soll ich heute Abend gehen?“ - “Hier ist‘s gut, aber vielleicht verpasse ich das schöne Fleckchen dort drüben, wo ich noch niemals war?“ Zweifel, Unsicherheit und der lange Weg zu einem hoffentlich souveränen Selbst werden humorvoll und sehr plastisch – beim Pickelausdrücken spritzt gelber Glibber aufs Fenster – in vielen kleinen Episoden auf die Bühne gebracht. Dabei lassen die drei Spielerinnen mit unterschiedlichen Ausbildungen im Schau- und Puppenspiel nicht nur die eigenen, in schrille Kostüme gekleideten Körper zur Spielfläche werden, sondern bespielen auch verschiedene Figuren und Objekte. Kaukautzky-Puppen, die an die Köpfe der Spielerinnen geschnallt werden und damit deren Gesicht führen, mit einfarbigen Körpern und äußerst elastischen Gliedmaßen illustrieren das titelgebende Dazwischen in besonderer Weise. Bespielt an Händen, Knien und Füßen schnellen sie zwischen den Optionen im Raum hin und her, strecken, überdehnen und zerreißen beinah im Versuch, das eigene Wollen und Wünschen zu ermitteln und machen die Unmöglichkeit, den einander hier sehr haptisch widersprechenden Stimmen im Selbst – ein Spielerinnengesicht als Kopfstimme und eines im Bauch – seh- und fühlbar.

"Dazwischen" (c) Kirsten Nijhof
Pointiert und präzise im Umgang mit den Gefühlen, die Wandel und Älterwerden mit sich bringen, zeichnet sich der Abend vor allem durch eine gut durchdachte Rhythmik aus. Schnelle und zarte Sequenzen lösen einander ab, vielstimmig sezieren Gartenzwerge, Sportjournalist:innen, Gefühlsmeteorolog:innen und andere Stimmen Momente des Zweifels und das graue Gesicht einer kahlen Handpuppe erzählt von der ersten großen Liebe in all ihrer Widersprüchlichkeit.

Trashige Lichtwechsel und a cappella-Einlagen sorgen für kurzweilige Szenenfolgen und auch die Form der Bespielung lässt keine Langeweile aufkommen, wenn beispielsweise die Hausfront durch aus den Schlitzen horizontal agierende Spielerinnen plötzlich zur Draufsicht auf einen Pausentisch wird. Bei aller Episodenhaftigkeit der Inszenierung entwickelt sich dennoch, und das ist toll, eine Art Kristallisationspunkt der (An-)Spannung – Knall, Black, Blende ins Publikum –, und im Anschluss eine Form des Spannungsabfalls, die keine pragmatische Lösung anbietet, sondern dem unheilvollen Dazwischen vielmehr mit einem entwaffnenden Lächeln zu begegnen versucht.

Schön ist dabei, den zentral verhandelten Lebensabschnitt zwar immer wieder anzudeuten und natürlich auch in der Publikumsadressierung (ab 12 Jahre) zu vermerken, aber die verhandelten Emotionen und Probleme keineswegs simplifizierend nur auf „Pubertät“ zu reduzieren. Das Stück nähert sich vielmehr emotionalen Zuständen und Unsicherheiten, die zwar in einem bestimmten Altersabschnitt gehäuft und verdichtet auftreten, doch als Menschliches, allzu Menschliches jede:n ein ganzes Leben lang befallen können – “Will ich? Soll ich? Sollte ich?

Als nach knapp einer Stunde höchst unterhaltsamen Schwebezustandes das Licht ausfadet, erklingt begeisterter Schlussapplaus, der die Spielerinnen wieder und wieder und wieder auf die Bühne holt. Das Publikum, 12 bis 65 und alles dazwischen, applaudiert einem Experiment, das auf mehreren Ebenen gelungen ist – sowohl mit seinem unkonventionellen Arbeitsprozess als auch in Bezug auf die thematische Auseinandersetzung, bringt doch ein Stück über Pubertät immer auch Gefahren der Vereinfachung, des paternalistischen Sprechens-für-Andere oder auch einfach nur großer Peinlichkeit mit sich. Dem entgeht „DAZWISCHEN“ mit feinfühligem Witz und vielleicht ist das nicht zuletzt der Verdienst sehr genauen gemeinsamen Hinsehens und wechselseitigen Korrigierens, ermöglicht durch die besondere Arbeits- und Herangehensweise des Teams.

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Premiere am 11.3.2023, Theater der Jungen Welt, Leipzig

Team:

Konzept/Regie/Spiel: Julia Sontag
Konzept/Regie/Spiel: Clara Fritsche
Konzept/Regie/Spiel: Luise Audersch
Komposition: Philipp Wiechert
Bühnenbild: Johanne Schröder
Kostüme: Johanne Schröder
Puppenbau: Nathalie Wendt
Dramaturgie: Justus Rothlaender
Dramaturgie: Maria Obermeier

Fotos: Kirsten Nijhof

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