Die aktuelle Kritik

Puppentheater Magdeburg: "Ein Spätsommernachtstraum"

Von Florian Schreiter

Ein humorvolles Sommertheater mit lebendigen Puppen- und Schauspiel. Regisseur Moritz Sostmann lässt die jungen Liebenden vom Shakespeareschen Original als alte Menschen auftreten.

Das traditionelle Hofspektakel im Innenhof des Puppentheaters könnte man als Finale der Saison vor der Spielzeitpause bezeichnen. Aller Corona-Widrigkeiten zum Trotz wurde dem Publikum ein sinnlicher, komischer und unbeschwerter „Spätsommernachtstraum“, frei nach Williams Shakespeares Komödie „Ein Sommernachtstraum“ geboten. Eine Inszenierung mit Schauspiel und Puppen.

In den ersten Minuten wurde dem Zuschauer statt Shakespeare, Arthur Schopenhauer um die Ohren gehauen. Doch Florian Kräuter verkauft, in der Rolle eines Regisseurs, diesen philosophischen Exkurs so leidenschaftlich, dass man sich gut unterhalten fühlt, auch wenn man sich in Schopenhauers Gedankenwelt zu „Die Welt als Wille und Vorstellung“ nicht zurechtfinden sollte. Florian Kräuter der später auch Oberon mit Puck als Kasper-Handpuppe spielt, ist mit seiner Spielenergie der Anchor-Man der Aufführung.

Regisseur Moritz Sostmann zieht Parallelen zwischen Arthurs Schopenhauers philosophischen Gedanken und dem was Shakespeares Protagonisten im Liebeswahn antreibt. Der Mensch sei nach Schopenhauers Überzeugung instinktiv von der Jagd nach dem Glück angetrieben. Einerseits speist sich daraus seine Lebensenergie, anderseits führe dies zu einem leidvollen Leben, da Glücksmomente nur kurzzeitig fühlbar seien. Das Leben bewege sich quasi zwischen Wollust und Hölle, so wie Moritz Sostmann die Liebenden in Shakespeares Werk sieht.

Die Paare Hermia, Lysander, Demetrius und Helena sind rüstige alte Damen und Herren. Sie  wurden vom Puppen- und Requisitenbauer Hagen Tilp als sogenannte Vierfüßler-Puppen geschaffen, die mit einer Größe von 115 Zentimetern wie verkleinerte Menschen wirken. Ihre realitätsnahen Körper- und Gesichtszüge faszinierten einige Zuschauer sichtbar. Hagen Tilps Puppen zeichnen sich durch eine enorme Feinheit aus, die durch bewusst eingesetzte Asymetrie oder übertriebene Proportionen eine  besondere Lebendigkeit erzeugen. Er orientiert sich beim Körperbau- und Gelenkbau streng an der Anatomie des Menschen.

Auch wenn sich die Charaktere herrlich angiften, streiten und anschmachten bleiben sie ständig charmant und liebenswert. Es sind Menschen mit Kanten und Macken, die jeder auch in seinem Umfeld treffen könnte. Wenn Hermia sich lasziv vor ihrem Liebsten Demetrius räkelt, wirkt dies durch ihr Alter komisch. Aber es mutet keinen Moment seltsam an, dass Moritz Sostmann das Begehren und die wechselnden Liebesschwüre von alten Menschen erleben und aussprechen lässt. Damit beweist er: Die Jagd nach Liebe, Zuneigung und Begierde ist nicht allein das Privileg junger Menschen, sondern zeigt eher, dass dies ein Dauerzustand unserer Lebensspanne ist.

Die Pointen sind gut dosiert, ein ständiger Wechsel zwischen komischen und sinnlichen Szenen, hin und wieder gespickt mit derben Späßen. Die ganze Inszenierung erinnert mich an französische (Liebes-)Filmkomödien, in denen es herrlich menschelt und die einen seelisch wärmen. Die Zuschauer kicherten, schmunzelten, waren gespannt, einige versuchten vorauszuahnen was gleich als nächstes kommt. Doch durch viele kleine kreative Einfälle weiß die Inszenierung immer wieder zu überraschen. Da beamt sich zum Beispiel Puck plötzlich an einen anderen Ort oder eine Taube fällt unerwartet aus einem Baum. Der Zauberwald ist wahrlich magisch. Der Innenhof des Puppentheaters bot mit seinem natürlichen Baumbestand für Bühnenbilder Sven Nahrstedt eine gute Grundlage für die Kulisse.

Mit den Corona-Auflagen wurde beispielhaft umgegangen. Nur 60 statt 130 Zuschauern duften eingelassen werden. Die Zweiersitze, aus Europaletten gebaut, wurden so verteilt, dass man trotz Abstand dennoch ein Gefühl von Normalität hatte. Getränke und Imbiss konnte vom Platz aus bestellt werden. Und auch auf der Bühne wurden die Vorsichtsmaßnahmen umgesetzt: Mund-Nasenschutz bei zu großer Nähe, Abstand und Desinfektionsmittel wurden kreativ im Spiel umgesetzt.

Dieser Abend zeigte was das Puppentheater Magdeburg ausmacht: Eine hohe künstlerische Qualität sowie eine herzliche familiäre Atmosphäre. Das Publikum honorierte dies mit einem langanhaltenden Applaus und einem zufriedenen Lächeln.
 

Premiere: 20.06.2020

Regie: Moritz Sostmann
Bühne: Sven Nahrstedt
Puppen: Hagen Tilp
Kostüm: Kathrin Hauer
Dramaturgie: Anna-Maria Polke
Spiel: Linda Mattern, Anna Wiesemeier, Freda Winter, Richard Barborka, Florian Kräuter, Lennart Morgenstern, Leonhard Schubert

Foto: Viktoria Kühne
 

1 Kommentar
M. Berlioz
29.06.2020

Spätsommernachtstraum

Das war ein ganz illustres Stück sommerlicher Unterhaltung; so richtig zünden vermochte es allerdings nicht. Möglicherweise hält uns auch der Abstand auf Abstand zu einem vollständigen Genuss. Obwohl ich ja auf einer Bank neben einer mir fremden Person in 20cm Nähe platziert wurde. Der künstlerischen Qualität tat das aber keinen Abbruch.

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