Die aktuelle Kritik

florschütz & döhnert: "Ein Loch ist meistens rund"

von Annette Dabs

Phantastische Entwicklung der Dreidimensionalität aus dem Zweidimensionalen.

 

Verzauberung der Allerkleinsten

Haben Sie schon einmal ein Loch ausgesägt? Und? War es dann weg?

Stellen Sie sich vor, es gäbe urplötzlich große und kleine, riesige und schwarze Löcher, die sich überall auftun können und auf einmal wieder verschwinden. Mit diesem Vorgang vergnügten Melanie Florschütz und Michael Döhnert, Vorreiter des Theaters für die Allerkleinsten, im Dezember 2016 ein gebanntes Publikum von Vorschulkindern im Theater an der Ruhr in Mülheim. Alle zwei bis drei Jahre nur produziert das Berliner Künstlerduo eine neue Produktion für diese Altersstufe. Sie sind zwar in Berlin zuhause, touren mit ihren Stücken aber deutschlandweit und besonders auch in Frankreich. Zum Glück gibt es viele Anfragen aus Frankreich, denn nur mit den deutschen Gastspielen wäre das Überleben nicht gesichert. Es gibt in Deutschland zu wenig Spielorte für das Figurentheater. Umso schöner, dass das Kultursekretariat NRW für die Reihe „Kindertheater des Monats“ hervorragende Produktionen von Figuren- und Objekttheaterkünstlern ausgewählt hat. Zu denen gehören auch florschütz & döhnert mit ihrer aktuellen Produktion.

In „Ein Loch ist meistens rund“ rücken sie ein Element aus der letzten Inszenierung in den Fokus:  Die Entwicklung der Dreidimensionalität aus dem Zweidimensionalen. Das gelingt ihnen über die Sinnestäuschung oder besser gesagt über die Phantasie der Zuschauer, durch die sie bereit sind, eine tiefschwarze, nicht reflektierende Scheibe auf dem Boden als tiefes Loch zu interpretieren. Oder vier ebensolche Quadrate, an einer Wand angeordnet, als Sprossenfenster in der Nacht. Durch diese Öffnungen kann man hindurchschauen und in diese Löcher kann man hineinschauen. Tief hinein. Tropfendes Wasser lässt an die Kanalisation denken, aber auf einmal hört man entfernt hohlen Gesang und hallende Stimmen, entfernt Schritte, ein Schatten erscheint…

Und doch liegen dort auf dem Bühnenboden eigentlich nur schwarze Scheiben. Aus ihnen können wundersamerweise sogar Schlüssel, Eimer oder ein Telefon geholt werden. Das Telefon bringt ein Rauschen aus der Tiefe mit und wird natürlich am besten am Schatten einer Lampe gesichert – und dass so etwas auf der Bühne möglich ist, fasziniert die Kinder schon gewaltig. Die Faszination gelingt aber auch durch kleine Kunststücke, die aus flachen Silhouetten auf einmal eine richtige Kugel oder ein kleines dreidimensionales Haus entstehen lassen. Wenn dann noch ein langer (Zauber-)Stab in das Loch versenkt wird, ist die Illusion perfekt. Und doch handelt es sich bei dem Stück nicht um Illusionstheater. Die Zuschauer*innen können oft verfolgen, wie genau z.B. die Geräusche auf der Bühne entstehen. Da wird das Mikrophon auf dem Boden hin- und hergeführt, um das kratzige Geräusch beim Drehen eines Gullideckels herzustellen. Oder der Gesang, das Gemurmel aus dem Untergrund kann eindeutig dem Spieler zugeordnet werden.

Dennoch lassen sich die Kinder so sehr auf die behauptete Welt im Untergrund ein, dass ihnen der große Schatten und die einsetzende Dunkelheit doch etwas unheimlich sind. Da ist es gut, dass das Rollenspiel der Figuren- und Objektspielerin Melanie Florschütz und des Musikers Michael Döhnert so viel Komik erlaubt. Es funktioniert ein wenig wie der Weißclown und der dumme August und Melanie Florschütz hat großes clowneskes Potenzial. Wenn sie mit dem Akkuschrauber bzw. der Akkuschrauber mit ihr über die Bühne hüpft und sich beim In-die-Wand-Bohren ihr ganzer Körper in Vibration aufzulösen scheint, dann quietschen die Kinder vor Vergnügen. Zum Glück verzichtet Döhnert auf das Oberlehrerhafte des Weißclowns. Hier ist er einfach der ruhende Pol, der der kindlicheren Identifikationsfigur hilfreich zur Seite steht.

Die gestalterischen Mittel sind wundervoll sparsam eingesetzt und ausgewählt. Über allem liegt eine Schwarz-Weiß-Ästhetik mit Grautönen, aus der lediglich zwei rote Kugeln ausreißen. Die Formen orientieren sich an dem Grundprinzip Kreis, Quadrat, Kugel, Zylinder. Es gibt keinen Text, wohl aber Gemurmel und Geräusche. Und es gibt keine Belehrung, nur ein gemeinsames Vergnügen an der Entdeckung. Verblüffend einfach, verblüffend raffiniert. Das Publikum folgte dem Geschehen mit Begeisterung und einigen unerwarteten Kommentaren. Zum Schluss stritten die Kinder darüber, ob es sich um ein Loch oder um einen Deckel handelt. Wie war das doch noch mit der Erde und der Scheibe?

 

Premiere: 12. September 2015 (in der Schaubude Berlin)

Künstlerische Begleitung und Licht: Joachim Fleischer
Idee und Spiel: Melanie Florschütz und Michael Döhnert
Bühnenmalerei: Wolf Dieckmann
Kostüme: Adelheid Wieser
Beratung illusionistische Tricks: Andreas Meinhardt
Foto: Thomas Ernst

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