Die aktuelle Kritik

Ensemble Toboso: „LOST & FOUND“

Von Honke Rambow

Ein Stück über das zweite Leben weggeworfener Dinge im Rahmen der Duisburger Akzente am Theater Duisburg

Was geschieht mit den Dingen, die nicht mehr gebraucht werden? Und wie fühlen die sich eigentlich selbst dabei? Zuerst einmal liegen sie herum, in einem alten Einkaufswagen und im Bühnenhintergrund auf einem Haufen, der kurz nach Beginn lebendig wird. In dem unnützen Zeug steckt eine Frau, ein Schminkkoffer als Hut, der Körper in Folie gewickelt ein Kochtopf am Fuß. Und dann werden es immer mehr Sachen. Die sieben Performer*innen bringen sie nacheinander herein, manchmal stellen sie vor, was da auf die Bühne getragen wird, mit Typbezeichnung und Baujahr, Material und Farbnamen, manchmal aber stellen sie auch sich selbst als das Ding vor, wie etwa bei der alten Bahnhofsuhr, die am Duisburger Hauptbahnhof hing, bis die Wartenden es nicht mehr ertragen konnten vom quälenden Verrinnen der Zeit genervt zu werden. Nutzlos geworden bevölkern die Dinge den Raum, gelegentlich werden sie aber auch mit neuem Leben erfüllt, wenn etwa die Antenne eines Kofferradios zum Degen wird, zwei Schutzhandschuhe zu Flügeln.

Dann soll plötzlich diese Blockflöte versteigert werden. Und etwas Unerwartetes geschieht: Eine der Performerinnen meldet Besitzansprüche an. Es sei ihre Blockflöte und sie sei viel mehr wert, als nur fünf Euro. Sie sei ein professionelles Instrument und mindestens fünftausend Euro wert. Und überhaupt habe sie, seit sie denken könne, jeden Tag auf dieser Blockflöte gespielt. Nur als ihr der Blinddarm entfernt worden sei, da habe sie einen Tag lang nicht geübt. Später wird sie tatsächlich Blockflöte spielen. Und noch etwas später wird sie sich von diesem Ding, das ihr ganzes Leben bestimmt, befreien. Ziemlich gewalttätig mit Säge und Schraubzwinge, bis das Blut oder doch nur die Dosentomaten spritzen.

Und so, wie die Dinge immer wieder ein Eigenleben jenseits ihres Nutzens entwickeln, werden ihrerseits die Performer*innen zwischendurch zu nutzlosen Dingen, die herumstehen, aneinander lehnen, umkippen und sich stapeln. So viel anders, als das, was wir um uns herum sammeln, irgendwann nicht mehr brauchen und loswerden wollen, sind wir selbst gar nicht.

Zu allerletzt bilden die beweglichen Holzrahmen, die Sandra Becker entworfen hat, eine Art Pavillon, in dem die Prformer*innen nach und nach all die Dinge arrangieren. Und dann beginnt ein zauberhaftes Marionettentheater, in dem sich wie von Geisterhand der Schirm öffnet und schließt, der Mixer leuchtend surrt und der Teppich Roller hin und her fährt. Ein wunderbar poetischer Augenblick, in dem das Weggeworfene und Kaputte seine Würde zurück bekommt und der reine Nutzwert der Dinge plötzlich ganz nebensächlich wird.

In rund einer Stunde erzählen Regisseur Fabian Sattler und seine Performer*innen viel über das, was uns mit den alltäglichen Objekten verbindet, wie schnell aber auch ihre Bedeutung in Vergessenheit geraten kann. Sie tun das mit viel Humor und etwas Melancholie, aber ohne je in eine moralisierende Nachhaltigkeitsargumentation zu verfallen. „Lost & Found“ richtet sich an Kinder und Jugendliche. Für Erwachsene funktioniert das Stück auch, wenn es dann auch etwas zu wenig tiefere Reflexion über die angestoßenen Themen enthält.

 

Premiere: 29.3.2019

REGIE Fabian Sattler AUSSTATTUNG Sandra Becker DRAMATURGIE Annette Pfisterer TECHNIK Simon Knöß PRODUKTION Sabine Stücker BÜHNENBAU Dimitrij Haak

STÜCKENTWICKLUNG UND PERFORMANCE Moritz Anthes, Lisa Balzer, Moritz Fleiter, Omar Guadarrama, Charlotte Kath, Ivo Schneider, Sindy Tscherring

Dauer: 60 Minuten

 

Foto: Sascha Kreklau

0 Kommentare

Neuer Kommentar