Die aktuelle Kritik

Puppentheatersammlung Dresden, Rimini Protokoll: "ALTER EGO Raubkopie"

Von Andreas Herrmann

Die Staatlichen Kunstsammlungen Dresden bieten ihrer großen Puppentheatersammlung nicht nur ein neues Basislager, sondern auch ein Jahrespodium mit raffinierter Rimini-Produktion.

12. September 2024

Es bedurfte vieler Zufälle und einiger Wunder, dass diese Sammlung erhalten und zusammen blieb und nun derart in Dresden zu sehen ist: „Haus der Charaktere“ hat man die neue Residenz der Puppentheatersammlung im Kraftwerk Mitte genannt, ein Mix aus Museum, Depot und Installationsraum, genau gegenüber dem Theater Junge Generation gelegen, und nun per Festakt am Wahlvornachmittag eröffnet.

Die 1952 entstandene Sammlung mit ihren über 100.000 Objekten, darunter sehr viele zweidimensionale Texte und 12.000 dreidimensionale Puppen (samt Sandmännchen als Lokführer, Hohnsteiner Kasper sowie dem gesamten Fundus der Oberlausitzer Marionettendynastie Ritscher) ist natürlich komplex. Sie ist nun in der „Basis“ genannten Dauerausstellung samt Depot beheimatet.

Für die Jahresausstellung, die eine eigene Etage mit 600 Quadratmetern bespielen kann, bietet man als künstlerisches Ereignis zum Start Rimini Protokoll (2000 als Label gegründet und seither in Dresden schon mehrfach überaus positiv auffällig). „ALTER EGO Raubkopie“ heißt die von Helgard Haug und Stefan Kaegi sorgsam durchdachte und edel eingerichtete Multimediaperformance. Der 4-Stationen-Parcours in drei Räumen beginnt an einer Maschine wie in jedem Einwohnermeldeamt mit einem Fahndungsfoto und bietet dann per Platzkarte einen Spiegelverhörplatz in Achter-Reihe an, wie man sie aus dem „Tatort“ kennt. Per Kopfhörer (mit zwei Marionettenstrippen zur Decke) werden Handlungsanweisungen geflüstert, schnell wird das Gegenüber (eine andere Achter-Brigade) eingeblendet, mit der man gestisch korrespondieren soll.

"ALTER EGO Raubkopie" © David Pinzer

Im zweiten Raum kommt Elon Musk auf eine Halbrund-Varietébühne: als herrliche Marionette von Christian Werdin. Musks Gesicht ist leicht prägnanter als das Original, die Puppe wirkt sportlicher. Gespielt wird sie in einer Szenografie von Evi Bauer vollautomatisch, die Puppe hängt an einem magischen Roboterarm (Konstruktion: Ingo Mewes, Programmierung: Julian Jungel), der dann, in einer überraschenden zweiten Runde von der Hinterbühne in voller Beweglichkeit bewundert werden kann (die Bewegungsabläufe der Marionette wurden mit Puppenspielkunst-Studierenden der HfS Ernst Busch erarbeitet). Elon erzählt uns in der ersten Runde nix von X, sondern in süffisant-arroganter Art von seiner Idee hinter der Firma Neuralink: per Hirn-Computer-Schnittstelle menschliche Schwächen ausbügeln. In der zweiten Runde dann gedreht: Musk erkennt sich plötzlich als Marionette – die Sprachsteuerung und der Roboterarm übernehmen, seine Flugversuche enden in Abhängigkeit, er wird Opfer seiner Deus ex machina…

"ALTER EGO Raubkopie" © David Pinzer

Als Epilog gibt es für alle neugenerierte Bewegtbilder samt fremder in den Mund gelegter Worte, die aus eigenen während der Vorführung aufgenommenen Daten destilliert werden. Auf einem der im Halbrund hängenden Bildschirme sucht man sich die persönliche digitale Interpretation von Gesicht und Stimme, sieht aber auch die der anderen – alles leicht künstlerisch verfremdet, aber dennoch erschreckend ob der offensichtlich automatischen Echtzeitgenese.

Eine Altersempfehlung ist dabei nicht vorgegeben, der subtil verbrämte pädagogische Rimini-Effekt – gegen jedwede Überwachung, automatisierte Strippenzieherei sowie Netzwerkabhängigkeit – dürfte bei 16 Jahren beginnen. So ist nun einerseits für fast ein Jahr eine fulminante wie brillant verwebte Technikspielerei zu erleben, der andererseits wohl eine Unterschätzung von Musks komplexer Denke innewohnt, für die man sich genauer mit Trans- versus Posthumanismus beschäftigen müsste.

Aber dies ginge in diesem Rahmen natürlich zu weit – es bleibt eine kluge Entscheidung, sich derart abstrakt von der eigenen Sammlungsgeschichte und deren Stars abzuwenden und eine eigene Zukunft zu definieren. So bleibt das eigentliche Sujet – diese Puppentheatersammlung als „Haus der Charaktere“ – unbefleckt und die wunderbare Welt des echten Marionettenspiels menschelnden Profis vorbehalten.

Nachdem die Presse und die zahlreichen Dresdner Polit- und Kultur-VIPs bereits kurz vor der Wahl das Ereignis genießen durften (die CDU, Partei von Ministerpräsidenten und seiner Kulturministerin, gewann daraufhin mit vielen rotgrünen Leihstimmen überraschend klar in Dresden), kann das Fußvolk seit letztem Wochenende das neue Mehrfachwunder besichtigen.


Puppentheatersammlung Dresden, Rimini Protokoll: "ALTER EGO Raubkopie"

Ein multimediales Puppenspiel in drei Räumen – eine Produktion der Staatlichen Kunstsammlungen Dresden und Rimini Apparat

Konzept / Text / Regie: Helgard Haug, Stefan Kaegi | Szenografie: Evi Bauer | Dramaturgie: Imanuel Schipper | Sound Design: Daniel Wetzel | Video Design: Juan Pablo Gaviria Bedoya | Licht Design und Programmierung: Robert Läßig | Programmierung Deep Fake und Tablet Apps: Victor Victor, Tania Krisanty | Konstruktion / Bau Roboterarm: Ingo Mewes | Programmierung Robotik: Julian Jungel | Marionettenbau: Christian Werdin | Einstudieren Bewegungsabläufe Marionette: Studierende der Hochschule für Schauspielkunst Ernst Busch, Abteilung Zeitgenössische Puppenspielkunst: Annika Schaper, Almut Schäfer-Kubelka, Tanja Linnekogel, Robert Richter, Sven Tillmann | Synchronstimme Marionette: Benno Lehmann | Stimme: Bettina Sörgel | Marionettenspiel - Video-Dreh Dresden: Caspar Bankert und Christoph Levermann | Camera: Raphael Freitas | Technische Leitung: Robert Läßig | Planung und Betreuung der baulichen Umsetzung: Christine Weisser, Thomas Bache, kursiv I text - Objekt - raum GmbH | Ausstellungsbau: Tischlerei Deger GmbH, Raumausstatter Haubner, Tischlerei Rosenmüller, Matthias Kutz, Steffen Esser | Kostümschneiderei: Katharina Schimmel | Produktionsleitung: Juliane Männel, Monica Ferrari, Vera Nau | Mitarbeit Szenografie: Josefine Ketelsen | Mitarbeit Licht: Kristin Feldmann | Mitarbeit Ton: Karolin Killig, Sebastian Rietz | Mitarbeit Raum: Anne Klein | Mitarbeit Programmierung: Hans Leser

Premiere: 7. September 2024
Dauer: ca. 42 Minuten ohne Pause

Laufzeit: 7. September 2024 - 29. Juni 2025
Öffnungszeiten: Dienstag bis Freitag 14-19 Uhr, Samstag bis Sonntag 10-19 Uhr

Infos und Tickets auf der Website der Puppentheatersammlung