Die aktuelle Kritik

Figurentheater Anne-Kathrin Klatt: "Confetti man. Das Leben ein Fest"

Von Christofer Schmidt

Aus der Not eine Tugend gemacht: Das ursprünglich für die Bühne konzipierte Stück „Confetti man“ feierte seine Premiere im digitalen Raum. Anne-Kathrin Klatt und Michael Miensopust präsentieren mit ihrem Kurzfilm eine wohltuend leichtfüßige Arbeit über den Sinn und Unsinn der menschlichen Existenz.

Eine leblos wirkende Figur sitzt in sich zusammengesunken auf einem Tisch. Neben ihr, separiert voneinander durch verschiedene Kameraeinstellungen, befinden sich zwei Menschen, die ungeduldig warten. Aber worauf? Vielleicht auf ein Lebenszeichen der Figur? Auf die Erlaubnis, mit ihr zu spielen? Allmählich werden in weißen Lettern die Sätze „culture needs life“ und „life needs culture“ eingeblendet. Aussagen, die sich gleichermaßen als anklagender Kommentar zur aktuellen Corona-Situation deuten lassen wie auch als belehrende Erinnerung daran, dass Kultur lebensnotwendig ist.

Kurz darauf beginnt die eigentliche Geschichte. Sie führt uns 15 Billionen Jahre zurück in die Vergangenheit. Dorthin, wo es einst nichts gab, außer Leere. Plötzlich erklingt eine schrullige Stimme, die vom Urknall berichtet. Sie gehört zu einem überzeitlichen Wesen, das in Gestalt eines mysteriösen Hasen daherkommt. Humorvoll wird das Gesagte auf visueller Ebene verdoppelt, indem einfache Mittel wie Feuerwerksexplosionen und Scheinwerfer die Genese unseres Sonnensystems illustrieren. Bis zur Entstehung des Menschen vergehen nur wenige Augenblicke und schon gibt es ein Wiedersehen mit der eingangs gezeigten Figur. Sie entpuppt sich als Stellvertreter unserer Spezies und gleichzeitig als Protagonist dieses insgesamt 25-minütigen Films, dessen Titel „Confetti man“ nun eingeblendet wird.

Zunächst wird die kleine, etwa unterarmgroße Tischpuppe sorgsam aus einer Plastikverpackung herausgeholt und durch die Bewegung ihrer Glieder animiert. Sie hat dunkles, ungekämmtes Haar, trägt ein blau-graues Hemd mitsamt schicker Stoffhose und blickt sympathisch-melancholisch drein. Über eine Applikation an ihrem Rücken wird sie von der im Hintergrund agierenden Spielerin durch das Kamerabild geführt. Dabei steht die Gewandtheit der Spielerin in einem unterhaltsamen Kontrast zur lethargischen Aura der Puppe.

Was aber zeichnet ihn nun aus, den Menschen? Er ist „Biomasse“ und „seine Lebensdauer beträgt durchschnittlich 80 Jahre“. Neben biologischen Fakten folgt via Voiceover und Untertiteleinblendung eine staccatoartige Aufzählung verschiedener Versicherungsmöglichkeiten (u. a. Haftpflicht-, Reiserücktritts- und Sterbeversicherung) und Vorsorgeinstrumente (Riester-Rente), die den Menschen in seiner Hybris charakterisieren, nichts dem Zufall überlassen zu wollen. Damit ist gleichzeitig das zentrale Thema dieser Arbeit umrissen: die Angst vor den Unwägbarkeiten des Lebens, vor dem Kontrollverlust und letztlich auch vor dem Tod.

Am Beispiel unserer Stellvertreterpuppe erleben wir prompt eine erste Irritation: Laute Partymusik und buntes Konfetti drängen in die Szene. Nach einem poetischen kurzen Moment des Beobachtens und Innehaltens folgt auch schon der Staubsauger. Die Puppe versucht, die vom Himmel regnenden Schnipsel aufzusaugen und so wieder Ordnung herzustellen. Doch vergeblich. Auch gegen den Lärm kann sie nichts ausrichten. Im Gegenteil: Die Musik wird immer lauter, sie vibriert und zieht ihr letztlich den Boden unter den Füßen weg. Sie verliert ihren Halt in der Welt und stolpert geradewegs in eine tiefe Sinnkrise.

Begleitet von philosophischen Fragen wie „Hat das Universum einen Plan?“ oder „Wer hat sich das alles ausgedacht?“, folgt eine Art Rauscherfahrung. Die Mise en Scène nimmt uns mit in die überforderte Gedankenwelt der Puppe, die durch schnellere Schnittfolgen, Farbfilter und Begegnungen mit seltsamen Wesen markiert wird, aber auch durch einen wirren musikalischen Mix aus Pop, Country und Mönchgesang. Ergänzt wird der Trip zudem durch verschiedene Stationen der Menschheitsgeschichte: Die Mondlandung oder auch Trumps politischer Slogan „America First“ demonstrieren, wie nah Fort- und Rückschritt beieinanderliegen können. Währenddessen regnet das Konfetti kontinuierlich weiter. Das letzte Bild dieser Szene zeigt die Puppe mit ihrem Rücken auf einem Ball liegend. Ihr Halt wirkt instabil – und tatsächlich: Der Ball platzt, die Puppe wird verschüttet, die Musik endet. Es herrscht Stille.

Kurz stellt sich die Frage, ob damit bereits das Ende der Geschichte erreicht ist, doch schnell folgt auf den angedeuteten Tod der Puppe ihre Wiederauferstehung. Sie bahnt sich ihren Weg aus dem Konfetti-Grab und lauscht dem allmählich einsetzenden Vogelgezwitscher. Der Konfettiregen hat aufgehört. Erneut ein poetischer Moment des Innehaltens, auf den diesmal jedoch nicht mit einem Staubsauger reagiert wird, sondern mit einer Art Ausdruckstanz. Erst vorsichtig, dann immer größer und freier tobt die Puppe durch kleine Hügel aus Konfetti. Sie wirbelt es durch die Luft und ist nun selbst für einen bunten Schnipselregen verantwortlich. Ob sie als Stellvertreter des Menschen nun ihre eigene Sterblichkeit akzeptiert oder einfach einen gelasseneren Umgang mit den Herausforderungen des Lebens gefunden hat, bleibt offen. Ihr freudvoller, sorgloser Tanz macht jedenfalls Mut und gehört zu den wohl stärksten Momenten der Arbeit. „Er weiß nicht, was als Nächstes passiert“, äußert eine Stimme per Voiceover und läutet ein überraschendes, offenes Ende ein, das hier nicht vorweggenommen werden soll.

Durch den geschickten Einsatz filmischer Mittel wirkt „Confetti man“ nicht wie die digitale Notlösung einer ursprünglich für die Bühne gedachten Arbeit, sondern wie ein klug durchkomponiertes, eigenständiges Werk, das zum Philosophieren anregt. Die Figur, die von Gavin Glover gebaut wurde, besticht durch ihre liebenswerte und unbeholfene Ausstrahlung, mit der Anne-Kathrin Klatt in ihrem Spiel wohlüberlegt umzugehen weiß. Über Nahaufnahmen und Over the shoulder shots lädt die Filmregie zur besonderen Identifikation mit der Puppe ein, deren Transformation vom anfänglich verunsicherten, zum optimistisch in die Zukunft schauenden Menschen vor allem durch das gute Zusammenspiel von Figurenführung und Filmregie gelingt.

 

Premiere: 09.04.2021

Regie & Soundcollage/Performancevideo: Michael Miensopust

Spiel & Ausstattung: Anne-Kathrin Klatt

Figur: Gavin Glover

Assistenz: Noemi Fulli

techn. Mitarbeit: Heinrich Hesse

Dank an Joachim Fleischer

Gefördert durch den Landesverband Freier Theater Baden-Württemberg e. V. aus Mitteln des Ministeriums für Wissenschaft, Forschung und Kunst des Landes Baden-Württemberg

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