Die aktuelle Kritik

Bühne Cipolla: "Keller"

Von Honke Rambow

Die vielleicht hoffnungsloseste und düsterste Novelle Fjodor M. Dostojewskis als Figurentheater? Dank der abwechslungsreichen Nutzung der Möglichkeiten wird der Monolog „Aufzeichnungen aus einem Kellerloch“ bei der Bühne Cipolla am Theater Duisburg dennoch zum unterhaltsamen Stück.

Der namenlose Ich-Erzähler in Dostojewskis Text gilt als seine unsympathischste Erfindung. Durchweg negativ ist dieser Charakter, der sich im ersten Teil des Textes essayistisch über die moderne Welt ereifert und dann – im zweiten Teil – exemplarisch Episoden aus seinem Leben erzählt, die bereits zwanzig Jahre zurück liegen. Dabei ist unklar, zu wem er spricht, auch wenn er immer mal wieder ein nicht näher bezeichnetes Publikum erwähnt.

 

Mag sein, dass diese Andeutung in Dostojewskis Text eine szenische Umsetzung nahelegt. Der ausschließlich von negativen Gefühlen wie Neid, Hass, Rache getriebene Charakter schreckt davon eher ab. Möchte ein Publikum tatsächlich den Tiraden so einer Person über längere Zeit folgen?

 

Die „Bühne Cipolla“ wagt sich unter dem schlichten Titel „Keller“ dennoch an eine Umsetzung. Das Kellerloch, in das sich der Büroangestellte nach einer kleinen Erbschaft zurückgezogen hat, um mit möglichst geringem Kontakt zur gehassten modernen Welt zu leben, ist hier gar nicht so dunkel und farblos. Auf einer kreisrunden gelben Spielfläche erheben sich unterschiedlich hohe Podeste in klaren Farben. Unter ihnen entstehen Räume, von denen der größte vom Musiker Gero John besetzt ist. Mit Cello, Keyboard und Sampler gibt er dem rund 80minütigen Abend einen akustischen Background, der zwischen getragen Atmosphärischem und pulsierende Tracks, die an New-Wave erinnern, schwankt. Sebastian Kautz übernimmt das Puppenspiel. Maßgeblich für den Reiz des Abends ist, dass es nicht bei einer einzigen Figurenvariante des Ich-Erzählers bleibt. Der ausdrucksstarke Kopf des Grantlers wechselt ständig die Körper. Mal schlabbert er in Zwergenformat mit Stummelbeinchen über die Bühne, wenn er sich bei der Begegnung mit der Außenwelt klein und unwesentlich fühlt, dann – in der Erzählung von seinem vergangenen Büroalltag – steckt Kautz in einem aufblasbaren Ballonanzug mit Maske, manchmal werden die Beine des Spielers zu denen der Figur und dann bekommt er plötzlich einen felllosen Rattenkörper verpasst, an dem herumoperiert wird.

 

Der essayistische Teil von Dostojewskis Text nimmt in „Keller“ nur einen kleinen Platz ein, die episodischen Erzählungen aus seiner Vergangenheit bieten mehr szenisches Futter. Der vierzigste Geburtstag des Ich-Erzählers wird gefeiert, ein glitzerndes Partyhütchen auf dem Kopf und ein Stück Schaumstofftorte vor sich. Das Älterwerden wird zum Auslöser für die Dauerkrise und den Rückzug aus der Welt. An seinem Geburtstag interagiert der Ich-Erzähler noch mit den beiden Spielern. Er wird es auch im weiteren noch tun, aber immer seltener und ambitionsloser. Die selbstgewählte Isolation schreitet voran. Dass er bei Dostojewski namenlos bleibt, wird zum Running Gag des Abends. Immer wieder setzt er an, seinen Namen zu nennen und verkneift es sich dann im letzten Augenblick.

 

In der Version der Bühne Cipolla gelingt es, der deprimierenden Erzählung immer wieder Humor abzugewinnen, ohne den Text zu verraten. Das hat viel mit den unterschiedlichen Figurenvarianten und Spielweisen zu tun, die auch immer einen Seelenzustand des Ich-Erzählers bildhaft widerspiegeln. So wird das Publikum elegant mitgenommen durch die Episoden: Das Klassentreffen mit den immer schon gehassten Schulkameraden, die, je erfolgreicher ihre Leben sind, umso verachtenswerter erscheinen. Die Begegnung mit dem eitel über die Straße schreitenden Offizier. Das Zusammentreffen mit einer Prostituierten, die zur bewussten Verhinderung einer doch ersehnten Annäherung wird.

 

 

 

Premiere: 23.09.2020

 

Fotograf: Benjamin Elchler

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