Die aktuelle Kritik

Monsun Theater Hamburg: „Anastasia, wann bekommst du deine Juwelen zurück?“

von Falk Schreiber

Cora Sachs erzählt die Geschichte einer Hochstaplerin als Gewissheiten verwirrenden Grenzgang zwischen Performance und Objekttheater.

Eine irre Geschichte. Anfang der 1920er tauchte eine verwirrte Frau in Berlin auf, die sich als Großfürstin Anastasia Romanowa ausgab, jüngste Tochter der 1918 im Zuge der russischen Revolution ermordeten Zarenfamilie Romanow. Ziemlich schnell gab es Zweifel an ihren Angaben, zumal die Frau kein Russisch sprach und augenscheinlich nicht mit den Besonderheiten des orthodoxen Glaubens vertraut war. Gleichzeitig entwickelte sie sich aber auch zum Idol von zarentreuen Monarchisten, und nicht zuletzt ging es auch um viel Geld – das Auftauchen einer echten Romanow-Nachfahrin hätte Einfluss auf das eingefrorene Zarenvermögen gehabt. Erst nach ihrem Tod 1984 konnte zweifelsfrei festgestellt werden, dass die Frau nicht Anastasia war, sondern wahrscheinlich die 1896 geborene Franziska Schanzkowski, dennoch wurde ihr Schicksal bis heute immer wieder thematisiert, in der Literatur, im Film, im Theater.

Cora Sachs geht im Hamburger Monsun Theater von vornherein davon aus, dass man es hier mit einer Hochstaplerin zu tun hat – sie interessiert weniger die Frage nach Wahrheit und Lüge als der Gedanke, dass Erinnerung eine unzuverlässige Kategorie ist, um Geschichte zu verifizieren. Und tatsächlich ist bis heute nicht geklärt, ob Schanzkowski die Öffentlichkeit bewusst getäuscht hat oder ob sie aufgrund einer Psychose selbst davon überzeugt war, Anastasia zu sein, zumal ihr Umfeld sie anscheinend dazu gedrängt hatte, die einmal angenommene Rolle immer weiter zu spielen. Eine interessante Parallele zum Theater tut sich hier auf, zum Spiel mit der Wahrheit, zum Als-ob, zur Performance.

Sachs, die in Hamburg aktuell wahrscheinlich kreativste Vertreterin des Masken- und Puppentheaters, hat ihre eigentliche Profession für „Anastasia, wann bekommst du deine Juwelen zurück?“ auf den ersten Blick massiv zurückgefahren: Der Abend wirkt konzentriert auf Darstellerin Lisa Ursula Tschanz, die die Geschichte meist aus der Sicht Schanzkowskis erzählt. Wie vieles an dieser Inszenierung ist es aber auch ein Trugschluss, hier eine Soloperformance mit Schwerpunkt auf dem Schauspiel zu sehen. Ja, die aufwendigen, larvenhaften Masken, die Sachs’ Theater in Stücken wie „Herr Eisatnaf“ oder dem thematisch mit „Anastasia“ verwandten „Wahnsinn aus Heimweh“ prägten, sind verschwunden, einzig ein angedeuteter Totenschädel auf Tschanz’ Hinterkopf ist noch eine Reminiszenz ans Maskentheater. Dafür tritt das Spiel mit der Bühne in den Vordergrund, ein riesiges Steppdeckenobjekt (Bühne: Katharine Altaparmakov) ist mal Leinwand, mal Kleid, mal theatrale Skulptur, an der sich Tschanz mit exzessivem Körpereinsatz abarbeitet. Und weil die Schauspielerin zumindest so tut, als ob sie den Lichteinsatz selbst steuern würde, entwickelt sich der Abend hier nach und nach zum Meta-Objekttheater, in der sich die Bühne als Marionette entpuppt, die gespielt werden kann.

„Anastasia“ erweist sich so als kluges, hintergründiges Spiel mit Manipulationen. Schauspielerin Tschanz wird von Regisseurin Sachs instruiert, aber immer wieder ermächtigt sie sich, übernimmt selbst die aktive Rolle, die die Bühne nach ihren Vorstellungen dirigiert – ganz ähnlich wie die historische Figur Schanzkowski, bei der ebenfalls nie ganz klar war, ob sie die Öffentlichkeit über ihre wahre Identität täuschte oder ob sie im Gegenteil von der Öffentlichkeit in ein biografisches Lügengebäude gedrängt wurde. Unterstützend wirken Videos (Mara Wild), in denen Weggefährtinnen die Geschichte mal beglaubigen, mal hinterfragen: Zeuginnen, deren Gesichter grotesk verzerrt sind, riesige Augen, breite Mäuler, übergroße Wangen. Will man denen glauben? Will man überhaupt etwas glauben?

Vielleicht ist „Anastasia, wann bekommst du deine Juwelen zurück?“ tatsächlich eine Abwendung Sachs’ vom Puppentheater, vielleicht sieht man hier eine Bewegung in Richtung eines traditionelleren Sprechtheaters. Vielleicht aber geht der gut einstündige Abend auch einen Schritt weiter, hin zu einer Auflösung der Genres, zwischen Performance und Objekttheater. Auf jeden Fall ist er ein Theater, in dem Gewissheiten nichts mehr zählen, nicht die Gewissheiten klarer Gattungsgrenzen, nicht die Gewissheiten einer Hierarchie zwischen den einzelnen Theaterprofessionen. Und ganz sicher nicht die Gewissheiten von Geschichte, die sich auf Erinnerungen beruft.

 

Anastasia, wann bekommst du deine Juwelen zurück?
Regie, Maske: Cora Sachs
Spiel: Lisa Ursula Tschanz
Recherche, Textfassung: Anne Rietschel
Video, Live Visuals: Mara Wild
Bühne, Licht: Katharine Altaparmakov
Kostüm: Louise Tresvaux Du Fraval
Musik: Nis-Momme Koepp
Technik: Ole Schmetzer
Produktionsassistenz: Katharina Rieckhoff
Grafik: Kevin Visdeloup
Foto:
G2 Baraniak

0 Kommentare

Neuer Kommentar