Neue Diskurse

Lektionen 7: THEATER DER DINGE - Eine Rezension

Rezension von Seta Guetsoyan zum siebten Band in der Reihe „Lektionen“ des Verlages Theater der Zeit

Der siebte Band in der Reihe „Lektionen“ des Verlages Theater der Zeit möchte einen ersten Zugang zum Theater der Dinge schaffen. Die Reihe hat sich zum Ziel gesetzt, Basiswissen zu den unterschiedlichen Theaterbereichen oder -genres zu vermitteln und das Feld der theoretischen Auseinandersetzung sowie die Möglichkeiten einer Ausbildung zu eröffnen. Dass mit „Theater der Dinge“ nun endlich und längst überfällig ein Band erschienen ist, der sich dem „Puppenspiel, Figuren- Objekt- oder Maskentheater, dem Schattenspiel und Materialtheater“ widmet, ist erfreulich. Bewusst haben die Herausgeber Markus Joss und Jörg Lehmann ihren Band nicht „Figurentheater“ oder „Puppentheater“ genannt, sondern den Begriff „Theater der Dinge“ als Buchtitel gewählt. Mit dieser Entscheidung haben sie sich in einer über Jahrzehnte geführten Begriffsdiskussion der Szene klar positioniert. Die Diskussion ist Teil des Genres/der Genre und ihrer Mischformen selbst geworden und somit Ausdruck für den Facettenreichtum der künstlerischen Formen und Entwicklungen. Silvia Brendenals Text, der das Buch eröffnet, fasst diese Perspektive aufschlussreich zusammen und ist den drei Teilbereichen (Theater der Dinge - Eine Geschichte, Grundlagen der Ausbildung und Ausbildungsstätten) als Ausgangspunkt vorangestellt. Der erste Teil des Buches „Theater der Dinge – eine Geschichte“ versammelt theoretische sowie geschichtliche Texte und Aufsätze zum „Theater der Dinge“. Er ist der umfangreichste und wiederum in unterschiedliche zeithistorische sowie inhaltliche Themenfelder unterteilt. Der Bogen spannt sich auf von der Antike bis in die Gegenwart. Die Einordnung nach Epochen sowie die Auswahl der Texte werfen jedoch an einigen Stellen Fragen auf: Wieso findet sich Anke Meyers Text „Kasper – Spaßmacher mit Migrationshintergrund“, in dem die Figur des Kaspers bzw. das „Spielprinzip Kasper“ vorgestellt wird, im Kapitel des Mittelalters wieder? Wie im Text selbst erläutert, ist die Figur erst ab dem 14. Jahrhundert nachweisbar und für die Autorin selbst nicht mehr der Epoche des Mittelalters zuzuordnen. Der Text liefert einen guten Überblick über die Ursprünge und Entwicklungen der Figur des Kaspers und macht Lust, sich noch intensiver mit ihr auseinanderzusetzen. Ebenfalls zu befragen ist, ob es sinnvoll ist, ein fiktives Gespräch zwischen Marlis und Knut Hirche, welches „1988 aufgezeichnet wurde“ und die künstlerische Prozesse am Kammertheater Neubrandenburg unter der Leitung von Peter Waschinsky in 70er/80er Jahren reflektiert, als Gegenwart zu thematisieren. So wichtig die Entwicklung des Figurentheaters in Ostdeutschland vor allem auch in Hinblick auf politische Auseinandersetzungen ist und auch bedeutsam für das Buch, so wichtig wäre es gewesen, klar zu formulieren, dass diese künstlerische Entwicklung eine Stück Figurentheatergeschichte ist. Diese Ereignisse sind schon in die Vergangenheit gerückt, dennoch immens wichtig, um das heutige Figurentheater zu verstehen. Ein spannender Gedanke, der sich durch die Lektüre des Buches ergibt, ist, ob nicht gerade das „Theater der Dinge“ durch seine eigene Geschichte, die natürlich nicht vollständig loszulösen ist von der Geschichte des allgemeinen Theaters, neue Diskurse zulässt und alte selbstverständliche Diskurse und Zusammenhänge vor allem in Hinblick auf eine Epochenzuordnung neu denken lässt. Dieses Potential besitzt das Figurentheater – auch heute. Der dritte Teil des Buches zeigt auf wie man sich diesen Möglichkeiten des Theaters der Dinge an den Ausbildungsstätten nähern kann. Besonders schön sind die einzelnen Beiträge der Lehrenden, die einen ersten Eindruck ihrer Lehre vermitteln, aber auch anregen, sich weiter mit dem Feld zu beschäftigen. Zu nennen wäre der Text von Florian Feisel, der eine spielerische Lektion zum Schwerpunkt von Körpern vorstellt und die Leser*innen in die Welt des Spielens intensiv eintauchen lässt. Abschließend sollte noch darauf hingewiesen werden, dass es kleinere Verbesserungen in Hinblick auf formale Aspekte gibt, die für Fachfremde nicht ganz unerheblich sein könnten: Leider ist für die Leser*innen nicht immer ganz klar, ob es sich bei den Beiträgen in den einzelnen Kapiteln um eine Quelle aus der Vergangenheit oder einen neu geschriebenen Text der Gegenwart für die Veröffentlichung handelt. Information darüber erhält man erst am Ende der Beiträge. Für ungeübte Leser*in erschwert dieser Aspekt die erste Orientierung und führt zu Verwirrungen. Durch die Einfügung von Jahreszahlen zu Beginn der Texte könnte diese Problematik gelöst werden. Dieser formale Aspekt findet sich allerdings in allen Ausgaben der Lektionen-Reihe. Ebenfalls schwierig für eine erste Begegnung mit wissenschaftlichen Texten ist der Verzicht auf Fußnoten auf Grund von Platzgründen. Das mag pedantisch klingen, dennoch für zukünftige Student*innen nicht ganz unerheblich.