Die aktuelle Kritik

Puppentheater Magdeburg: "Die Dreigroschenoper"

Von Klaus-Peter Voigt

Der Welterfolg hat fast 100 Jahre nach seiner Uraufführung nichts an Aktualität verloren. Ein umjubelter Glücksgriff beim 2025er Theater unter freiem Himmel.

2. Juli 2025

Das Publikum blickt beim diesjährigen Hofspektakel des Magdeburger Puppentheaters anfangs auf eine riesige, leere Bühne. Zum Start der Vorstellung kommt ein skurriles Völkchen anmarschiert, bringt Dekorationselemente mit, spannt einen schmalen Vorhang auf das bereits gezogene Stahlseil. Die klassische Brechtgardine will nicht verbergen, sondern nur temporär das Bühnenbild reduzieren oder Szenen anders anordnen. Aha, da orientiert sich eine Inszenierung recht komplex an Meister Bertolt Brecht. Regisseur Alvaro Schoeck setzt auf ihn.

Was eignet sich besser für ein solches Herangehen als „Die Dreigroschenoper“ von Brecht und Kurt Weill. Puppenspielerinnen und Puppenspieler agieren ganz im Sinn des epischen Theaters. Die Puppen und Kostüme von Sylvia Wanke eröffnen schier endlose Möglichkeiten des Wandels, machen die schrille Handlung erst richtig möglich. Bärtige Herren mit Hut und in glitzernden Paillettenkleidern stehen für Parallelen zum Hurenmilieu, schaffen den passenden optischen Rahmen des Stücks. Unter einer Latzhose wird durchaus eine goldfarbene Weste getragen, Irrsinn, der Sinn hat.

"Die Dreigroschenoper": Ensemble © Anjelika Conrad

Und natürlich kommen Puppen zum Einsatz. Fast ausschließlich in Lebensgröße übernehmen sie die prägenden Rollen der "Dreigroschenoper", erfordern den vollen Einsatz der Spielerinnen und Spieler. Teils bis zu vier von ihnen hauchen den fragmentarischen Körpern pralles Leben ein. Die ausdrucksstarken Köpfe verkörpern herrlich geformte Typen, wechseln von einem zum andern, es scheint keine feste Rollenverteilung zu geben. Aus dem Nichts entstehen für einen kurzen Moment angedeutete Personen. Da reichen beispielsweise Hut, Brille und Zigarre, um die Illusion perfekt zu machen. Für das passende Umfeld der Bettlerwelt sorgen zahlreiche künstliche Prothesen oder Holzbeine, die mitunter einfach nur auf der Bühne herumliegen und für sich sprechen.

Die Handlung in der Londoner Unterwelt kommt mit wenigen Attributen aus. Der Kampf zwischen dem skrupellosen Gangsterboss Mackie Messer und der Familie Peachum, die das Bettler-Imperium führt und das schlechte Gewissen der Menschen zu Geld macht, wird klar und deutlich. Es geht fast ausschließlich um den eigenen Vorteil, wie das Verhalten von Tiger Brown, dem obersten Polizeichef von London, beweist. Der Satz „Erst kommt das Fressen, dann die Moral“ dokumentiert eine solche Weltsicht. Stilgerecht wird die Handlung in den glitzernden Zwanzigerjahren verortet, kein Versuch, Aktualität, um jeden Preis einzubinden.

Und es darf gelacht werden. Das geschieht, ohne den ernsten Hintergrund des Stückes der Lächerlichkeit preiszugeben. Die Songs mit dem Status von Gassenhauern prägen zudem. Keine Sekunde bleibt zum Luftholen, die Handlung läuft schlüssig ab. Alvaro Schoeck lässt die Akteure sich ausleben, alle Register ihres Könnens ziehen. Schnörkellos zeigt sich die spartanische Bühne von Kristopher Kempf. Anfangs eine leere Fläche bekommt sie mit grauen, beweglichen Kisten Atmosphäre. Diese Elemente werden zum Hurenhaus oder zur Bühne.

"Die Dreigroschenoper": Florian Kräuter und Leonhard Schubert © Viktoria Kühne

Allem hauchen letztendlich die überzeugend spielenden, singenden und tanzenden neun Spielerinnen und Spieler Leben ein. Das Lied von Mackie Messer, vorgetragen von mehreren Moritatensängern, sorgt für den stimmungsvollen Einstieg in die Handlung. Vor allem der Kanonensong (Florian Kräuter und Leonhard Schubert) lässt in seiner Interpretation berührende Momente entstehen. Richard Barborka, Luisa Grüning, Linda Mattern, Lennart Morgenstern, Kaspar Weith, Anna Wiesemeier und Freda Winter zeigen sich ebenso eindrucksvoll, auch wenn die turbulent umgesetzte Handlung kaum eine konkrete Zuordnung einzelner in der insgesamt geschlossenen und zweifellos beachtlichen Leistung des gesamten Ensembles zulässt.

Auf ein Orchester verzichtet die Inszenierung. Die Musik steuert mit ihrem Akkordeon Claudia Buder bei, die quirlig agierend in die Handlung einbezogen wird. Das Instrument erscheint ungewöhnlich, macht aber schnell das Fehlen eines Orchesters wett. Für eine besondere Zugabe erteilte dem Magdeburger Puppentheater wenige Tage vor der Premiere die Kurt Weill Foundation ihre Zustimmung, die in New York streng über das Erbe ihres Namensgebers wacht. Quasi als Welturaufführung durfte „Der neue Kanonensong“, von Brecht 1946 im US-amerikanischen Exil mit Strophen über den Zweiten Weltkrieg und dessen Folgen verfasst, der Öffentlichkeit auf der Bühne präsentiert werden. Ein glanzvoller, nachdenklich stimmender Abschluss eines sehens- und hörenswerten Abends. „Die Dreigroschenoper“ als sommerliche Unterhaltung unter freiem Himmel zeigt sich als insgesamt stimmige Inszenierung. Für das Premierenpublikum Grund genug für Bravorufe und Standing Ovations.


Puppentheater Magdeburg: „Die Dreigroschenoper

von Bertolt Brecht (Text) und Kurt Weill (Musik) unter Mitarbeit von Elisabeth Hauptmann

Regie Alvaro Schoeck | Puppen und Kostüme Sylvia Wanke | Bühne Kristopher Kempf | Akkordeon Claudia Buder | Dramaturgie Sofie Neu | Spiel Richard Barborka, Luisa Grüning, Florian Kräuter, Linda Mattern, Lennart Morgenstern, Leonhard Schubert, Kaspar Weith, Anna Wiesemeier, Freda Winter

Premiere: 27. Juni 2025
Dauer:
2 Stunden 25 Minuten, eine Pause
Alter: ab 16 Jahren

Infos und Spieltermine auf der Website des Puppentheaters Magdeburg.