Vorgestellt: Das Hermannshoftheater
Antje, erstmal herzlichen Glückwunsch! Ihr hattet vor zwei Wochen Premiere mit „Das hässliche Entlein“. Dazu habe ich auch direkt eine Frage. Auf eurer Website steht über euer Theater ein Text der Dramaturgin Jette Lund und darin schreibt sie, der Produzent eines Stücks stelle sich unter anderem die zentrale Frage: Warum ist es notwendig, genau diese Geschichte zu erzählen? Wie beantwortest du diese Frage in Bezug auf eure neuste Produktion?
Diese Frage stellen wir uns natürlich immer, wenn wir beginnen, weil wir versuchen, ein Thema zu bearbeiten, das dringend nötig ist in dieser Zeit, für unser Publikum. Und dazu kommt, dass nächstes Jahr zwei Jubiläen von Hans Christian Andersen stattfinden: Er hat seinen 220. Geburtstag und den 150. Todestag. Andersen begleitet uns schon seit Beginn unseres Theaterschaffens, wir haben immer mal wieder Märchen von ihm aufgeführt. Es ist einfach so spannend, wie aktuell die Worte sind, die er da in „Das hässliche Entlein“ wählt, um die gesellschaftlichen Umstände zu beschreiben, wenn es darum geht, dass einer ein bisschen anders ist als die anderen.
Das ist ein Thema, das die Kinder in der Schule oder im Kindergarten beschäftigt. Es geht aber auch den Erwachsenen so: wenn man nicht ganz der gerade modernen Norm entspricht, dann hat man es schwer. Und manch einer ist vielleicht dann so, dass er untergeht oder sehr traurig oder lebensunfähig wird, und manch einer kämpft sich durch und wird trotz all der Widerstände irgendwie sein Glück finden. Und von diesem Weg ist in dem Märchen die Rede.
Es ist ein Thema, das gerade sehr wichtig ist und eigentlich auch nie unwichtig geworden ist. Auch Andersen selbst wurde, als er jung war, ausgeschlossen, zurechtgewiesen und lächerlich gemacht. Und trotzdem hat er es geschafft, als er ganz alt war, sich seinen größten Wunsch zu erfüllen: Dann durfte er der Königin seine Märchen vorlesen.
"Das hässliche Entlein": Antje König © Sergej Panteleev
Ihr adaptiert vor allem Märchen und Weltliteratur für eure Bühne. Wie wählt ihr eure Stoffe aus?
Die Themen, die wir wählen, sind immer ganz stark am gesellschaftlichen Geschehen dran. Oft steht man vor Ereignissen, die uns hier passieren, sprachlos da. Und dann fragt man sich: Ja, was kann man dazu jetzt noch sagen? Das letzte Stück, das wir vorher gemacht haben, war Heinrich Heines „Deutschland. Ein Wintermärchen“. Auch da war man fast schockiert, wie aktuell diese Beschreibung Deutschlands zu Heines Zeit vor 180 Jahren ist. Das ist erschütternd und deshalb aber auch so spannend, dass, wenn man diese Worte im heutigen Kontext spricht, die Leute sagen: Ja, das ist wirklich so, wie aus dem Moment formuliert, ein Kommentar der Zeit.
Die literarischen Vorlagen sind in vielen Fällen auch die wörtliche Grundlage des Stücks. Man kann nie den ganzen Tolstoi an einem Abend auf die Bühne bringen, aber bei „Anna Karenina“ zum Beispiel habe ich ein Extrakt gemacht: 90% der Worte, die ich auf der Bühne sage, sind von Tolstoi und 10% sind Übergänge, um das Ganze in einen dramaturgischen Zusammenhang zu bringen.
Kommen wir kurz zu dir und deinem Werdegang. Du hast an der HfS „Ernst Busch“ Berlin im Fachbereich Schauspiel und Puppenspiel studiert. Ihr definiert in eurem Szeneeintrag auf fidena.de euren Stil als Synthese von Schauspiel und Puppenspiel. Liegt der auch darin begründet, dass du beide Spielweisen studiert hast?
Ja, ich denke schon, dass diese Prägung unseres Stils aus dem Studium kommt. Die Fachrichtung Puppenspiel wurde ja Anfang der 70er Jahre gegründet und die Studenten haben als Grundlage sowieso auch Schauspielunterricht gehabt. Aber wenn sie dann eigene Puppenspielszenen machen sollten, war das immer noch in dieser traditionellen Form, verdeckt mit Paravent, sodass der Puppenspieler nicht zu sehen war. Irgendwann haben die Studenten dann die Idee gehabt: Wir lassen das weg. Was passiert, wenn wir mit den Puppen spielen, aber selbst dabei zu sehen sind? Und es passiert tatsächlich eine ganz neue Kommunikationsform, die sehr spannend ist und worüber man auch andere Inhalte transportieren kann. Nämlich in dieser Konzentration des Spielers in die Puppe hinein durch die Puppe hindurch zum Zuschauer. Da passieren ganz spannende Prozesse, wie die Konzentration gerichtet wird.
Das beschreiben uns auch die Zuschauer oft. Sie schauen zwar auf die Puppen, sie sehen, wie die Puppen mit ihnen kommunizieren, aber oft passiert dann eine Übertragung, die sie ja nur in ihrem Kopf machen, meiner Mimik in das Puppengesicht. Und dann haben sie den Eindruck, dass die Puppe Mimik hätte, obwohl sie ein geschnitztes Holzköpfchen ist. Das ist ein ganz spannender Vorgang, der nur in den Köpfen der Zuschauer passiert. Deswegen müssen sie aktiv mitwirken an dem, was das gesamte Theaterereignis ausmacht. Und darüber freuen Sie sich, weil sie selbst gefragt sind mit Ihren Assoziationen und Verbindungen zum Stück.
"Anna Karenina": Antje König © Nastja Zukanova
Und wie bist du zum Puppenspiel gekommen? Warum hast du dich dafür entschieden, Puppenspielkunst zu studieren?
Ich hatte eine ganz grauenhafte Rechtschreibleseschwäche als Kind und habe mich gefragt: Was kann ich denn damit werden? Dann kam ich auf die Idee: Na, wenn ich jetzt nicht lesen müsste, sondern das auswendig erzähle, was ich möchte, könnt ich ja Märchenerzähler werden. Meine Eltern sind mit mir in meiner Kindheit sehr oft im Theater gewesen und dann dachte ich: Im Theater kann ich das ja machen, das wär ja toll. Später kam ich darauf, dass diese Schauspielschule auch Puppenspieler ausbildet. Damit hatte ich mein Metier gefunden, weil ich da mein eigenes Universum erschaffen kann. Der Puppenspieler ist ja oft Solo-Darsteller auf der Bühne, wodurch man quasi alle Erzähllinien in eigener Hand hat. Das gefiel mir besonders, dass ich mich zwar in verschiedene Figuren verwandle, aber es im Großen und Ganzen meine eigene Dramaturgie und Logik ist, die ich vermitteln kann.
Gab es denn mal Momente, in denen du das Puppenspiel weglassen und nur Schauspiel machen wolltest?
Das gab es, bevor ich wusste, dass man Puppenspiel auch studieren kann. Ich habe angefangen, mich für ein Schauspielstudium zu bewerben, aber immer gemerkt, dass das nicht alles ist, was ich erzählen möchte. Und nachdem ich dann das Studium gefunden hatte, war mir völlig klar, das ist es.
Ich könnte mir das, was ich erzählen möchte, auch schwer ohne Material, Puppen und Dinge vorstellen. Es gibt schon hier und da auch Zusammenhänge, in denen ich rein schauspielerisch wirksam bin. Aber ich habe dann doch immer irgendein Ding oder Material in der Hand, das dabei lebendig wird. Das ist irgendwie nicht zu trennen bei mir.
Empfangsräumlichkeiten des Hermannshoftheaters in Abwesenheit des Publikums © Sergej Panteleev
Dein Mann Johann König und du, ihr betreibt gemeinsam das Hermannshoftheater, ein eigenes Theater auf eurem eigenen Hof. Letzterer wurde 1820 gegründet, ist seit sechs Generationen im Familienbesitz, seit 1988 mit biologischer Landwirtschaft. Johann hatte ihn als gelehrter Landwirt, studierter Agrarwissenschaftler und Schauspieler damals schon künstlerisch orientiert geleitet, 2002 habt ihr dann aber zusammen das Theater gegründet. Wie kam es dazu?
Das ist eine längere Geschichte. Mein Mann hatte aus familiären Gründen zwischenzeitlich den Hof verpachtet und war unterwegs, um Theater zu spielen. Dabei haben wir uns getroffen, als wir beide in Wismar angestellt waren. Unsere künstlerische Arbeit in Wismar wurde dann aber aus politischen Gründen beendet, sodass wir einen neuen Platz brauchten. Und gerade zu der Zeit wurde der Hof auch wieder frei, sodass wir dachten: Das wäre jetzt schade, wenn der Hof an den Fiskus geht. Deswegen mussten wir erstmal den Hof wieder aus dem Dreck ziehen und mein Mann übernahm die Landwirtschaft wieder.
Gleichzeitig gibt es hier eine typisch bäuerliche Wohnstube, die zweigeteilt ist: in das Alltagswohnzimmer und die sogenannte gute Stube, die nur an Feiertagen geöffnet wird und, wenn man für eine größere Gesellschaft Platz braucht. Da habe ich gedacht: Na wunderbar, das ist doch hier unser Theater - die gute Stube ist jetzt die Bühne, die andere Stube ist der Zuschauerraum. Dort haben wir erstmal nur geprobt und unsere Stücke weiterentwickelt. Und dann kamen hier im Umkreis die Fragen: Was macht ihr da? Ist ja interessant, dürfen wir mal gucken? So hat sich nach und nach unser Publikum entwickelt, das in diesem ganz kleinen Rahmen unsere Stücke anschaut.
Mittlerweile sind wir nicht mehr in der Landwirtschaft tätig. Wir haben viele Jahre wirklich existenzielle Landwirtschaft betrieben - ich war dann die Hebamme für die Kälbchen - aber irgendwann wurde der Spagat zu groß. Denn unsere Haupttätigkeit ist ja Tournee, wir reisen sehr viel herum und spielen überall. Dann braucht man immer jemanden, der einen in der Landwirtschaft vertritt. Deswegen ist die Landwirtschaft jetzt an eine junge Familie verpachtet und wir machen hier den Theaterbetrieb und spielen auf Festivals oder in Kindergärten, Schulen, Kulturhäusern, wo man uns eben einlädt.
Ihr kommt aber auch wieder zurück, habt eure Premieren bei euch auf dem Hof und spielt zwischendurch immer wieder dort.
Genau, wir haben hier auch einen Spielplan. Vor allem in den Wintermonaten kommen die Leute aus der Umgebung auch gerne her.
Du hast eure Stube schon angesprochen. Ich habe in einem Ausschnitt einer NDR Reportage gesehen, wie Johann eure Räumlichkeiten zeigt und erzählt, die Leute hätten das Gefühl, sie kommen ein bisschen in eine andere Welt oder Zeit. Was macht diesen Ort für dich aus?
Das ist einerseits dieses ganz Persönliche. Dass die Zuschauer quasi in unseren Privaträumen hier sitzen und zum Empfang Tee und Wein trinken. Und dann ist in der Küche dieser alte Holzherd, auf dem ich auch früher gekocht habe. Das hat natürlich andererseits eine Atmosphäre, die in unserem schnellen digitalen Zeitalter fast nirgends mehr vorkommt. Da freuen sich die Leute, dass das total analog ist bei uns. Und insofern ist auch diese Atmosphäre und Räumlichkeit schon ein Teil der ganzen Aufführung.
"Deutschland. Ein Wintermärchen": Antje König © Sergej Panteleev
Eure Stücke produziert ihr aber nicht nur zu zweit, oder?
Nein, nein, das würde auch gar nicht gehen. Das Puppentheater ist ja eine kollektive Kunst. Sie besteht aus bildnerischem Schaffen und darstellerischem Schaffen. Und auch dieser besonderen Dramaturgie, die Jette Lund in früheren Jahren mit uns geprägt hat und die wir auch weitertragen. Jette Lund arbeitet nicht mehr, aber unser Denken ist ganz stark durch sie geprägt worden. Bei allen Fragen, die wir uns stellen, wenn wir ein Stück machen, ist sie immer noch in Gedanken mit dabei.
Eine jahrzehntelange Zusammenarbeit verbindet uns mit der Seebühne Hiddensee und Karl Huck. Wir kennen uns seit dem Studium und er hat in fast allen Stücken, die wir hier haben, Regie gemacht, und ab und an führe ich dann bei ihm Regie. Früher hatten wir gemeinsam ein eigenes Theater in Berlin, dann waren wir zusammen in Wismar. Jetzt sind zwar unsere räumlichen Situationen getrennt (er hat sein Theater auf der Insel Hiddensee, wir hier), aber wenn wir ein neues Stück machen, treffen wir uns immer wieder.
Im Zusammenhang mit ihm hat sich unsere künstlerische Sprache entwickelt, an der natürlich weitere Leute beteiligt sind, mit denen wir auch schon jahrelang zusammenarbeiten: z.B. der Ausstatter Christian Werdin, die Kostümbildnerin Katharina Schimmel, die Bühnenmalerin Anastasia Peters, für die letzten Stücke auch der Ausstatter Stephan Rätsch. Wir haben diesen festen Stamm von Leuten, die immer wieder mit uns zusammenarbeiten, ihre Gedanken austauschen und letzten Endes den Stil unseres Theaters prägen.
Apropos Stil, euer Beiname ist „Theater des magischen Realismus“. Was meint ihr damit?
Die Magie, der Zauber zum einen, man macht Dinge, die in der Wirklichkeit nicht möglich sind, und doch sind sie zum anderen ganz real, ein Kommentar zum Hier und Jetzt und unseren gesellschaftlichen Auseinandersetzungen. Wir versuchen, dass die Menschen durch die Verzauberung im Theater eine Anregung für das bekommen, was sie real umgibt.
Dabei wünsche ich euch weiterhin viel Erfolg und noch eine schöne Adventszeit. Vielen Dank für das Gespräch!
Ja, vielen Dank. Das wünsch ich dir auch.
Das Interview führte Moritz Buchmann.
Hermannshoftheater: Website & Szene-Eintrag
Titelfoto: "Das hässliche Entlein" © Sergej Panteleev