Researcher in Residence

Forschungsbericht

von Mathilde Chagot Mansuy

über ihre Teilnahme am Researcher in Residence Programm 2021.

Promotion: „Stimme(n) im zeitgenössischen Figurentheater des deutschsprachigen Raums: Materialität, Agency, (De-)Figuration“ (frz. „Les voix de la figure marionnettique sur les scènes germanophones du début du XXIe siècle : matérialité, agentivité, (dé)figuration“)

Betreuung: Frau Prof. Dr Florence Baillet – Universität Sorbonne Nouvelle / Frau Prof. Dr Doris Kolesch – Freie Universität Berlin

 

Mein Aufenthalt im Deutschen Forum für Figurentheater und Puppenspielkunst im Rahmen des Residenzprogramms Researcher in Residence vom 4. bis zum 15. Oktober 2021 hat mir erlaubt, wichtige Fortschritte in meiner Recherche zu machen.

Forschungsvorhaben

Als Doktorandin der Pariser Université Sorbonne Nouvelle (Germanistik) möchte ich die Konsequenzen des offenen Spiels auf die Stimme im zeitgenössischen Figurentheater des deutschsprachigen Raums seit Beginn des 21. Jahrhunderts untersuchen.

Das offene Spiel, das in vielen Ländern Asiens eine lange Tradition hat, hat sich in Europa seit den 70er Jahren allmählich durchgesetzt: Da, wo Figurenspieler*innen bisher meistens versteckt waren, was eine gewisse Illusion erzeugen konnte – auch hinsichtlich des (physiologischen bzw. räumlichen) Ursprungs der Stimme – werden von nun an zahlreiche Perspektiven im Dialog zwischen Menschen und Figur/Objekt/Material geöffnet. Die aktuelle deutschsprachige Szene des Figurentheaters beschäftigt sich aktiv mit diesem Paradigmenwechsel und thematisiert oft diese neue Beziehung auf der Bühne.

In dieser Hinsicht würde meine Frage so lauten: Wie „funktioniert“ die Stimme, wenn sich der*die Figurenspieler*in im selben szenischen und dramaturgischen Raum wie seine*ihre Figuren befindet? Was ändert diese gewissermaßen szenische „Revolution“ an der dreifachen Beziehung zwischen Figurenspieler*in, Figur und Zuschauer*in bzw. Zuhörer*in? Und inwiefern reflektieren sich in der Stimme breitere Überlegungen zum Status des Menschen und der Objekte bzw. der Materie?

Um auf diese Fragen zu antworten, werde ich mich auf fünf Solostücke stützen, in denen verschiedene Manipulations- bzw. Animationstechniken benutzt werden und wo das offene Spiel dominiert: Die Figurenspieler*innen, die ich untersuchen möchte, sind Ilka Schönbein, Julika Mayer, Nikolaus Habjan, Antje Töpfer und Winnie Luzie Burz.

Da die Kopräsenz von Figurenspieler*in und Figur zahlreiche, sowohl ästhetische als auch technische, linguistische, ethische und philosophische Folgen hat – von denen nur einige theaterwissenschaftlich untersucht wurden, die Stimme aber sehr selten (wahrscheinlich aufgrund der dominierenden visuellen Dimension des „Theaters der Dinge“) – habe ich mehrere Vorgehensweisen gewählt, die fruchtbar sein könnten:

- eine semiotisch-linguistische, um einerseits die Beziehungen zwischen Stimme/Ton und visuellen Aspekten in einer multimodalen Perspektive zu analysieren, und andererseits zu untersuchen, wie die Äußerung (frz. énonciation) in dieser neuen Konfiguration funktioniert;

- eine ästhetische, um die Stimme im Figurentheater in einer theaterwissenschaftlichen Perspektive zu situieren (dabei möchte ich mich auf wissenschaftliche Literatur stützen, die sich seit einigen Jahrzehnten für die Merkmale der Stimme im postdramatischen Theater interessiert);

- eine philosophische (u.a. mit den New Materialisms), um zu untersuchen, wie die Stimme im  zeitgenössischen Figurentheater als paradigmatisch für eine gewisse Infragestellung des Dualismus Mensch/Materie bzw. Subjekt/Objekt fungiert – und ob der Stimme selbst eine gewisse agency zuzuordnen wäre.

Zugang zum Archiv und zur Bibliothek des dfp

Das Dokumentations und Forschungszentrum des dfp verfügt über zahlreiche wissenschaftliche Texte über das Figurentheater (Geschichte, Ästhetik), die dem aktuellen Stand der Forschung entsprechen, sowie über andere, vor allem audiovisuelle Ressourcen. Dank des Researcher in Residence Programms hatte ich Zugang zu Filmaufnahmen (Aufführungen, aber auch Dokumentarfilmen über die Geschichte des deutschen Puppen- und Figurentheaters), die falls nötig digitalisiert werden konnten – und zu Quellen wie Programmheften (v.a. der Schaubude) oder älteren Ausgaben von Zeitschriften (Double, Theater der Zeit). Dabei ist mir die Unterstützung durch Anthea Cebulla, die Bibliothekarin des dfp, sehr hilfreich gewesen, da sie mich sehr gezielt auf bestimmte Ressourcen hinweisen und mehrere Video-Aufnahmen digitalisieren konnte.

Was meine Recherche besonders fruchtbar gemacht hat, sind auch ganz konkret die herausragenden Arbeitsbedingungen: Als Forscherin in Residenz hatte ich alles (Unterkunft, Küche, Arbeitstisch in der Bibliothek), so dass ich keine Zeit verloren habe – und vor allem war mir die Bibliothek rund um die Uhr zugänglich.

Inhaltliche Beratung zu meinem Thema

Neben den aufregenden Alltagsgesprächen mit dem ganzen Team des dfp haben sich die wissenschaftlich orientierten Diskussionen mit Mareike Gaubitz (wissenschaftliche Mitarbeiterin und Leiterin des Dokumentationszentrums) und die Ratschläge von Annette Dabs (Geschäftsführerin und künstlerische Leiterin) zur Festlegung meines Korpus als besonders produktiv erwiesen.

Zudem habe ich zusammen mit Mareike Gaubitz eine Folge des Fidena-Pocdasts aufgenommen, was mir die Möglichkeit gegeben hat, mit ihr ein spannendes Gespräch über Stimme, Figurentheater und Material Performance zu haben und mein Forschungsvorhaben zu erklären.

Vernetzung mit weiteren Akteur*innen des Figurentheaters

Durch die Residenz im dfp wurde die Kontaktaufnahme mit anderen Forscher*innen, mit Figurenspieler*innen und Lehrenden der Studiengänge Figurentheater bzw. Puppenspielkunst in Stuttgart und Berlin vereinfacht.

Außerdem sind spannende Zukunftsperspektiven entstanden, vor allem der Wunsch, den Austausch zwischen jungen europäischen Forscher*innen im Bereich Figurentheater zu fördern und aktiv mitzugestalten.