Die aktuelle Kritik

Puppentheater Halle: "Mit dem Rücken zur Welt"

Von Franziska Reif

Ein dichter Abend mit starkem Mitteleinsatz: Caspar David Friedrich auf der Bühne.

12. Dezember 2024

Eine Kunsthistorikerin auf der Theaterbühne? In „Mit dem Rücken zur Welt“, der neuen Inszenierung von Intendant Christoph Werner am Puppentheater Halle, führt eine Expertin für Caspar David Friedrich (Ines Heinrich-Frank) als Erzählerin und Mitspielerin durch das Stück. Sie pendelt zwischen Gegenwart und Vergangenheit, trifft den jungen wie den alten Friedrich, ist ihm Gesprächspartnerin, Ratgeberin, Trösterin. Dies ist ein genialer Kniff der Inszenierung. Ein anderer ist der Kasten auf der Drehbühne, der mal animierte Landschaften vorbeiziehen lässt – mit starker Wirkung –, mal das Tor für den Sprung zwischen den Zeiten bildet, mal als Guckkasten fungiert oder Schattenspiele erlaubt.

Das Schattenspiel trifft schon zu Beginn ins Herz. Auf dem Friedhof fällt dichter Schnee, im Hintergrund die romantisch verfallene Friedhofsmauer, im Vordergrund die Familie am frischen Grab von Friedrichs Bruder. Friedrich ist zwölf und verdankt sein Leben dessen Tod. Trauma und Trauer verdichten sich plastisch in der Darstellung: Friedrich ist nun der Schutz- und Liebebedürftige, den Heinrich-Frank auf ihren Armen trägt. Bald kniet der junge Friedrich hochkonzentriert über seinen Unterlagen und kritzelt, während die – übrigens durchweg großartig besetzten – Spielerinnen und Spieler ihm interessiert über die Schulter schauen, bald mildert Heinrich-Frank die religiöse und moralische Strenge des Elternhauses.

Es erscheint folgerichtig, die für Halle typische Vierfüßler-Puppe derartig in das Gruppentableau des Familienkreises zu integrieren, benötigen diese kleinen „Menschen“ doch meist zwei Spieler, die perfekt ineinandergreifen. Mal sind sie Mitspielende auf Augenhöhe, mal treten sie neben dem lebensechten Ensemblemitglied komplett in den Hintergrund. Die Wechsel gelingen virtuos, auch weil die Puppen keine Doubles sind.

"Mit dem Rücken zur Welt": Claudia Luise Bose, Lars Frank, Ines Heinrich-Frank, Tobias Eisenkrämer (v.l.n.r) © Anna Kolata

Ebenfalls nur halblebensgroß ist Johann Wolfgang von Goethe. Er doziert zur Landschaftsmalerei, vom Podest herab gestikulierend. Grauhaarig und in geknöpfter Jacke versucht er sein Verhältnis zur Romantik zu klären, setzt Vernunft gegen Elemente. Sein Auftritt ist kein Zufall. Immerhin sind Romantik und Landschaft eng mit dem Namen Caspar David Friedrich verknüpft. Da Goethe sich stark darum bemühte, die Entwicklungen in der Kunst zu beeinflussen, ist es ebenfalls kein Zufall, dass er eine Meinung zu den neuen Tendenzen in der Malerei hatte.

Für Friedrich ergreift die Inszenierung von Puppentheater-Intendant Christoph Werner deutlich Partei, entsprechend kriegt der Dichterfürst Goethe subtil sein Fett weg. Er zeichnete Friedrich sogar widerwillig bis resigniert mit einem von ihm selbst ausgelobten Preis aus – oder mit zwei halben, wie im pointiert zugespitzten Dialog zwischen ihm und der Kunsthistorikerin zu erfahren ist. Landen konnte Friedrichs Schwermut bei ihm nicht. Es ist die Stärke des Abends, dass er sich weder auf diese Schwermut versteift noch die Lebensstationen des Protagonisten einfach nur abschreitet, sondern in größeren Bögen denkt. Spannend auch der Gegensatz zwischen dem Naturalismus der Puppen und dem romantischen Ansatz, eben nicht abzubilden, was die Landschaft zeigt.

Mosaikartig fällt das Licht auf die Zeit. Da ist der Rügener Pfarrer und Uferprediger Ludwig Gotthard Kosegarten. Ebenfalls halblebensgroß und im schwarzen Gewand passt er perfekt in die imaginierte Szenerie auf den Klippen bei Kap Arkona. Tatsächlich sitzt er auf Friedrichs Schultern. Es ist Krieg gegen Napoleon und Wiener Kongress, Masken repräsentieren nationalistischen Hass, Kotzebue wird erschossen. Der preußische Kronprinz Friedrich Wilhelm IV. – ein Friedrich-Fan – blinzelt als Porträt in Öl. Es geht um Lichteffekte in Sepiazeichnung und Ölmalerei, um Rückenfiguren und natürlich das Kreuz im Gebirge, um Biederkeit und Pathos, die repressive Obrigkeit und die Konkurrenz der Düsseldorfer Malerschule: Diese bildet ein einheitliches Kollektiv von einheitlichen Handpuppen. Die späten Freuden der Häuslichkeit zeigen sich in der puppenstubenhaft inszenierten Ehe mit Caroline.

"Mit dem Rücken zur Welt" © Anna Kolata

Das Puppentheater Halle zieht all dies in vielgestaltigen Bildern und mit unterschiedlichen Tempi auf. Und mit Witz, auch wenn nicht selten der Schnee in dicken Flocken fällt und Düsternis und Kälte verbreitet. Als sein Stern längst gesunken ist, wird der alte Friedrich (mit Maske gespielt von Lars Frank) mit dem Gedanken getröstet, dass er bald schon eine ganz große Nummer sein würde. Siebzig Jahre nach seinem Tod nämlich.

Caspar David Friedrich wurde vor 250 Jahren geboren. Mit ihm widmet sich Christoph Werner erstmals einem Maler – nach Stücken zu Maurice Ravel, Clara Schumann und Johann Sebastian Bach. Live-Musik gibt es in „Mit dem Rücken zur Welt“ nicht, dafür sozusagen Live-Landschaftsmalerei: Die animierten Video-Landschaften auf der Leinwand zeigen Gräber, Kreuze und Gebirge, Weite, Mond und Eule, einsame Bergfriede, Kirchtürme und Wolken, Kuppen und schroffe Eiswelten, Schiffe und das Meer. Urgewalten. Schnell kommt die Inszenierung auf die Seelenlandschaften, das Innere, das sich ins Bild setzt – jedoch nicht als naive Empfindsamkeit, als „Künstelei“, die Friedrich selbst dem Kunstwerk gegenüberstellt. Die Inszenierung holt ihn ins Heute. Immerhin wird „Der Wanderer über dem Nebelmeer“ nicht 70, sondern 130 Jahre bis nach seinem Tod brauchen, um Beachtung zu finden. Zu Techno-Beats blickt das Publikum auf Friedrichs Gemälde – und auf die unzähligen Variationen und Memes, die bis jetzt daraus entstanden sind. Der Blick auf Halle-Neustadt inklusive.


Puppentheater Halle: „Mit dem Rücken zur Welt

von Christoph Werner

Spiel Claudia Luise Bose, Ines Heinrich-Frank, Lars Frank, Tobias Eisenkrämer | Puppenbau Noura Hana Leder, Louise Nowitzki, Simon Buchegger | Regie Christoph Werner | Dramaturgie Ralf Meyer, Andreas Hillger | Bühne und Kostüme Angela Baumgart | Video Conny Klar

Premiere: 6. Dezember 2024
Dauer: ca. 95 Minuten

Infos und Spieltermine auf der Website vom Puppentheater Halle