Staatstheater Braunschweig: „Rex Osterwald“
21. März 2025
Osterwald ist ein Dinosaurier. Längst ausgestorben, dachte man, aber der Schoß ist fruchtbar noch, aus dem er kroch. Ein Tyrannosaurus Rex, um genau zu sein, aber das hört er nicht gern, manche Zeitungen behaupten das immer wieder, und die bekommen dann Ärger mit ihm. Und Osterwald ist ein Nazi. Aber auch das hört er nicht gerne, „Ich bin doch kein Nazi!“, lacht er jovial, aber er lässt keinen Zweifel daran, dass er gegen Zeitungen vorgehen wird, die ihn als Nazi bezeichnen. Kein Spaß.
Michel Decars Monolog „Rex Osterwald“ ist ein böser, kurzer Ritt durch die rhetorischen Kniffe von AfD bis FPÖ, der nicht zuletzt von der Qualität des Darstellers lebt – Regieanweisungen gibt es so gut wie keine, um genau zu sein ausschließlich eine, die ein*e Regisseur*in aber unbedingt zu befolgen habe: Der Autor verlangt, dass ein echter T-Rex auf der Bühne zu sehen sei. Was naturgemäß ignoriert werden muss, will man den Text irgendwie inszenieren. Immerhin weiß auch Decar: „Ein T-Rex ist mindestens 3,70 Meter groß und hat 60 Zähne“, so etwas liegt nicht einfach im Fundus rum.
Bei der Uraufführung 2021 am Münchner Residenztheater, pandemiebedingt live auf Zoom gestreamt, wütete Darsteller Lukas Rüppel zwischenzeitlich im Dino-Kostüm über den Bildschirm – das entsprach nicht wirklich der Regieanweisung, aber es war ein Versuch. Katharina Binder und Simon Paul Schneider vom Theaterkollektiv Grand Guignol treiben das in der kleinen Nebenspielstätte Aquarium am Braunschweiger Staatstheater noch ein Stückchen weiter, mit fröhlicher Nonchalance: Sie verlegen das Große, Raumgreifende eines Dinosaurierauftritts in die kleinformatigste Theaterform überhaupt, ins Handpuppentheater. Denn natürlich ist der Weg vom Dinosaurier zum Krokodil nicht weit, und von der politischen Rhetorik zum Kasperletheater ist es auch nahe.
"Rex Osterwald": Luca Füchtenkord © Joseph Ruben Heicks
Osterwald tritt also zunächst als Kroko-Puppe (Kostüme, Puppen: Emilia Schmucker) vor den Vorhang einer winzigen Guckkastenbühne und gibt mit piepsiger Stimme die Adele: „Hello from the other side“ – ein bisschen Fremdschämpotenzial, ein bisschen peinlich. Aber eben auch ziemlich niedlich. Eine Gefahr geht von diesem Dinosaurier nicht aus. Und er sagt es selbst: Ich bin nicht gefährlich. Ich bin nett. Ich habe meine kleinen Freuden, Fußball, Karneval, sogar ein paar Katzenbabies habe ich vor dem Verhungern gerettet! Ach, nett, dieser Osterwald, in all seinem Ungeschick! „Hello!“ Da ist der Vorhang längst geöffnet, Musiker Matze Kloppe ist an Laptop und Technikinstrumentarium zu sehen, und Schauspieler Luca Füchtenkordt aus dem Staatstheaterensemble trägt zwar weiterhin einen Dinoschwanz, nimmt seine Puppe aber nur noch zur Hand, wenn seine Rhetorik in offene Hetze umschlägt und er mal wieder ein bisschen Niedlichkeit performen muss.
Und auch dann, wenn das Gegenteil ansteht. Das Kollektiv Grand Guignol bezieht sich schon mit seinem Namen aufs „Große Kasperle“: Unterhaltungstheater, das ab dem späten 19. Jahrhundert in Frankreich drastischste Gewaltdarstellungen auf die Bühne brachte, gerne mit Puppen, denen man auf eine Weise zusetzen konnte, wie es bei menschlichen Darsteller*innen strafbar wäre. In „Rex Osterwald“ dient hierfür eine zweite Puppe, Frau Kolatschny, die politische Konkurrentin des Protagonisten (und dass man nie erfährt, worin ihr Konkurrenzangebot eigentlich besteht, ist symptomatisch für diesen politischen Streit). Frau Kolatschny jedenfalls ist eine einfache Häkelpuppe, die rein gar nichts macht und entsprechend als Prügelknäbin herhalten muss. Irgendwann geht die Aggression dann mit Osterwald durch, er legt ihr eine Schlinge um den Hals und hängt sie am Bühnenrand auf. Freilich ist die faschistische Gewalt in „Rex Osterwald“ eine postmoderne – als Musiker Kloppe das grausige Puppenarrangement entdeckt und als „kranke Scheiße“ bezeichnet, wiegelt Osterwald ab. „Das ist ’ne Puppe!“ Ein Witz, klar.
"Rex Osterwald": Luca Füchtenkord, Matze Kloppe © Joseph Ruben Heicks
Allerdings ist das, worum es hier geht, längst kein Witz mehr. Als das Stück vor fünf Jahren uraufgeführt wurde, konnte man es noch als Demaskierung rechtspopulistischer Politiker*innen lesen, als Kasperlespiel über deren Versuch, als bürgerlich und harmlos wahrgenommen zu werden. Mittlerweile versuchen das die Rechten gar nicht mehr, ihre Gewaltrhetorik ist nicht mehr verschleiert, weil sie nicht trotz, sondern wegen ihr mit über 20 Prozent im Bundestag sitzen, während ihre Forderungen längst im politischen Mainstream angekommen sind. „Rex Osterwald“ ist ein interessanter Theaterabend, phantasievoll inszeniert, toll gespielt, inhaltlich ist der Abend aber ein Witz. Ein sehr, sehr guter Witz, zweifellos, aber ein Witz, der fünf Jahre zu spät kommt.
Staatstheater Braunschweig: „Rex Osterwald“
Von Michel Decar
Regie Katharina Binder, Simon Paul Schneider | Bühne Simon Paul Schneider | Rauminstallation Wolf Gutjahr | Kostüme und Puppen Emilia Schmucker | Musik Matze Kloppe | Dramaturgie Holger Schröder | Spiel Luca Füchtenkordt, Matze Kloppe
Premiere: 16. März 2025
Infos und Termine auf der Website des Staatstheaters Braunschweig