Die aktuelle Kritik

Søgaard/Barthel/Glöckler: "Danish Pork"

von Tom Mustroph

An der Schaubude Berlin startet eine so lustvolle wie schmerzensreiche Attacke auf Landwirtschaft und Tierpornobranche.

Ein Pferd setzt zum Galopp über die Bühne an. Dann stürzt es - und die Beine treten noch weiter in der Luft. Das Pferd ist - natürlich - ein Spielzeugpferd mit Motor und Aufziehschraube. Es ist Teil der ganz besonderen Menagerie von "Danish Pork", dem neuen Stück von Nis Søgaard. Plüschhunde lümmeln noch auf dem Diwan, ein großes Plasteschwein, das man sogar auseinander nehmen kann und das dann Einblick in die Innereien bietet, ist ebenfalls prominent auf der Bühne platziert. Auch Tilla Kratochwil und Maximilian Tröbinger, die beiden Darsteller*innen, scheinen anfangs Tiergattungen anzugehören. Tröbinger jedenfalls bugsiert seinen massigen und stark behaarten Körper zu einem Wassernapf und trinkt daraus.

In der Eingangsszene von "Danish Pork" verkörpern die beiden tierische Darsteller in Sextier-Filmen. Sie werden im Laufe der Produktion auch das menschliche Regieteam darstellen. Sie werden Puppen führen und Objekte animieren, um Familienszenen zu arrangieren. Und sie werden den Hunden und Schweinen auf der Bühne Stimme geben, ihnen Seele einhauchen, und diese Seelen dann massiv verletzen. Virtuos agieren sie zudem mit Overhead-Projektor, der auch mal Grill für fette Würste wird, und einer Livekamera – und kreieren dadurch teils gewaltige Bildschichten.

Regisseur Søgaard und sein Team wagen sich schließlich auch an ein gewaltiges Thema heran. An Pornografie, die, lange verboten, in Dänemark schon 1969 legalisiert und schnell zum Exportschlager wurde. Schweinefleisch zum Essen und Menschenfleisch zum Schauen seien die zwei Erfolgsindustrien seines Heimatlandes gewesen, lässt Søgaard seine Spieler*innen sagen. In "Danish Pork" verknüpft er diese beiden Industrien zu etwas Drittem, dem Porno-Subgenre von Sextierfilmen. In groben Zügen wird hier die Biografie des sogenannten Ebermädchens nacherzählt. Sie wuchs in einem Seemannshaushalt auf. Die Geschichte der Familie des meist abwesenden, mit den Jahren immer gewalttätiger werdenden Vaters erzählen Kratochwil und Tröbinger mit kleinen Stühlen, deren simple Bewegungen durch Projektion vergrößert und an die Wand geworfen werden. Diese Reduktion der Spielobjekte ist anfangs charmant. Weil die Familiengeschichte in immer neuen Schleifen erzählt wird, fällt dann aber die doch karge Spielbarkeit der Stühle eher unangenehm auf. Da war offenbar zuviel gewollt beim Versuch, ganz viele unterschiedliche Mittel einzusetzen.

Danach wird all das Bühnengetier dazu benutzt, den Werdegang der Hauptfigur vom Kind über die Besamerin von Tieren in der Agrarindustrie bis zur Darstellerin in Sodomie-Pornos auszumalen und zugleich noch die Geschichte der dänischen Pornoindustrie zu erzählen. Auch da war streckenweise zu viel gewollt. Das Bühnenhandeln wirkt gelegentlich inhaltlich überfrachtet, Informationsfuror erstickt da häufiger das Spiel. Einige grandiose Szenen gelingen dennoch. Etwa dann, als die Polizei erst eine Razzia auf dem Gehöft der pornografisch aktiven Landwirtin durchführt und sich anschließend zum Vernichter dieses Sodom auf dänischem Boden versteigt. Kratochwil stampft wild mit dem Fuß auf, damit die Explosion illustrierend, die Stall und Haus und Tier hinwegfegt, während Tröbinger die jeweiligen Objekte vor der Kamera entfernt und sich auf der Projektionswand immer größere Leere ausbreitet. Eine Stärke der Produktion sind ohnehin die an verschiedenen Stationen simultan erzeugten Bilder, die sich dann als Projektion überlagern.

Aber auch manch klassische Dialogszene öffnet weite emotionale Felder. Die Plüschhunde werden in simplen Dialogen zu Charakteren, zu solchen gar, die Schmerz, Scham und Schuld empfinden. Sie geben sich dann aber auch gern dem Allmachtsgefühl hin, beim Ablecken des Menschenkörpers ganz Herr über Frauchen werden zu können.

Diese Widersprüchlichkeiten machen "Danish Pork" erst interessant. Denn leicht ist es, gegen die Industrie zu wettern, sei es die des Fleisches zum Fressen oder die des Fleisches zum Glotzen. Die Grundtendenz des Stücks ist, 'natürlich', möchte man sagen, Industrie-kritisch. Søgaard, Kratochwil und Tröbinger nehmen aber auch die Perspektiven der Beteiligten ein, der Züchter und Regisseure, der tierischen wie der menschlichen Darsteller. Und sie verleihen ihnen durch simple Verkörperung Gewicht. Interessant ist in diesem Zusammenhang auch, dass Dänemark als eines der letzten europäischen Länder Tierpornografie verbot und deshalb einige Zeit zu einer besonders beliebten Destination bei Tiersex-Anhängern wurde.

"Danish Pork" holt dieses Thema aus der Tabuzone, der Schmuddelecke heraus. Das ist gewagt, und gleichermaßen nötig. Die Vielzahl der eingesetzten Mittel, große und kleine Objekte, Tierfiguren, Projektionen sowie menschliches Schauspiel, machen die Produktion spieltechnisch zu einer Art Lehrstück für Ausbildungsstätten für Puppen- und Objekttheater. Jetzt wünscht man nur, dass sich Kratochwil und Tröbinger auch schnell freispielen mögen von dem ganzen Informationspaket, das sie in Worten auch noch zu transportieren haben. Gelingt ihnen das, kann "Danish Pork" zu einem sensationell guten Stück werden.

 

Premiere: 18.09.2020
Foto: Gianmarco Bresadola
 

3 Kommentare
dfp
06.10.2020

Kommentar vom 26.09.2020

Lieber Peter Waschinsky, wie bereits im Kommentar zu "Was bleibt" an der Schaubude erwähnt, erfreut sich unsere "Aktuelle Kritik" großer Beliebtheit - seit Anfang des Jahres hat die Rubrik 1764 Seitenzugriffe (Stand:
05.10.2020). Was eine Diskussion in den Kommentaren angeht, da würden wir uns auch einen regen Austausch unterschiedlicher Meinungen wünschen!
Besten Gruß, Pascal vom dfp
Peter Waschinsky
29.09.2020

Danish Pork / Das "andere" Buchenwaldkind

Tom Mustroph ist wohl der einzige Berliner Journalist, der noch kontinuierlich und seriös über Puppentheater schreibt - vielleicht etwas zu nachsichtig: Wie ER das "Lehrstück" für Puppenspielstudenten meint, ist das eine. Wie die angehenden "Puppenspieler" es vermutlich mißverstehen, wird wohl wieder das andere sein: Nämlich das Stück wie so viele als Aufforderung zur Abwendung vom Puppentheater hin zum Schauspiel, bestenfalls mit ein paar Objekten und Puppenelementen garniert, aufzufassen. So wird man dann sogar vom Schauspielportal "Nachtkritik" wahrgenommen und rezensiert.
Alles in allem scheint es mir ein Trugschluß, daß sich das Genre mit so etwas auf Dauer erweitert. Sondern es verengt sich und geht immer mehr in Schauspiel oder multimedialem Brei unter. Regisseur Sogaard hatte 2019 mit "Das Fest" in der Schaubude gezeigt, daß er auch Puppentheater kann, zumindest mit dem Allerüblichsten: Klappmaulpuppen, sichtbare Spieler. Nun wieder mehr oder weniger Schauspiel. Zu mehr und qualifizierterem Puppenspiel reichen die Fähigkeiten dann wohl doch nicht... Schade, “Das Fest” war auf seine Art durchaus grandios.

PS: Nachdem ich dies schrieb, erschien hier Tom Mustrophs Rezension über "Haus Nr. 69" von Josephine Hock - wie eine Bestätigung meiner (bekanntlich nicht ganz neuen) Meinung: Das Theater mit Objekten, die schon nicht mal mehr animiert werden, ist ausgeblutet, es wird zum etwas requisitenlastigeren reinen Schauspielmonolog, nur von einigen Wichtigtuern verbissen hochgehalten, als hätten wir 1990. Gleichzeitig haben sich die puppenspielerischen Fähigkeiten kaum weiterentwickelt.
Nebenbei:
Während die Schaubude puppenspielfrei mit Porno, Fleisch und Sex aufwartet, wird “Das Kind auf der Liste” mit teils hanebüchenen Mitteln draußen gehalten. Nach dem Buch über das “andere” Buchenwaldkind waren gleich DREI Abende entstanden – was wohl etwas über die Brisanz sagt. Der Sinto/Zigeuner Willy Blum war anstelle des berühmten kleinen Juden S.J. Zweig in Auschwitz ermordet worden, was erst anno 2000 bekannt wurde.
Warum nicht an einem Wochenende in der Schaubude? Willy Blum war Sohn einer Puppenspielerfamilie und in allen drei sehr unterschiedlichen Bühnenversionen gab es reichlich Puppenspiel.
Peter Waschinsky
26.09.2020

Danish Pork / Das "andere" Buchenwaldkind

(Mit hier schon 3 Kommentaren in diesem Jahr wirke ich sicher als Extrem-Schwätzer innerhalb dieser schweigenden Menge von Berufskollegen oder Puppenspielinteressierten, von denen ich annehme, daß sie hier lesen. Aber vielleicht interessieren Puppenspiel-Rezensionen in Wahrheit keine Sau.)

Porno und Fleisch erzählen sicher etwas über unsere Realität, also auf die Bühne damit.
Etwas enttäuscht bin ich, daß der Regisseur nach seiner großartigen Inszenierung "Das Fest" mit Studenten 2019, einem tatsächlichen (!) Puppenspiel, nun wieder multimedial mit allen möglichen Mitteln arbeitet. Finde ich ein bißchen gestrig.

Nebenbei etwas über das NICHT in der Schaubude gezeigte:
Daß schnell 3 Bühnenversionen des neuen Buches über das "andere" Buchenwaldkind entstanden, den in Auschwitz ermordeten Sinto Willy Blum, sagt sicher etwas über die Brisanz des Stoffes: Der bis heute unbekannte Willy Blum starb de facto anstelle des heute "berühmten" kleinen Juden aus "Nackt unter Wölfen". So wie der Holocaust an den Sinti/Roma/Zigeunern meist verdrängt wird.
Keine der 3 Versionen zeigte die Schaubude. Da Willy Blum Puppenspielersohn war, gab es in den sehr verschiedenen Abenden einfach zuviel Puppenspiel, oder?
(Näheres in meinem Web-Journal "Waschinskys Generalanzeiger")

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