Die aktuelle Kritik

Deutsch-Sorbisches Volkstheater Bautzen: Die Wahrheit über die Farm der Tiere

von Andreas Herrmann

Der Versuch einer Neuauflage von George Orwells Klassiker als Pressekonferenz.

Eigentlich nur eine Pressekonferenz: Ein seltsamer Farmer, den man bitteschön Chef nennen solle, lädt zur Buchvorstellung. Eine junge, blonde aufgeschlossene Lokalreporterin nachnamens Nettig und der barsche, ehemals linksliberale Wirtschaftsjournalist Stramm nehmen Platz – im Theater, das freundlich den Raum zur Verfügung gestellt – samt Technik und ein paar Kisten als Deko. Eine Neuauflage von George Orwells „Die Farm der Tiere“ soll herauskommen, Aufklärung bis hin zur Wahrheit ist versprochen, denn alles, was bekannt ist sei falsch, die Geschichte eine ganz andere, Aufklärung täte not. 

Der Ansatz von Ronald Mernitz, der als Gast Textfassung wie Regie dieser Uraufführung am Burgtheater Bautzen schuf und für die Ausstattung Christof von Büren mitbrachte, ist durchaus vielversprechend, nur beginnt die Verwässerung der Idee schon damit, dass von Anfang an kaum auf die Zweifel der Teilnehmer eingegangen wird.

Die Fiktion einer Wahrheitsfarm

Schon die Antwort auf die logische Grundsatzfrage, warum aus der avisierten Pressekonferenz plötzlich eine Talkshow mit Publikum geworden ist, die dann – mittels zweier Zuschauer zum Spielexperiment mutiert, bei der eine scheue Frau Müller (Annekatrin Weber) und ein sehr forscher junger Mann namens Mayer (Jan Schneider) auf die Bühne gebeten werden, und die nette Frau Nettig sofort, der theoriefeste Herr Stramm erst nach der Pause mitspielt, bleibt unklar und wird schlicht überspielt, weil sonst die Story endet. 

Spätestens nach einer halben Stunde hat sich die Faszination dieser neuen Ausgangssituation, in der jeder eine oder zwei Tierköpfe als übergroße Handpuppe spielt, erschöpft. Und nachdem sich alle mit ihren Rollen angefreundet und kaum noch zurück in die des Menschen wollen, die Farm bei Revolution oder Revolte zerstört und wieder aufgebaut ist, und sich Hühnchen und Schäfchen dank Hahnes- wie Bockeskraft selbst ständig poppen dürfen wie die Wilden, und die Technikerin, die immer mal als so als Running Gag als Ausländerin (hier: Russin) gemobbt wird, Lämmchen und Kücken ranschaffen und damit mitspielen darf, ist man eigentlich mittendrin in der Originalfabel.

Nach der Pause – Napoleon ist hier Keiler statt Eber und wird als Chef wie immer von Andreas Larraß in kräftiger Gelassenheit gespielt – wird der bis auf zwei Szenen immer noch im Talkshowsessel sitzende Moritz Trauzettel plötzlich ganz kurz zum bösen Watchdog, einem viehischen Kampfhund, der einen solchen Eindruck hinterlässt, dass er hernach nie wieder einspringen muss. Die emanzipierte Eselin Miriam, gespielt von der vor allem beim Hufescharren beeindruckenden Schauspielerin Katja Reimann, die eigentlich die freie Lokalpresse vertritt, muss mangels anderem Nutzen aufs Fahrrad mit Dynamo, der hier als Metapher die Windmühle ersetzt, um Strom für den Uraltfernseher zu erzeugen und fiese Tierhaltungsdokus zu zeigen. Das war es aber auch schon mit der Wahrheit und vermeintlichen Fake-News.

So gerät auch das Ende eher unspektakulär: Der Chef erklärt, er gehe an die Börse und geht hinter die Bühne – der Wirtschaftsjournalist, bis dato der Klügste, folgt ihm, um von nun mit diesem Geschäfte zu machen – ob als schmieriger Zeitungsmann oder Experte bleibt ebenso im Vagen wie die sonst angekündigte Medienkritik. Es geht zum Schluss plötzlich nur noch um tier-grün-gewaschene Farmprodukte. Das eigentliche Sujet – die Neuerscheinung des Buches – gerät trivialerweise ebenso in Vergessenheit wie der Anlass der eigentlichen Fabel: eine Satire auf Diktaturen.

Orwell als Irrtum

Das Grundproblem aber – und daher ist wohl kaum Begeisterung auszulösen – ist ein anderes: Mernitz unterschätzt einerseits sein Spielsextett, so dass alle seltsam blass bleiben und man nie die Wirkung eines empathischen Bühnenspiels erfährt. Dabei zeigen gerade die beiden jüngsten, also Anna Gabrysz als Technikerin und Jan Schneider als Zuschauer Mayer, dass sie neben spielerischer Frische – ebenso wie Annekatrin Weber als Zuschauerin Müller auch stimmlich sehr gut Differenzen setzen können.  Andererseits bleiben auch alle zugewiesenen Rollen intellektuell arg unterbelichtet: dass haben weder Zuschauer, noch Journalisten oder gar die Tiere verdient – und Orwell gleich gar nicht.

So bleibt als Pointe nur der Leitsatz Friedrich Schillers im Programmheft hängen: „Freiheit kann man einem zwar lassen, aber nicht geben.“ Das gilt wohl auch für diese Inszenierung, die bei weitem nicht die Brisanz und Wirkung von „Faust. Das Leben einer Legende“ (2012) oder „Herr Biedermann und die Brandstifter“ (2014 – mit Koruna-Puppen), beide in Fassung und Regie von Puppenchefin Therese Thomaschke und als erinnerungswürdige Puppenproduktionen für Jugendliche wie Erwachsene gedacht, erreicht. Schade eigentlich.   

 

Netzinfos: https://www.theater-bautzen.de/spielplan/inszenierung/die-wahrheit-ueber-die-farm-der-tiere/

 

Nächste Vorstellungen am 3., 8. & 10. März (je 19.30 Uhr), am 8. & 14. April sowie 4. & 18. Mai (je 19.30 Uhr).

 

Netzinfos:

www.theater-bautzen.de/spielplan/inszenierung/die-wahrheit-ueber-die-farm-der-tiere/

Premiere: 16. Februar 2018

Regie: Ronald Mernitz

Ausstattung: Christof von Büren

Es spielen: Andreas Larraß, Moritz Trauzettel, Katja Reimann, Annekatrin Weber, Jan Schneider, Anna Gabrysz

Foto: PR / Theater Bautzen

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