FIDENA - Das Festival

Pinocchio (live) #2

09. Mai 2022

Die französische La Compagnie S’Appelle Reviens eröffnete das @fidena_festival mit einer gruseligen Adaption des Kinderbuchs „Pinocchio“ von Carlo Collodi (1881), unsere Autorin Dorothea Marcus (@doraamar150 ) ist verstört.

Bei „Pinocchio“ wird bekanntlich eine Holzpuppe zum echten Kind, dessen Nase bei jeder Lüge wächst. Bei „Pinocchio (live) #2“ ist es auf düstere Weise genau umgekehrt. Hier wird eine Schar fröhlicher Kinder zu leblosen Puppen zugerichtet. Im Gleichschritt rollen die Performer*innen in grauen Kitteln zu Trommeln und Klingeln Brettgestelle um die Bühne. Mechanisch bauen sie daraus Tische, verbinden sie durch Schläuche. Das Einzige, was von Ferne an das Holzpuppen-Märchen erinnert, sind ihre klobigen Plateauschuhe aus Holz.
 
Dann kommen die Kinder hereingetrappelt, „vorbereitet“ mit weißen Kappen und Bandagen. Sie setzen sich auf die Tische, ihre finstere Verwandlung beginnt: weiß besprüht, mit Fäden versehen, mit leblosen Augen beklebt. Perücke, Kappe, Einheitsdress folgen, alles im Takt der gleichgeschalteten Zwangstrommel, geschlagen von zwei Oberaufsehern. Zum Schluss finden sich die Puppenkinder im Kreis in der Bühnenmitte des @theatertotal, zucken fremdbestimmt, dann etwas lebendiger – um immer wieder zusammenzusinken, ein Elend der Dressur. Bis sie sich dann selber abschminken dürfen, von ihren „Aufseher*innen“ umarmt werden. Schwach und zittrig wirken die freien, lustigen Kinder von vorher aber immer noch.
 
 
Foto: Alice Laloy
 
Ein krasser Abend, der niemanden kalt lässt: ein Zuschauer-Kind hält sich die Augen zu, manch Erwachsener verlässt den Saal, von „gefährlicher Kinderdressur“ ist die Rede. Genau das wollte die Kompanie wohl auch vorführen: wie Kinder manipuliert, gelenkt, durch Liebe abhängig gemacht werden können. Die Botschaft vermitteln sie mit großer Intensität - aber auch einigen Längen, denn sie ist schnell verstanden. Trotzdem: der Abend zeigt, welche Bandbreite heutiges Figurentheater hat, und wie tief die Verbindung von Puppen und Menschen in die Eingeweide fahren kann.
 
Anzeigenfoto: Dorothea Marcus