Die aktuelle Kritik

Kahmann & Scharpff, Schaubude Berlin: "#friedenohnegrenzen"

Von Alina Lebherz

Mit der Inszenierung "#friedenohnegrenzen" über die DDR-Bürgerrechtsbewegung ‚Frauen für den Frieden‘ und das Leben der Malerin und politischen Aktivistin Bärbel Bohley gelingt es Kahmann & Scharpff, einen vielschichtigen Diskursraum über ostdeutschen Feminismus, Krieg und Frieden zu eröffnen, der durch seine historische Linse auch gegenwärtige Debatten bereichert.

Das Stück #friedenohnegrenzen ist kein klassisches Figurentheaterstück. Vielmehr besteht es aus einer Performance mit Live-Malerei. Gerahmt wird diese Performance durch Zitate der politischen Aktivistin und Malerin Bärbel Bohley, die aus dem Off eingespielt werden. Die Räumlichkeit der Bühne ist und bleibt unfertig, wie ein Nicht-Ort, eine Baustelle – oder auch: ein Malatelier! Ein schlichtes Gerüst als einziger Gegenstand auf der Bühne dient gelegentlich als Zufluchtsort und als kreativer Anker, hat aber auch das Potenzial, sich schnell zu einem Gefängnis zu wandeln, durch dessen Stäbe die Schauspielerin Ute Kahmann als Bärbel Bohley dann auch später selbst zu ihrem Publikum spricht. Ute Kahmann spielt Bärbel Bohley frech, berlinerisch, etwas draufgängerisch und burschikos. Sie spielt sie als eine Frau, die weiß, was sie will.

Der Fokus liegt auf Worten und direkten Zitaten, die in nicht-linearer Reihenfolge wiedergegeben werden. So gelingt es, auf eine nicht-reduktionistische und gleichzeitig sehr zarte Art und Weise, in komplexe und vielschichtige Themengebiete wie beispielsweise Militarismus, Pazifismus und (intersektionalen) Feminismus einzuführen. Die Schönheit liegt hierbei im Detail. Eine der Plastikfolien beispielsweise, die zunächst eine unsichtbare Mauer zwischen Zuschauer:innen und Darstellerinnen zieht, wird später zu einem Kleidungsstück, zu einem Rock, recycelt – und somit zu einem Symbol für Nachhaltigkeit und für die Frauenbewegung gleichermaßen. Die offene und fragmentierende Erzählweise erschafft also weniger einen roten Faden, als ein dichtes Gewebe aus verschiedenen Symbolen und Perspektiven aus unterschiedlichen Zeiten und Orten, die lose zusammengeführt werden, die aber auch, ohne sich gegenseitig dominieren zu wollen oder ineinander aufgehen zu müssen, gleichberechtigt nebeneinanderstehen und sich widersprechen können. Von der ost-deutschen Perspektive der 1980er-Jahre aus der Biographie von Bärbel Bohley, quasi als Knotenpunkt dieses Gewebes, führen so einzelne Fäden auch in verschiedene Gegenwarten. Die Erzählweise dieser Inszenierung ist also selbst feministisch, Inhalt und Form verbinden sich miteinander und verweisen aufeinander.

Das Medium der Malerei führt dabei eine weitere, materielle Ebene der Darstellung hinzu. Der Künstlerin Paolucci war es wichtig, so betont sie im anschließenden Gespräch, Bärbel Bohleys Gemälde nicht zu imitieren, sondern vielmehr eine eigenständige, künstlerische Ausdrucksweise zu finden, welche die Bühne fließend verändere. So gestalten ihre abstrakten Bilder, oft in Rot und Schwarz gehalten, die im Laufe der Performance entstehen, die Inszenierung in jedem Moment mit. Doch auch hier gibt es Brüche und wenig Linearität: Bilder werden übermalt und Folien abgerissen.

"#friedenohnegrenzen" © Marcus Lieberenz

Inhaltlich zeigt die Inszenierung auf, welchen Repressalien politisch aktive Frauen in der DDR ausgesetzt waren, wie sie allerdings auch von der Staatssicherheit unterschätzt oder von einer männlich dominierten Gesellschaft als naiv abgestempelt wurden. Ein immer wiederkehrendes Motiv in der Inszenierung ist ein ringendes Telefon, welches die zermürbenden Zersetzungsmaßnahmen des Ministeriums für Staatssicherheit deutlich machen soll, denen die Aktivist:innen der Bürgerrechtsbewegung ‚Frauen für den Frieden‘ ausgesetzt waren. Auch die Zeit, die Bärbel Bohley in Einzelhaft verbringen muss, wird eindrücklich geschildert. Interessanter- und glücklicherweise endet das Stück allerdings nicht mit der Friedlichen Revolution, die Bärbel Bohley durch ihr Wirken für den Frieden sicherlich auch maßgeblich mitvorbereitet hat, sondern mit einem relativ abrupten Verweis darauf, dass sie ihre pazifistische Haltung in Auseinandersetzung mit dem Bosnienkrieg revidiert habe. So verweigern die Künstlerinnen am Ende eine verklärende und harmonisierende Auflösung der Geschehnisse, die möglicherweise von einigen Zuschauer:innen erwartet wurde. Stattdessen beenden sie die Inszenierung mit einem erneuten Bruch, unfertig, weniger mit dem Ziel, Antworten vorzugeben, als damit, neue Denkräume zu eröffnen.

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Spiel/Performance
Ute Kahmann

Live-Malerei, Ausstattung
Giulia Paolucci

Textmontage
Ute Kahmann, Heike Scharpff, Rosi Ulrich

Komposition
Rike Schuberty

Regie
Heike Scharpff

Dramaturgie
Rosi Ulrich

Aufführungsrechte Texte Bärbel Bohley

Anselm Bohley

Fotos

Marcus Lieberenz

 

Gastspiel gefördert durch die Beauftragte der Bundesregierung für Kultur und Medien im Programm »NEUSTART KULTUR II – Theater in Bewegung«.

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