Hassan im Glück - wo Tränen gegen Lachen eingetauscht werden
Wer mit der Geschichte des Hans im Glück vertraut ist, wird auf die Moral in Hassans Begebenheiten bereits vorbereitet sein. Und doch birgt Hassan im Glück ein ganz eigenes Gefühl in sich. Hassan ist - trotz Vorlage - eine Figur, die sich völlig neu erleben lässt und tief-emotionale Einblicke in den Begriff „Heimat“ erlaubt.
An einem der bisher wärmsten Tage des Jahres versammelt sich das Publikum draußen vor dem Figurentheater-Kolleg, umgeben von Bäumen und Sonnenstrahlen. Von jung bis alt sind inmitten der Zuschauenden alle vertreten und blicken auf den Erzähler Abdul Haq Haqjoo, der im Verlauf der Inszenierung immer wieder hinter der aufgebauten Figurenbühne verschwindet und dem Protagonisten Hassan und seinen Handelspartnern die Aufmerksamkeit überlässt.
Haqjoo begleitet die Inszenierung mit Live-Gesang in seiner Landessprache, der zu Tränen rührt. Mag es der eigene Bezug zu einer Kultur sein, die der Hassans nahekommt oder die talentierte musikalische Darbietung des Erzählers selbst, ich persönlich kann das Weinen in diesem Moment nicht zurückhalten. Der eigene Migrationshintergrund verstärkt bei mir bloß das vermittelte Gefühl von Heimweh und der Liebe zu einer Heimat, die einst verlassen werden musste.
Es ist dem Talent des Spielers zuzuschreiben, dass das gesamte Publikum emotional engagiert reagiert. Empathische Frustration über Hassans Gutgläubigkeit bei den unfairen Tauschgeschäften, herzliches Lachen über seine Reit-Tipps oder Kommentare des Erzählers resultieren in einer aktiven Interaktion zwischen Fiktion und Realität - Bühne und Publikum. Die guten Absichten, die der Erzähler für Hassan hegt, sind ansteckend, sodass es nicht überrascht, wenn uns Haqjoo plötzlich dazu auffordert zu gehen, weil Hassans Entscheidungen kein zufriedenstellendes Ende versprechen. Und doch belehrt uns Hassan des Besseren, denn alle - Erzähler inklusive - werden von ihm dazu animiert, seine Heimatreise noch nicht aufzugeben. Es ist faszinierend, wie viele Emotionen auf dem unbeweglichen Gesicht einer Handpuppe ausgedrückt werden können.
Die hölzernen Figuren und Requisiten verbildlichen die fragwürdigen Handelsentscheidungen Hassans in einer liebevollen und sehr persönlichen Ausführung. Denn beim Blick auf das Holz fällt eine Besonderheit auf - es ist mit Löchern versehen. Aus der eigenen Heimat und an den Taliban vorbei, bis nach Europa schaffen es die Figuren nur so durch die Kontrollen. Haqjoo erzählt nach der Aufführung davon, wie die von ihm gebohrten Löcher dabei halfen, zu beweisen, dass er nichts im Holz versteckt hat. Es ist ein beeindruckender und mutiger Schritt für seine Kunst. Das Puppenspiel ist in Afghanistan, Haqjoos Heimat, strengstens verboten und die Gewissheit darüber transformiert Hassan im Glück zu einem einzigartigen Erlebnis, das zum Nachdenken anregt.
Dank Haqjoos inspirierender Leidenschaft gelingt es Hassan in Bochum ohne Bedenken (und offensichtlich ohne Hintergedanken) seinen hart erarbeiteten Klumpen Gold gegen ein Pferd, dieses dann gegen einen Ochsen, dann ein Schaf, eine Gans und schlussendlich ein schweres Schleifgerät einzutauschen, das er liebend gern im Brunnen versinken lässt. Der Verlust, der ihm durch den Erzähler bewusst wird, verfliegt, sobald Hassan merkt, dass er zwar ohne Gold, jedoch heil und gesund heimkehren konnte.
Die Zuschauenden atmen auf und die Einsicht legt sich über den gesamten Raum vor dem Figurentheater-Kolleg. In diesem Moment erinnert Hassan daran, was im Alltag oft in Vergessenheit gerät: Dankbarkeit für die Gesundheit des eigenen Körpers, die Familie und der gute Glaube an die Menschheit, der nicht immer lukrativ ist, jedoch Bände über die eigene Person erzählt (auch wenn das nicht als Aufruf dient, schlechte Geschäfte einzugehen). Hassan ist für 45 Minuten unser gemeinsamer Freund und verbindet das gesamte Publikum spürbar miteinander, während es sich gemeinsam auf eine Reise begibt, die fernab der eigenen Realität ist, jedoch genau diese beeinflussen kann.
Abdul Haq Haqjoo mag das Schicksal erlebt haben, aus seinem Heimatland Afghanistan fliehen zu müssen, nach der Inszenierung von Hassan im Glück ist jedoch allen Anwesenden bewusst - seine Heimat hat ihn nie verlassen und ist in jedem Ton seiner Musik spürbar anwesend.
Foto: Sara Szarota