Die aktuelle Kritik

marotte Theater Karlsruhe: "Was man von hier aus sehen kann"

Von Manfred Jahnke

Eva Kaufmann und Friederike Krahl entwickeln aus einer stimmigen Grundidee – eine Buchhändlerin stellt ihr Lieblingsbuch vor – eine überzeugende Spielfassung des erfolgreichen Romans von Mariana Leky.

18. Oktober 2024

In „Was man von hier aus sehen kann“, 2017 erschienen, erzählt Mariana Leky von Selma. Immer, wenn dieser im Traum ein Okapi erscheint, stirbt im Dorf eine Person. Sie versucht ihre Träume zu verschweigen, aber dennoch verbreitet sich deren Erzählung in Windeseile in dem kleinen Dorf im Westerwald. Leky entwickelt mit knappen, aber um so eindringlicheren Worten, welche Wirbel die Bekanntgabe des Traums in dieser kleinen, in sich geschlossenen Dorfwelt auslöst. Erzählt wird diese Geschichte aus der Perspektive der Enkelin Luise manchmal auch mischt sich eine auktoriale Erzählerin ein. In drei Teilen (sowie einem Prolog und einem Epilog) wird die Geschichte von Selma, der Großmutter, und von Luise erzählt – über zwanzig Jahre hinweg.

"Was man von hier aus sehen kann": Friederike Krahl © Franziska Hiß

Eine solche Geschichte auf die Figurentheaterbühne zu bringen, die einen so weiten Zeitraum umfasst und dazu das Panorama eines ganzen Dorfes entwickelt, lässt sich nicht einfach umsetzen. Das Team vom marotte Theater Karlsruhe hat eine stimmige Idee gefunden: Friederike Krahl tritt als Buchhändlerin auf, die ihr Lieblingsbuch des Monats dem Publikum vorstellten möchte. Das ist auch insofern genial, als Luise im Roman selbst eine Buchhändlerinnen-Lehre macht, die Ich-Perspektive damit beibehalten werden kann, zum anderen das Buch nicht zur Gänze vorgetragen werden muss, sondern Lieblingsstellen herausgegriffen werden.

Friederike Krahl und die Regisseurin Eva Kaufmann konzentrieren sich in den Handlungsabläufen auf die Beziehungsgeschichten zwischen Luise, Selma und weiteren Figuren wie dem Apotheker, den Eltern, Luises Freund Martin und einem buddhistischen Mönch. Diese Geschichten setzen sie in ein Bühnenbild, das aus einem alten Küchentisch, einem Teewagen mit vielen Kartons, einem Stuhl, zwei Garderobenständern, sowie einem verwuselten Fell, das zum Hund Alaska animiert wird, besteht (Ausstattung: Karen Klöpfer, Matthias Hänsel und Jannis). Schon beim Einlass kommt Friederike Krahl immer wieder auf die Bühne, um an diesem Mobiliar Korrekturen vorzunehmen, da wird der Teewagen verschoben, ein Bildband über Alaska aufgestellt, neue Pappkartons hereingetragen: Da bereitet jemand sichtbar einen für sie aufregenden Abend vor, eine Buchhändlerin, die in einer Öffentlichkeit agiert, die ihr fremd ist. Aber die Begeisterung ist stärker.

"Was man von hier aus sehen kann": Friederike Krahl © Franziska Hiß

Spannend ist der Moment, wenn von der Buchhändlerin umgestiegen wird auf die Erzählerin. Zu Beginn herrscht der Gestus der Begeisterung einer Leserin über ihre Lektüre in der persönlichen Publikumsansprache. Allmählich verwandelt sich Krahl dann in eine konzentrierte Objektspielerin, die dabei stets ihr Publikum im Auge behält. Sie erzählt die Geschichten von Luise, Selma und den anderen, während sie Objekte aus den Kartons und vom Teewagen nimmt. Auf dem Tisch führt sie bemalte kleine Figuren, aus Fimo geformt, lässt drei Mars-Riegel als Mönche agieren, zeigt ein großes Foto von Rudi Carell – Selma wird stets mit dem holländischen Entertainer verglichen - oder baut aus kleinem Holzspielzeug das Dorf im Westerwald auf. Das wirkt auf eine paradoxe Art verspielt, auf der anderen Seite aber entstehen im Publikum durch die Animation die Welten der Menschen, von denen die kleinen Objekte erzählen.

Am Ende nimmt Friederike Krahl wieder das Buch zur Hand, klappt es zu – bedauernd, dass der Abend schon zu Ende ist. Die Begeisterung der Buchhändlerin überträgt sich auf das Publikum: Wer das Buch noch nicht gelesen hat, möchte mehr wissen. Ein gelungener Abend.


marotte Theater Karlsruhe: „Was man von hier aus sehen kann

nach dem Roman von Mariana Leky in einer Spielfassung des marotte Theater Karlsruhe.

Regie Eva Kaufmann | Ausstattung Karen Klöpfer, Matthias Hänsel, Jannis | Spiel Friederike Krahl

Premiere: 12. Oktober 2024
Dauer: 80 Minuten

Infos und Termine auf der Website von marotte Theater Karlsruhe