Die aktuelle Kritik

Puppentheater Halle: "Dracula – Mächte der Finsternis"

Von Franziska Reif

Wie im Kino: Die Koproduktion mit der norwegisch-französischen Gruppe Plexus Polaire bringt starke Bilder auf die Bühne. Puppen und Menschen reihen eine gewaltige Szene an die nächste.

Diese Dracula-Inszenierung ist wortkarg. Das Geschehen vermittelt sich auf weiten Strecken über starke Bilder, die in einer geschickten Kombination unterschiedlicher Mittel entstehen. Oft herrscht Düsternis. So schon zu Beginn, wo in der Ferne Lichter herumtanzen, die sich als eine Handvoll heranflatternder Fledermäuse herausstellen. Ein schwarzer Hund von unangenehmer Schulterhöhe nimmt Witterung auf und zeigt neugierig seine Zähne, dazu deutet unheilvolle Musik an, dass die Dinge, die hier beginnen, keinen guten Ausgang nehmen werden. Das Spiel mit Licht und vor allem mit dessen Abwesenheit schafft die Atmosphäre für den Dracula-Stoff, es hebt hervor und setzt Akzente. Wie von einer Kinoleinwand blickt Draculas bleiches Gesicht aus der Schwärze des Bühnenhintergrunds und lockt die Protagonistin mit Charme und einladenden Worten zu sich. Immer wieder zeigt sich die Virtuosität der fünf Spieler: Die lebensgroße lederne Gliederpuppe, die sich aus dem Dunkel schält, agiert galant, geschmeidig und mit ausgefeilter Gestik. Die Klangwelten, die das ganze Stück lang die Bilder unterstützen und ergänzen, sorgen dafür, dass die Spannung hält – ob als sphärische Klänge, die ein nervtötendes Piepen tragen, oder als fernes Grollen aus der Tiefe.

Nach dem Zusammentreffen mit Dracula schwebt die Protagonistin – ebenfalls als Gliederpuppe – in der Luft und sinkt dahin. Ihr menschliches Double leidet unter Alpträumen: Orientierungslos stolpert sie zwischen sich bewegenden Pfeilern und Wänden umher, auf deren fahlen grünen Grund unklare Szenen projiziert sind. Projektionen und Lichtinstallationen kommen – mal schwarz-weiß, mal bunt, mal konkreter, mal abstrakt – mehrfach zum Einsatz und ziehen in die Erzählung passenderweise die Ebene ein, auf der Dinge eher gefühlt als verstandesmäßig begriffen werden.

Das Spiel mit den Ebenen betrifft auch die Figuren. Die Protagonistin verdoppelt sich auf der Bühne nicht nur, sie kann sich vervielfachen. Hierbei kommt ein Markenzeichen des Puppentheaters Halle zum Tragen, nämlich dass die Grenze zwischen Puppe und Schauspieler so schnell irrelevant wird, wie das Zuschauerauge registriert hat, dass es Puppen und Menschen zusieht. Mal wieder zeigt sich, dass Puppen, die ja eigentlich nichts alleine können, nicht einmal in der Lage sind zu atmen, zu lauter Dingen imstande sind, die ein Schauspieler aus Fleisch und Blut nicht draufhat – kopfüber in der Luft schweben zum Beispiel und dann über das Verhältnis von Wissenschaft, Glauben und Wahrheit räsonieren.

Auf dem Weg ins Reich der Untoten liegt die Protagonistin anämisch darnieder und will nicht auf die Beine kommen. Die Gliederpuppe ist dennoch überaus lebendig, keucht und hustet, bäumt sich auf. Eine Blutspende kann ihr helfen. Blutspende heißt: Ein roter Blutfaden versorgt sie mit dem fremden Lebenssaft. An ihrem Krankenbett macht sie in allen Personen, die dort wachen, Dracula aus. Der Einsatz von Masken machts möglich. Die Maske hat eindrucksvolle Einsätze, wenn der Vervielfältigung der Figuren die Spitze aufgesetzt wird, beim abermals werbenden Tanz Draculas oder bei der Köpfung der Untoten. Zunächst einmal erledigen jedoch all die Draculas, die schließlich am Bett versammelt sind, das mit der Blutspende auf ihre Weise: Blutfäden spinnen sich zwischen ihnen und der Kranken. Die Gliederpuppe wird zur Marionette und schwebt durch den Raum, gehalten, bewegt und am Leben gehalten von den Fäden, die Draculamasken führen. Dazu erklingt zartes Geklimper, das in dezentes Fiepen übergeht. Die Untote schaut ihrem eigenen Abtransport zu, besucht das eigene Grab, wird zum Monster mit Zottelmähne, das sich unter Vogelzwitschern und Rabenkrächzen blutrünstig auf einen Säugling stürzt. Eventuell ist eine Zähmung der finsteren Mächte möglich: Der böse, schwarze Hund wird am Ende zum pfötchengebenden Wauwau, der Frauchens Liebkosungen mit Schwanzwedeln quittiert.

Das versteht sich ohne Worte und ohne Kenntnis des Briefromans. Und das ist eine weitere gelungene inszenatorische Entscheidung: Die Dracula-Geschichte wird nicht bis ins letzte Detail dargelegt, Regisseurin Yngvild Aspeli ließ sich ohnehin von einer isländischen Adaption von Bram Stokers Geschichte inspirieren. Vielmehr genügen einige wesentliche Motive, um die Vampirgeschichte plastisch zu machen – neben Hund, Fledermäusen und Dracula selbst sind dies selbstverständlich Blut, die Vampirabwehr mit Holzpflock und Schwert, die Lilien am Krankenbett sowie das scheinbar sexuelle Verlangen, das doch nur auf einen Biss in den Hals fixiert ist. Obwohl also bei dieser Inszenierung nicht viel erzählt, wenig geredet und wenig beschrieben wird, erzählt das Bühnengeschehen sehr viel.

 

Premiere 15. Oktober 2021

Regie: Yngvild Aspeli

Bühnenbild: Nathalie Schanze, Sarah Zirk

Musik: Ane Marthe Sørlien Holen

Dramaturgie: Pauline Thimonnier

Bühne: Elisabeth Holager Lund

Puppen: Pascal Blaison, Manon Dublanc, Elise Nicod, Sebastien Puech

Video: David Lejard-Ruffet

Requisite: Sebastian Hennig, Noura Leder

Puppenkostüme: Sibylle Mittag

Management Plexus Polaire

Mit: Claudia Luise Bose, Nils Dreschke, Sebastian Fortak, Luise Friederike Hennig und Louise Nowitzki

Fotos: Anna Kolata

2 Kommentare
peter waschinsky
24.10.2021

Halle Dracula

Verzeihung für den Hinweis zum Datum: Das stand ja wie immer dabei.
peter waschinsky
24.10.2021

Halle Dracula

Und was soll uns das heute?, hätte ich von der Rezensentin gerne etwas näher gewußt - angesichts des längst zu Tode adaptierten Stoffes.
Die Bilder sehen ja leider ziemlich aus wie immer seit 30 Jahren - wenn hier aber wirklich puppentheatralisch Überzeugendes geschieht, würde es mich freuen ("Immer wieder zeigt sich die Virtuosität der fünf Spieler").
Die Berliner Schabude beglückte uns gerade wieder mit 2 x Schauspiel mit minimalen (Quoten-) Puppenspieleinlagen in "Republik der Käfer" und "Fanny und Alexander". Ich hoffe auf endlich ein Gastspiel aus Halle. Oder paßt Puppenspiel nicht ins Konzept des "Zentralen Puppentheaters Berlin"?

Was anderes: Mit ca. 5 Diskussionsbeiträgen in 2021 gelte ich in der schweigsamen Puppenszene sicher als Vielquatscher (gequatscht wird allerdings im Buschfunk umso hemmungsloser). Traurig. Da gings im Puppenspiel unter der Honnecker-Diktatur ganz anders zur Sache. Dabei war doch alles verboten.
Außerdem:
Ich empfehle dfp bei den Kritiken eine Datumsangabe, da sie ja lange hier stehen bleiben.

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