ZDF: "Hallo Spencer - Der Film"
11. Juli 2024
Für einen kurzen Moment kann man sie fühlen, die Magie. Da stehen mehrere der Runddorf-Bewohner in Spencers Studio, Elvis erklärt Jungdrache Poldi den Unterschied zwischen „dir“ und „dich“, und ich fühle mich zurückversetzt in meine Kindheit. Damals, in den 80er und 90er Jahren, schauten wir alle freitags um 18 Uhr „Hallo Spencer“, die deutsche Antwort auf die Sesamstraße. Das Format der Sendung mit den Klappmaulpuppen änderte sich zwar mehrmals, aber die meisten von uns verbinden damit vor allem Geschichten aus dem Runddorf mit seinen verschiedenen liebenswerten Bewohner*innen, von Eichkater Kasimir über Bücherwurm Lexi und den Zwillingen Mona und Lisa bis hin zu Schlossbewohner Nepomuk, anmoderiert von Spencer in seinem Studio. Und am Ende spielten die Quietschbeus immer noch ein Lied. Diese Folgen erinnerten an Sitcoms und lebten von ihrem klar definierten Ensemble.
Davon ist in „Hallo Spencer - Der Film“ (Regie: Timo Schierhorn) leider nichts mehr zu spüren. Der von Jan Böhmermanns Produktionsfirma Unterhaltungsfernsehen Ehrenfeld fürs ZDF produzierte Film stellt nämlich nicht die Charaktere aus der Serie in den Mittelpunkt, sondern deren Schöpfer Winfried Debertin - beziehungsweise eine fiktive Version von ihm. Der heißt hier, wohl in Anlehnung an die berühmte Straße, Jakob Sesam (gespielt von Rainer Bock), und lebt mit seinen Puppen in einer verlassenen Dorfdisco. Das Highlight des Films, eine Rückblende, die zeigt, wie Jakob sich damals beim Dreh der Serie in eine Kollegin (Margarita Broich) verliebte, und die Archivaufnahmen im Abspann machen deutlich, was mit diesem Ansatz alles möglich gewesen wäre. Aber der Film will uns auch nicht die Entstehungsgeschichte von „Hallo Spencer“ erzählen, sondern vor allem eine moderne Mediensatire sein.
"Hallo Spencer - Der Film": Rainer Bock und Margarita Broich © ZDF/Jutta Pohlmann
Die Dorfdisco soll nämlich abgerissen werden und Jakob braucht dringend zehn Millionen innerhalb von zwei Wochen, um sie und damit sein Lebenswerk zu retten. Also beschließt er mit einer frustrierenden Naivität, ein Drehbuch für einen „Hallo Spencer“-Film zu schreiben, mit dem er das Geld verdienen kann. Das stellt er dann verschiedenen Parodien von bekannten Streamingdiensten vor, die „Content statt Inhalt“ fordern, und er versucht das Runddorf als Cinematic Universe „wie bei Marvel und DC“ zu verkaufen. Worum es in seinem Drehbuch überhaupt gehen soll, was für eine Geschichte er erzählen will, erfahren wir nie. Zur gleichen Zeit erfährt dafür ein Ehepaar, das von Berlin aus ein Medienimperium leitet (Jens Harzer und Marina Galic), dass es die Rechte an der Serie und ihren Figuren besitzt, und es überlegt, wie man diese Marke am besten ausschlachten kann. Der Film stellt die berechtigten Fragen, ob man Nostalgie überhaupt vermarkten soll, ob alle Serien von früher neu aufgelegt und unsere Kindheitserinnerungen kommerzialisiert werden müssen. Sind Klappmaulpuppen aus den 80ern überhaupt noch zeitgemäß, wenn 3D-Animationen und Mangas den Markt beherrschen? Wie holt man „Hallo Spencer“ ins 21. Jahrhundert? Eine Antwort darauf gibt der Film nicht und will es auch nicht.
„Es ist kein Film für Leute, die wollen, dass Spencer weitergeht, sondern ein Erklärungsversuch, warum Spencer aufgehört hat“, sagt Jan Böhmermann, der mit Elias Hauck und Tim Wolff das Drehbuch geschrieben hat. Beim Ansehen stellt sich allerdings die Frage, für wen der Film denn dann gedreht wurde. Für Kinder ist er gänzlich ungeeignet, und für alle, die sich nicht an „Hallo Spencer“ erinnern, ist er uninteressant. Aber er verspricht den Fans von damals, dass sie ihre geliebten Figuren wiedersehen können. Und ja, Spencer, Elvis, Lulu und Co. sind alle hier. Sie werden in Jakobs Fantasie sogar lebendig und (zumeist) von ihren damaligen Puppenspieler*innen gespielt und gesprochen (namentlich: Eike Schmidt, Friedrich Wollweber, Martin Leßmann, Andreas Förster, Susi Claus, Maik Evers, Andrea Bongers, Klaus Naeve, Benno Lehmann, Winfried Debertin). Wenn seine Pächterin ihm sagt, dass die Dorfdisco einem Seniorenheim weichen soll, läuft „der schönste Jungdrache der Welt“ in ihrem Wohnzimmer herum, und alle außer Jakob ignorieren ihn. Sie schauen über seine Schulter und geben Tipps, als er sein Drehbuch schreibt. Es gibt ein Musikvideo, in dem Dirk von Lowtzow ein Lied mit den Quietschbeus singt, um ihn wieder aufzumuntern. In einigen kurzen Szenen stehen die Puppen wie anfangs erwähnt sogar ohne ihn in den zerstörten Kulissen und diskutieren, wie es weitergehen soll. In diesen Szenen erinnern wir uns daran, warum wir diese Charaktere so lieben, aber sie lassen sich an einer Hand abzählen und nicht alle von ihnen bekommen eine Chance zu glänzen; Lexi und die Zwillinge zum Beispiel haben nicht eine einzige relevante Dialogzeile in dem ganzen Film.
"Hallo Spencer - Der Film": v.l.n.r. Marina Galic, Aybi Era, Hendrik v. Bültzingslöwen, Jens Harzer © ZDF/Gordon Timpen
Und der hält sich nicht einmal an seine eigenen Regeln; als das Ehepaar die Puppen nach Berlin entführt und ihnen ein modernes Make-Over verpasst, interagieren sie für ein paar Minuten auf einmal mit anderen Menschen und Kasimir begrüßt sie mit „Slay, Pussy Queen“. Das Paar stellt in dieser Szene zynisch fest, dass man zwar „die Puppen aus den 80ern holen kann, aber nicht die 80er aus den Puppen“. Das stimmt natürlich nicht, die Sesamstraße hat nie an Popularität verloren und die Muppets und die Fraggles werden ständig neu aufgelegt. Aber nach diesem Film wünscht man sich, dass zumindest „Hallo Spencer“ eine Kindheitserinnerung aus den 80ern geblieben wäre.
ZDF: „Hallo Spencer – Der Film“
Buch: Jan Böhmermann, Elias Hauck, Tim Wolff | Originalvorlage: Winfried Debertin | Regie: Timo Schierhorn | Kamera: Jutta Pohlmann | Schnitt: Nikolai Hartmann | Ton: Thomas Thutewohl | Musik: Albrecht Schrader | Puppenberatung: Winfried Debertin, Henning Plückebaum | Produktionsdesign: Vicky von Minckwitz | Kostüm: Yvonne Lehmann | Producerinnen: Julia Brand, Julia Michel | Produzenten: Jan Böhmermann, Alexander Hesse, Lasse Scharpen | Produktion: Unterhaltungsfernsehen Ehrenfeld (UE GmbH) in Kooperation mit Studio Zentral, im Auftrag des ZDF | Redaktion: Lucia Haslauer
Cast: Rainer Bock, Victoria Trauttmansdorff, Margarita Broich, Achim Hall, Jens Harzer, Marina Galic, Aybi Era, Hendrik von Bültzingslöwen, Jan Böhmermann, Carsten Meyer, Dirk von Lowtzow; Puppenspiel: Eike Schmidt, Friedrich Wollweber, Martin Leßmann, Andreas Förster, Susi Claus, Maik Evers, Andrea Bongers, Klaus Naeve, Benno Lehmann, Winfried Debertin
Premiere: 2. Juli 2024, Filmfest München
Dauer: 86 Min.
Sendetermin: vrsl. Ende 2024