Die aktuelle Kritik

Bühne Cipolla, Duisburg: "Picknick am Valentinstag"

Von Tim Müller

Der Roman "Picknick am Valentinstag" (Picnic at Hanging Rock, 1967) von Joan Lindsay bekommt nach einem Film (1975) und einer Fernsehserie (2018) nun auch eine Figurentheateradaption durch die Bühne Cipolla. Ein Premierenbesuch in Duisburg.

Juni der Figuren. Theater Duisburg. Sonntagabend. Nach dem Passieren der monumentalen weißen Säulen des Haupteingangs werden wir nicht in den großen Saal eingelassen, sondern rechts an diesem vorbei in Richtung Spiegel geführt, um die Welt dahinter zu erblicken. Durch eine kleine Tür gelangen wir auf die Hinterbühne des durch den eisernen Vorhang abgetrennten großen Saals. Auf ihr ist gegenüber den tribünenartig aufgebauten Zuschauerrängen eine halbmeterhohe Bühne errichtet. Mittig auf dieser befinden sich zwei mit schwarzem Molton überdeckte Stufen, auf der sich zwei Klappmaulpuppen befinden, die uns den Rücken zuwenden. Rechts hängt ein Paar roter Boxhandschuhe an einem roten Spanngurt von der Decke. Die Bühne ist schwach rot und etwas blau beleuchtet. Linker Hand sitzt ein Musiker vor einem Synthesizer mit Loop-Station und Cello. Beim Eintreten des Publikums spielt der Musiker bereits leise Synthesizerklänge, während ein ganz in schwarz gekleideter Spieler einzelne Objekte nach vorne trägt. Allesamt rot. Darunter eine Art Wasserball mit mehreren Luftkammern, ein Flightcase auf Rollen, eine pyramidenförmige Insektenschutztortenhaube aus Stoff, ein selbststehendes Kleid und manches Mal auch nur ein imaginäres Objekt.

Von Musiker Gero John begleitet spielt Schau- und Figurenspieler Sebastian Kautz die Geschichte "Picknick am Valentinstag" nach der Romanvorlage von Joan Lindsay und schlüpft persönlich in die Rolle der Direktorin des Appleyard College, einer Privatschule für Mädchen, sowie in die der Französischlehrerin. Dazu krempelt er in einem gekonnten Handgriff einen hochgezogenen roten Rock über seine schwarze Hose und schnürt sich als Direktorin eine schwarze Halskrause um. Als Lehrerin setzt er sich einen roten Hut mit rotem Schleier auf.

In einem überraschenden Moment wird offenbart, dass jedes der nach vorne getragenen roten Objekte eine Schülerin des Colleges beherbergt. Zunächst schlüpfen ihre Arme, deren Hände noch rote Handschuhe tragen, aus den Einhausungen. Die roten Handschuhe werden ihnen alsbald bereits ausgezogen. Im Verlauf der Geschichte befreien sich die Mädchen dann nach und nach – einige schneller, andere langsamer – gänzlich aus ihren roten Kokons. Die Klappmaulpuppen sind ohne Unterkörper ausgebildet und tragen (bis auf Edith, die ein roter Ball bleibt) Negligés, die den Blick auf nackte Oberkörper gewähren lassen. Diese Entscheidung macht eine frühe Szene verstörend gewaltvoll: Die im Disput mit der Direktorin stehende Sara liegt mit dem Unterkörper in einen roten Lederschlafsack gehüllt auf dem Schoß der Direktorin und streitet mit ihr. Die Rollenillusion der Direktorin wird wegen der minimalen Darstellungsmittel (Halskrause und Rock) durch das Sitzen aufgeweicht und so blitzt dann und wann das Bild des männlich konnotierten Körpers des Puppenspielers durch, der ein 13-jähriges Mädchen mit nackten Brüsten peinigt.

Als Konsequenz der gezeigten Auseinandersetzung wird Sara an dem roten Spanngurt an der Bühnenseite aufgehängt und verbringt dort den Rest der Inszenierung bis kurz vor Schluss. Nur Marion (aus dem Flightcase), Miranda (aus dem Kleid), Edith (Ball) und Irma (Insektenhaube) dürfen auf den Ausflug. Dieser gerät nach und nach ins Chaos. Nach Querung des Flusses gelangen die Mädchen bis auf Edith zu dem durch das Dreieck dargestellten Monolithen. Beobachtet und begehrt werden sie dabei von Michael und Albert, den beiden zu Beginn auf den Pfosten sitzenden Puppen. Nach einigen tranceartigen Augenblicken kehrt Edith vom Picknick zurück. Vom Polizisten befragt, vom Arzt begrapscht hat sie keine Zukunft in dieser Inszenierung. Nach einem Intermezzo mit Albert kehrt Irma zurück und verlässt ebenso wie die Französischlehrerin das College. Am Ende kämpft die zunehmend alkoholisierte und derangierte Direktorin nach Überstreifen der Boxhandschuhe ganz bildlich mit sich selbst und endet am Boden des durch die Absperrpfosten mit roten Bändern gebildeten Boxrings. In einer Reprise bekommt Sara das letzte Wort und darf darüber sinnieren, ob der Mond die Gedanken beeinflusst. Wie die Romanvorlage bleibt auch diese Inszenierung unaufgelöst.

Sebastian Kautz findet eine klare Farbsprache. Die ausdrucksstarken Puppen (Melanie Kuhl) lösen ihr Versprechen jedoch nicht ganz ein. Manche Blicke gehen ins Leere. Ihre Charaktere entwickeln keine besondere Tiefe und ihre Beziehungen untereinander bleiben oberflächlich, was der schieren Anzahl an Protagonist*innen geschuldet sein mag. Neben den beiden durch den Schauspieler verkörperten Lehrerinnen treten fünf Schülerinnen und zwei Jungen als Klappmaulpuppen sowie in einer stakkatoartigen Abfolge ein Reporter, ein Polizist und ein Arzt als Kaukautzky-Figuren auf. Die Geräusche und die live eingespielte Musik des mit einigen Cameoeinbindungen bedachten Gero John schaffen eine teils sphärische, teils treibende Atmosphäre. Die gut platzierten Lichtstimmungen runden das visuelle Bild ab. Die Welt hinter dem Spiegel des Theater Duisburg lässt uns heute mit gemischten Gefühlen zurück.

 

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Picknick am Valentinstag

Regie, Bühne, Spielfassung; Figurenspiel, Schauspiel: Sebastian Kautz

Komposition, Sounddesign; Violoncello, Keyboards: Gero John

Figurenbau, Kostümbild, Bühnenbau: Melanie Kuhl

Lichtdesign: Frank Barufke, Gero John, Sebastian Kautz

Fotos: Sascha Niethammer

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