HfS Ernst Busch & Theater am Rand, Oderaue: "Frei Spiel"
7. August 2024
Eine Rohrzange, die sprechen kann, und eine Taube, die an Höhenangst leidet – es mangelte nicht an feinen absurden Ideen beim „Frei Spiel“, einem Wochenende voller Theateraufführungen, das bereits zum zweiten Mal stattfand. In diesem Jahr taten sich die Studiengänge Puppenspielkunst und Schauspiel der HfS Ernst Busch für die Kooperation zusammen und fuhren zum Theater am Rand. Das befindet sich im äußeren Osten des Landes in Zollbrücke, direkt an der Oder.
Das rührige Theater erhofft sich von der Kooperation mehr Besuch auch von jüngerem Publikum, wie Theaterleiterin Almut Undisz Fidena erzählte. Das klappte zumindest in der Hinsicht, dass die Teams von gleich sechs Produktionen der Hochschule vor Ort waren. Viel mehr ihrer Kommiliton*innen fanden aber nicht den Weg heraus aufs flache Land. Die leidige Ferienzeit eben. Immerhin hat das Theater am Rand eine gewachsene eigene Zuschauer*innengemeinde. Und so kamen ein paar Ältere, die den Weg wohl nicht in die Mitte Berlins zum Standort der Hochschule auf sich genommen hätten, zum Festival. Zumindest einen kleinen Brückenschlag am Oderdeich durfte man also konstatieren.
Kunstvoll belebtes Klempnerwerkzeug
Wer da war, erlebte dann auch einige verblüffende Dinge. Cecilia Eva De la Jara etwa kam in „Harun und die Pfütze-ze“ als leicht verpeilter Klempner auf die Bühne. Erst mal rauchen und Zeitung lesen lautete das Motto. Die Zeitungsartikel wurden dabei in kleine Klangcollagen überführt, eine schöne Idee. Auch fürs abenteuerliche Rauschen im Schlauchgewirr, das als Großobjekt den Raum beherrschte, hätte sich die Klangkunst angeboten. Eine verpasste Gelegenheit.
"Harun und die Pfütze-ze" © Katharina Riexinger
Klempner Harun verwandelte sich später – frei nach Salman Rushdies Jugendbuch „Harun und das Meer der Geschichten“ – in einen Wassergeist. Die Erinnerung an die Wassergeist-Vergangenheit lässt De la Jara von einer Rohrzange kommen, die die Spielerin sehr überzeugend als kleinen Kobold animierte. Und so zog das streitende Paar aus Werkzeugkobold und Handwerker-Geist-Hybrid das Publikum mit Leichtigkeit in den Erzählkosmos von versiegendem Wasser und dem Kampf um die Rückkehr des fließenden Nasses. Auch etwas Klimawandel-Apokalypse spielte mit rein. Am Ende gab es ein Happy End, und Harun flog, den Werkzeugkasten wie ein Flügelpaar auf den Rücken geschnallt, in eine hoffentlich berauschende Zukunft.
Krimiparodie mit Schattenspiel und Puppen
Etwas Klima-Apokalypse klang auch beim Kurzstück „Dunkle Machenschaften“ von Sophia Jelena Bobić an. Dort bringt die Hitze in Los Angeles einen ermittlungsunwilligen Privatdetektiv ins Schwitzen. Bobić, die vor ihrem Puppenspielstudium an der Ernst Busch schon in diversen Filmen und Theaterproduktionen mitwirkte, gibt den Detektiv stilsicher. Weitere Figuren wie die Auftraggeberin und den bösen Gegenspieler des aktuellen Falls führt sie mittels Marionette und Handpuppe ein. Auch Schattenspiel und Untertitel wie im klassischen Stummfilm kommen als Mittel zum Einsatz. Bobić zeigt, was man an der Ernst Busch alles lernen kann. Die Detektivgeschichte an sich bleibt auf der erzählerischen Ebene allerdings hinter der Vielfalt der eingesetzten Mittel zurück.
"Dunkle Machenschaften" © Barbara Braun/MuTphoto
Faszinierendes Spiel um Ängste
Als Höhepunkt stellte sich die Stückentwicklung „Sturzflug“ von Hannah Elischer heraus (siehe Titelfoto). Als verschüchterte Protagonistin Molly erzählt sie von ihren Ängsten. Sie explodiert förmlich im Setting einer Therapiestunde. Katalysator des Ausbruchs ist eine Taube, die Elischer zeitweise als Puppe animiert, die später aber auch als Bild über Projektionswände wandert. Die Taube ist zwar laut und frech. In ihrer – lange Zeit gut versteckten – Angst vor der Höhe ist sie allerdings auch ein perfektes Spiegelbild Mollys. Molly selbst taucht in verschiedenen Konfigurationen – mal profan Chips mampfend, mal mit Masken im Stil der Commedia dell’arte zu schrillen Charakteren ausgeformt – ebenfalls in einander zum Teil überlagernden Videoprojektionen auf. Das Ich ist ein Vieles, wie man frei nach Arthur Rimbaud sagen kann. Und Elischer macht einen großen Kosmos einander widerstreitender Ichs auf. Die Produktion hat Potential auch über den Hochschulkontext hinaus.
Endlose Sterbegroteske
Vielversprechend zumindest war die Idee von „Der Meteor“. Ein Dichter, Nobelpreisträger gar, längere Zeit allerdings vergessen, kommt durch Krankheit und Tod noch einmal ganz prominent in die Schlagzeilen. Der Haken an der Sache ist allerdings, dass er doch wieder aus dem Sarg herausklettert und vom Leben nicht lassen kann. Er sucht sein altes Atelier auf, belästigt den jetzt dort wohnenden Künstler und bringt anderen Figuren immer wieder den Tod. Ein Priester etwa, der für ihn die letzte Ölung bereithält, verscheidet vor ihm. Die Sterbegroteske zieht sich allerdings über endlos viele Stationen hin. Die verstaubt wirkenden Handpuppen zielen auf die Kleinbürger-Ästhetik des 19. Jahrhunderts ab. Faszinierend ist, was die Puppen in den Händen von Christopher Breust und Christine Zeides alles vermögen: Sie können Bilder auf- und abhängen, Kränze an der Wand drapieren, sogar Kerzen anzünden. Technisch geschickt sind die beiden. Schade aber, dass sie dieses Geschick beim Zusammenknüpfen der narrativen Fäden verließ.
"Meteor" © Barbara Braun/MuTphoto
Studierende mit Vorerfahrung
Insgesamt fiel auf, dass das Gros der Puppenspielstudierenden bereits eine längere künstlerische Laufbahn vor Beginn des Studiums absolviert hatte. Detektivin Bobić war unter anderem im Jugendensemble P14 der Berliner Volksbühne aktiv, Angst-Expertin Elischer im Jungen Ensemble Stuttgart, Wassergeist De la Jara bei freien Schauspielprojekten in Leipzig und Hamburg. Zeides wiederum kreierte diverse Puppen-, Schauspiel- und Kabarett-Projekte. Diese Erfahrungen kommen bei den Produktionen von Frei Spiel zum Tragen. Abgesehen von „Der Meteor“ fiel allerdings auch auf, dass das Können jenseits des Felds von Puppen- und Objekttheater so sehr ins Zentrum rückte, dass es das Spiel mit Puppen und Objekten etwas in den Hintergrund rückte. „Ein bisschen wenig Puppenspiel“, war zwischen den Aufführungen hier und da als Murren zu vernehmen.
Hfs Ernst Busch & Theater am Rand: "Frei Spiel"
Harun und die Pfütze-ze: mit Marie Louise Hoppenheit, George Birsan und Cecilia De la Jara | Dunkle Machenschaften: Regie, Text und Spiel von Sophia Jelena Bobić | Sturzflug: von und mit Hannah Elischer | Der Meteor: mit Christopher Breust und Christine Zeides
Aufführungen: 3. und 4. August 2024
Titelfoto: "Sturzflug" © Barbara Braun/MuTphoto