Lehmann und Wenzel, Westflügel Leipzig: "WANTED Eurydike"
3. Dezember 2024
Getroffen fällt die Braut zu Boden: Vor zehn Jahren endete das Lehmann und Wenzel-Debüt „Der Freischütz“ tragisch. Nun stehen die beiden endlich wieder als Duo auf der Bühne. Und knöpfen sich einen weiteren tragischen Liebespärchen-Stoff vor – und bügeln ihre eigene Interpretation ordentlich drüber. Sie inszenieren die Geschichte von Orpheus und Eurydike als Drama um eine in die Jahre gekommene Liebe, leidenschaftliche Seitensprünge, einen Mord, schlechte Kunst und den Druck der öffentlichen Meinung.
Letztere geistert zuerst über die Bühne, begrüßt als schemenhaftes und einarmiges Klappmaulwesen das Publikum. Und verspricht, sich einzumischen, wenn immer sie es für richtig erachtet. Das Theater als demokratischer Ort oder Arena des Populismus? Dann treten Orpheus und Eurydike auf und verlieben sich unsterblich ineinander. Liebe geht bekanntlich unerklärliche Wege: Er kann nicht singen und ist ein Langweiler, sie schwebt als Nymphe mit Faible für Gänseblümchen über den Dingen, ist es gewohnt, angehimmelt zu werden. Beide verfügen über eigenwillige Gesichtszüge. Samira und Stefan Wenzel geben das Paar mit aufgesetzten Masken. Orpheus hat eine Pinocchionase und überstehende Zähne, Eurydikes Nase ist plattgedrückt und sie lächelt wie ein Breitmaulfrosch. Sie teilen den Blick durch die rosarote Brille. Bald sieht man beide als Handpuppen wieder, erfährt, wie sie sich langsam entfremden. Wie sie mit einem Wolf anbandelt, er eine Giftschlange auf sie hetzt. Bis sich der Olymp und die öffentliche Meinung einmischen und Orpheus die Gattin retten muss – nolens volens.
"WANTED Eurydike": Samira Wenzel (hinten), Stefan Wenzel (vorne) © Dana Ersing
Den rasanten Wandel zwischen Masken- und Puppenspiel ermöglicht eine Bühne, die Clou sowie Dreh- und Angelpunkt dieses grotesken Theaters ist. Auf einer Bretterpalette ist ein Gestänge aufgebaut, an dem weiße Stoffbahnen zu Vorhängen und Abtrennungen arrangiert werden können. So entsteht mal eine Kasperbühne, mal die Säulenhalle des Olymps und ein Paravent für kurzes Schattentheater. Zudem kann sich diese Bühne im Kreis drehen, ist von allen Seiten bespielbar. Es lassen sich Bretter herausnehmen, damit sich die Unterwelt in grünem Licht erstrahlend öffnet. Hochgekippt wird sie zu Eurydikes Höllengefängnis. Auch Stabmarionetten gehören zum Figurenarsenal des Spielerduos. Aus der Kulisse heraus klappbare Götterköpfe können die Münder bewegen. Motorangetriebene Skelette heben die Beine zum Cancan-Tanz. Überall finden sich kleine Raffinessen verbaut und/oder eingesetzt.
"WANTED Eurydike": Samira Wenzel, Stefan Wenzel © Dana Ersing
Über- und Unterirdisches fördert das Duo Lehmann und Wenzel so zu Tage, verbindet das mit Musik – live und aus der Konserve – und geschickt eingesetztem Licht. Das steuern beide selbst über im Raum verteilte Fußtaster, ermöglicht ihnen das Überblenden von Sehen, Verschwinden im Dunkel und Neuerscheinungen in aufglimmenden Spots. So geht es eine muntere gute Stunde zu. Immer mal wieder fallen die beiden aus ihren Rollen, erklären, als Spieler für dies oder das nicht zuständig zu sein. Und variieren damit das dem Figurentheater eigene Thema des Figurentheater-Thematisierens. Das hätte auch ins Lächerliche abschmieren können, aber dass das nicht passiert, liegt an der Kunst von Wenzel und Wenzel, ähm: Lehmann und Wenzel. Denn hinter den halben Missgeschicken, tumultartigen Szenen und chaotischen Intermezzi stecken gutes Timing und exzellente Figurenführung. Die Komödie ist die schwierigste Theaterform – den tragischen Klassiker in solch überzeugendes, mobiles wie flexibles Figurentheater gegossen zu haben, ist eine ansehnliche Leistung.
Lehmann und Wenzel, Westflügel Leipzig: "WANTED Eurydike"
Spiel, Musik, Ausstattung Stefan Wenzel | Spiel, Puppen, Bühne Samira Wenzel | Projektleitung Frauke Niemann | Regie Samuel Beck
In Koproduktion mit dem Westflügel Leipzig
Premiere: 28. November 2024
Dauer: ca. 60 Min.
Infos und Spieltermine auf der Website vom Westflügel Leipzig und von Lehmann und Wenzel