Die aktuelle Kritik

Theater Albersmann, Puppentheater Hamburg: „Des Kaisers neue Kleider“

Von Falk Schreiber

Eine konservative Geschichte, die den „gesunden Volkswillen“ gegen intellektuelle Verfeinerung in Stellung bringt? Nein: Petra Albersmann erzählt „Des Kaisers neue Kleider“ vor allem als anrührende Familiengeschichte mit starkem Formbewusstsein.

„Ich liebe schöne Kleider“, sagt Petra Albersmann. „Und schöne Röcke. Den hier habe ich selbst gemacht.“ Na ja. Über Schönheit lässt sich bekanntlich streiten – der riesige Reifrock, der sich um Albersmanns Hüften wölbt, ist zusammengenäht aus unzähligen Fetzen, Taschen und Beuteln, ein wallendes Sammelsurium ohne jeden ästhetischen Anspruch. Aber immerhin sind die Taschen Orte, an denen sich Objekte finden lassen, die auf Geschichten verweisen. „Hier: ein rotes Käppchen!“, ruft Albersmann und öffnet einen Beutel. Das junge Publikum im Hamburger Puppentheater weiß sofort, um was es geht: „Rotkäppchen!“

Dass Albersmann Hans-Christian Andersens Kunstmärchen „Des Kaisers neue Kleider“ über das Kostüm erzählt, ist auf mehreren Ebenen bemerkenswert. Einerseits, weil die Vorlage von der Abwesenheit von Kleidung handelt, was einen hübschen Bruch zwischen Erzähltem und Dargestelltem erzeugt. Und andererseits, weil die Aufführung zwar als Puppentheater angekündigt ist, sich aber freilich erst einmal aufs Objekttheater konzentriert. Die Geschichte vom Herrscher, der von einem betrügerischen Schneider „unsichtbare Kleider“ angedreht bekommt, vermittelt sich zu Beginn nicht über Puppen, sondern über Objekte: über den Rock der Künstlerin, über die winzige Kappe, die Assoziationen zum bösen Wolf auslöst, schließlich über einen „Zwicker“, der eine Verbindung zu „Des Kaisers neue Kleider“ herstellt. Solch eine bügellose Brille trägt nämlich der alte Schneider, dessen traditionelles Handwerk beim Kaiser in Ungnade fällt – womit das Unheil seinen Lauf nimmt.

"Des Kaisers neue Kleider" © Kirsten Haarmann

Der Kaiser wird dann endlich durch eine echte Puppe dargestellt. Aber durch was für eine Puppe: durch eine Schneiderpuppe, die zwar Arme, Kopf und Rumpf hat, doch weder mit ordentlicher Mimik oder echten Bewegungen punkten kann. Weswegen der Kaiser in erster Linie ein bisschen dumm wirkt, ein indifferentes Körpermonster, das keinen Sinn hat für das Leiden der Bevölkerung, die in kalten Wohnungen haust, während die Oberschicht in verschwenderischem Luxus lebt. Die Oberschicht übrigens kommt auch nicht besser weg: Das kaiserliche Kabinett besteht aus Flachfiguren ohne jegliche Mechanik, zweidimensionale Langweiler, denen angesichts knapper Kassen nichts anderes einfällt als die Mittel für Soziales und Kultur zu kürzen.

Kein Wunder, dass erst mit zwei Kinderfiguren Leben in diese Gesellschaft kommt: Prinzessin Karoline und Küchenjunge Karol sind hübsch lebensecht gestaltete Handpuppen. Diese beiden Kinder tauchen in Andersens Vorlage nicht auf, die Szenen zwischen ihnen bringen die Aufführung aber einerseits auf 45 Minuten Länge, andererseits sind sie auch wichtige Identifikationsfiguren für das junge Publikum.

"Des Kaisers neue Kleider" © Kirsten Haarmann

Albersmann spiegelt so die Geschichte klug in ihrem Material: Gezeigt wird eine bewegungsarme, im Technokratischen erstarrte Politkaste, der zwei sympathieheischende Kinder gegenübergestellt werden. Und diese Kinder sind es auch, die am Ende den Betrug durch den Schneider aufklären. „Des Kaisers neue Kleider“ ist hier nicht wie so oft eine konservative Erzählung, in der der „gesunde Volkswille“ jede intellektuelle Verfeinerung mit einem schnöden „Der Kaiser ist nackt!“ desavouiert (und die ästhetisch als In-Stellung-Bringen folkloristischer Kunst gegen Avantgarde gelesen werden kann), der Stoff ist vor allem eine Familiengeschichte, in der Karoline zwar die Blöße ihres Vaters erkennt, sie aber nicht auszusprechen wagt. Und weil Karolines Puppe so liebevoll, so herzerwärmend gestaltet ist, versteht man ihre Hemmungen.

Dazu kommen die szenische Phantasie, die Albersmann einen übergroßen Nähkasten als Bühne umfunktionieren lässt (und das Wortspiel, dass hier ziemlich aus dem Nähkästchen geplaudert werde, verkneifen wir uns mal) sowie eine sparsame, aber wirkungsvolle Publikumsanimation, sodass die Premiere als gelungene Neuinterpretation eines schon ziemlich durchinterpretierten Stoffes gelten kann.

Eigentlich hat die kurze Aufführung nur einen kleinen Hänger, und der liegt in einer Puppentheater-im-Puppentheater-Szene – die bremst die Handlung unmotiviert aus, auch wenn sie einerseits aufzeigt, mit welcher Kreativität Karol sich um Karoline bemüht, und andererseits der Krimihandlung, die „Des Kaisers neue Kleider“ in erster Linie ist, eine Form gibt. Angesichts der Tatsache, wie Albersmann hier gleichzeitig kindgerecht und formbewusst einen kanonisierten Märchenstoff in die Gegenwart holt, ist solch eine Kritik an einer kurz ins Schlingern geratenen Dramaturgie aber nicht mehr als lässliches Rumgemäkel.

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Des Kaisers neue Kleider

Von Petra Albersmann

Premiere: 28.09.2022

Idee, Figuren und Spiel: Petra Albersmann

Ausstattung: Bernd und Petra Albersmann

Kostüm: Kai Wegener (Mantel/Hose), Petra Albersmann (Rock)

Regie: Tine Krieg

Draufblick: Martina Couturier

Fotos: Kirsten Haarmann

www.petra-albersmann.de

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