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Anniek Vetter, Adeline Rüss, FITZ Stuttgart: "Konzert der stillen Dinge"

Von Petra Bail

Von wegen Instrumente: Anniek Vetter und Adeline Rüss zeigen, wie ein Konzert auch ohne Geige und Klavier richtig viel Spaß macht.

2. Dezember 2024

Der Titel täuscht: im Kinderstück „Konzert der Stille“ ist es meistens alles andere als geräuschlos. Es fängt zwar ruhig an, am Ende aber erwartet das junge Publikum ein Donnerwetter, das sich gewaschen hat. Und zwar ohne Pauken und Trompeten. Originelle Sound-Maker für Regen sind Hirse und Kichererbsen; ein dünner Blechbogen erzeugt ein grollendes Gewitterkrachen. Für ordentlich Wind auf der kleinen Studio-Bühne des Stuttgarter Fitz sorgt eine selbstgebastelte Maschine mit Trommel und Kurbel, die von lauem Lüftchen bis zum peitschenden Sturm alles kann.

Adeline Rüss und Anniek Vetter sind begeisterte Sammlerinnen scheinbar belangloser Alltagserscheinungen und akribische Forscherinnen dieses Spezialgebiets. Beide absolvierten 2021 ihren Bachelor im Fach Figurentheater an der Hochschule für Musik und darstellende Kunst in Stuttgart und waren in Solo- und Gemeinschaftsprojekten und als Mitwirkende in Produktionen am Staatstheater Stuttgart erfolgreich (u.a. „Fly Ganymed“, Regie: Nikolaus Habjan). Seit zwei Jahren gehen sie gemeinsam der Stille auf den Grund.

Stille – gibt es die in unserem Kulturraum überhaupt? Aber sicher! Dann nämlich, wenn man sich die Finger in die Ohren steckt. Nimmt man sie raus, hört man im Theaterraum plötzlich die Lüftung surren, die man im Trubel zuvor gar nicht wahrgenommen hat. Wird das Fenster geöffnet, ist es erstaunlich leise mitten in der Großstadt: entfernte Autos, ein Flugzeug. Mehr nicht.

"Konzert der stillen Dinge": Anniek Vetter, Adeline Rüss © Heinrich Hesse

Es ist schön, zu sehen, wie die beiden Spielerinnen die Konzentration der Nachwuchstheatergänger:innen anfangs lediglich über Sprache erreichen und damit eine Bilderflut in den Köpfen erzeugen. Während der gesamten 45 Minuten Spielzeit sind es eher unscheinbare Dinge, mit denen sie die Fantasie beflügeln. Ein Papierbogen dient als großes Hörrohr, mit dem die nervösen Geräusche im Kopf der aufgeregten Mitspielerin bei der Premiere hörbar gemacht werden, aber auch der Sound, den die rechte Schulter einer Zuschauerin erzeugt, ertönt auf diese Weise. Klingt ziemlich cool und melodisch, so eine junge Schulter. Gottseidank wurde keine ältere abgehört – die würde vermutlich dissonant knarzen. Damit die Kleinen nicht nur zuhören müssen, dürfen sie selbst stimmlich in Aktion treten. Gemeinsames, kanonartiges Kichern, mal hoch, mal tief und dann mit Inbrunst ein ohrenbetäubendes Löwengebrüll.

Mit schlichten Gegenständen wird die Poesie des Alltags beschworen: Blechdosen, Einmachgläser, Deckel, Eierschalen und Kissen bergen schier unerschöpflich akustische Geheimnisse, die von den beiden Forscherinnen nach und nach gelüftet werden. Wer weiß schon, dass die Morgenstille die beste ist? Die hat die Oma statt Obst in Einmachgläser gefüllt. Zu sehen ist nichts im Weckglas, zu hören auch nichts. Aber man verfolgt im Geist den Gang der Spielerin in den Keller, wo die Gläser aufbewahrt werden, wenn sie Sehnsucht nach Stille spürt, und mit Genuss ein Glas öffnet.

Mit all diesen Dingen erzählen Vetter und Rüss, inszeniert von Lutz Großmann, zauberhafte kurze Geschichten, die die Aufmerksamkeitsspanne der Kinder nicht überstrapazieren. Mit Kissen an Füßen wird auf der ebenen Bühne eine verschneite Winterlandschaft im Gebirge durchwandert, begleitet von Echo und Jodeln, wie es sich in den Bergen gehört. Anniek Vetter kommt aus Südtirol, die weiß das.

"Konzert der stillen Dinge": Adeline Rüss, Anniek Vetter © Heinrich Hesse

Es braucht ganz wenig für dieses tolle Theater, das Bilderwelten im Kopf erzeugt und das Herz öffnet, ebenso wie die Augen, um wahrzunehmen, wie die scheinbaren Nebensächlichkeiten kreativ in den Fokus gerückt werden. Immer wieder gibt es Musik, eine Melodie entwickelt sich durch das Schütteln von Glasmurmeln in unterschiedlichen Gläsern, eine Fahrradklingel, eine Kinderspieldose und ein Glöckchen vervollständigen das Zwei-Frau-Orchester.

Wer noch nie einen Glasbeißer gesehen hat, kann ihn bei Rüss und Vetter im Glas entdecken. Allerdings nur, wer sehr scharfe Augen hat, denn der Extremsportler ist ein winzig kleines Tier, also fast unsichtbar. Nach dem Morgensport ist er top gedehnt, aber tierisch hungrig und beginnt das Glas anzunagen, ehe er verdauungsbedingt pupst. Die ganze Geschichte spielt sich im Kopfkino ab, nur der Klang ist real. Selbst als Erwachsene muss man über diese vielen fabelhaften Ideen einfach Schmunzeln.


Anniek Vetter und Adeline Rüss, FITZ Stuttgart: "Konzert der stillen Dinge"

Von und mit Anniek Vetter, Adeline Rüss | Regie Lutz Großmann

Premiere: 30. November 2024
Dauer: 45 Min.
Alter: ab 6 Jahren

Infos und Spieltermine auf der Website vom FITZ Stuttgart und von Adeline Rüss